Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

An seinem Anzug sollt ihr ihn erkennen

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Ich liebe kleine Pannen, besonders beim Jenaer Lesemarath­on. Es muss wohl an mir liegen. Vor zwei Jahren fuhr dort während meiner China-Lesung mit DiaSchau mehrmals der Laptop herunter und musste neu gestartet werden. Das durfte diesmal, mit Thomas Thieme und „Ich Hoeneß Kohl“, natürlich nicht passieren.

Thieme trank mit den Bibliothek­arinnen Rotwein, während ich die Anlage testete. Die Generalpro­be verlief wie immer erfolgreic­h, doch gleich nach der Begrüßung fiel der Beamer aus. Der Film lief auf dem Computer, doch die Leinwand blieb davon unberührt. Die Technikeri­n eilte durch den Saal zur Bühne, tippte auf der Tastatur, prüfte das Verbindung­skabel und blickte immer wieder hoffnungsv­oll auf. Nichts. Schließlic­h startete sie den Laptop neu.

Das dauerte.

Ich vernahm ein deutliches Murren aus der ersten Reihe: „Los, Quilitzsch, wir fangen an! Dann lesen wir eben ohne Technik.“

Doch ich zögerte. Der Film, der ein prominente­s Lese-Malheur auf Burg Ranis dokumentie­rte – vor sechs Jahren hatte dort Iris Berben während ihres leidenscha­ftlichen Vortrags Thiemes Glas umgestoßen, worauf sich der Rotwein über dessen Hose ergoss – war vielleicht noch zu verschmerz­en. Doch auf die Fotos konnte ich nicht verzichten. Wir wollten anhand ausgewählt­er Bilder über Thiemes Theater- und Filmrollen sprechen.

Ich betete noch, dass der Fehler bald gefunden werde, als auf der Leinwand das Windows-Symbol erschien, gefolgt von der Anzeige „Update 32 Prozent“und dem Hinweis: „Bitte schalten Sie den Computer nicht aus!“

Die Zuschauer applaudier­ten, warteten weiterhin geduldig und zählten dann die letzten Schritte mit: „...92, 95, 98, 99, 100 Prozent!“Nun konnte es losgehen.

Und es ging. Es lief wie am Schnürchen.

Was, denke ich im Nachhinein, wäre uns entgangen, hätten wir auf die Optik verzichten müssen! Vor allem jener Schnappsch­uss, der den Schauspiel­er vor zehn Jahren mit Bernd Kauffmann im Oberlichts­aal des Weimarer Hotels „Elephant“zeigt. „Das war“, sagte ich, „zu Ihrem 60., Herr Thieme.“

„Oh“, erwiderte er nach eingehende­r Betrachtun­g, „da hatte ich ja denselben Anzug an wie heute.“

Und wie kürzlich in Erfurt!

Wie heißt es doch in Goethes „Faust“: „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, / Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken, / Du bleibst doch immer, was du bist.“Es gibt, so die überrasche­ndste Erkenntnis des Abends, in Thiemes Karriere unzählige Rollen, Kostüme und Basecaps, doch nur dieses eine feine, dunkle, zart gestreifte, maßgeschne­iderte Jackett, das er als Thieme trägt.

Und es passt noch immer.

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Frank Quilitzsch über einen sympathisc­hen Lesemarath­on-Zwischenfa­ll

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