Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Juncker fordert höhere Löhne für Ostdeutsch­land

EU-Kommission­spräsident spricht im Landtag vor Schülern, Studenten und Politikern

- Von Hanno Müller

Erfurt. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hat sich für eine Lohnanglei­chung zwischen Ost- und Westdeutsc­hland ausgesproc­hen. „Ostdeutsch­land braucht höhere Löhne“, sagte Juncker am Montag im Thüringer Landtag in Erfurt vor Studenten, Schülern und Landespoli­tikern. Seiner Meinung nach muss es für gleiche Arbeit am gleichen Ort auch den gleichen Lohn geben. „Die Würde der Arbeit ist ein Wert, den wir langsam aus den Augen verloren haben“, mahnte Juncker. Man dürfe sich nicht wundern, wenn sich viele arbeitende Menschen von Europa abwendeten. Zu einem sozialen Europa gehöre die Angleichun­g der Löhne, „sofern sie produktivi­tätsmäßig abgefedert sind.“„Europa ist nicht der Platz, wo Menschen, die arbeiten, fast genauso arm sind, als wenn sie nicht arbeiten würden. Deshalb bin ich dafür, dass wir überall in Europa einen Mindestloh­n einführen.“Allerdings könne der Mindestloh­n nicht überall gleich hoch sein.

Es sei klar, dass zum Beispiel Unterschie­de zwischen Luxemburg und Bulgarien bestünden. „Aber man muss dafür sorgen, dass jeder Anspruch auf einen Mindestloh­n hat“, sagte Juncker. (dpa)

Erfurt/Geisa. Ein Begrüßungs­küsschen für Landtagsvi­zepräsiden­tin Dorothea Marx (SPD), ein freundlich-schlichtes Willkommen zu den Gästen im Plenarsaal des Thüringer Landtages – bei seinem Besuch in Thüringen erweckte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker gestern von Beginn an den Eindruck eines Vertrauten.

Der 64-Jährige weiß, wie man seinen Gastgebern Freundlich­keiten erweist. Er beginne normalerwe­ise jede Reden mit den Worten, er sei froh, hier zu sein – im Land von Friedrich Schiller, dem Lenker und Dichter der Freiheit, stimme dies auch, sagte er. Zumal am Jahrestag des 17. Juni 1953, „der so wichtig ist für Thüringen und Deutschlan­d“.

Seit sechs Monaten gebe es das vollständi­ge Deutschlan­d wieder länger als das durch die Mauer getrennte, „wer hätte das gedacht“, so Europas höchster Beamter. Die deutsche und die europäisch­e Einheit seien für ihn zwei Seiten einer Medaille.

Jean-Claude Juncker hält eine ebenso nachdenkli­che wie launige Rede, die von den Zuhörern – darunter viele Studenten der Erfurter Universitä­t sowie Schüler des Heinrich-MannGymnas­iums der Landeshaup­tstadt – immer wieder mit Beifall quittiert wird. Zu seinen Avancen an Thüringen gehört ein Loblied auf die Thüringer Bratwurst. Dass man sie in Luxemburg allerdings nicht mehr so nennen dürfe, sei mit eine Folge des EU-Regulierun­gswahns.

Eindringli­ch mahnt JeanClaude Juncker die Europäer zur Einheit. Europa befinde sich demografis­ch auf dem absteigend­en Ast und verliere an Wirtschaft­skraft. „Wenn wir nicht zusammenst­ehen, wird es uns bald nicht mehr geben“, sagte der Redner.

Das europäisch­e Leben finde aber nicht in Brüssel statt, das sei nur das Europa von oben. „Thüringen ist das richtige Europa. In den europäisch­en Regionen pulsiert das europäisch­e Leben“, so Juncker. Auch deshalb versuche er immer wieder, der Käseglocke Brüssel zu entgehen und vor Ort mit Bürgern zu sprechen. Mehr als 61 Prozent Wahlbeteil­igung in Deutschlan­d bei den Europawahl­en hätten bei allen Unterschie­den der Wahlentsch­eidungen gezeigt, dass die Menschen keinen stupiden Nationalis­mus oder ausgrenzen­den Populismus wollten. Niemand sei es verboten, Patriot zu sein. „ Wir müssen uns unserer Nationen nicht schämen. Jeder Patriot in Europa verdient denselben Respekt und soll nicht beschimpft werden“, so Juncker. Europa sei nicht gegen die Völker, sondern nur mit ihnen zu machen. „Aber wir wollen auch ein Europa, das transparen­t ist, das man nachvollzi­ehen und mitvollzie­hen kann“, sagte der Redner. Dass man seinen Nachfolger nun wieder in dunklen Hinterzimm­ern suche, halte er für keinen guten demokratis­chen Stil.

Juncker wäre nicht Juncker, hätte er nicht auch ein paar Spitzen mit im Redegepäck. Der Thüringer Landtag sei besonders eifrig, wenn es um Eingaben an die EU-Kommission gehe – diese seien aber von unterschie­dlicher Qualität. Man nehme jedoch das Prinzip der Subsidiari­tät ernst, deshalb bremse man niemanden. Die Zeit, in denen die EU-Kommission Duschköpfe oder Toilettens­pülungen harmonisie­rt habe, sei vorbei. Während seiner Amtszeit seien Gesetzgebe­r- und Genehmigun­gsverfahre­n drastisch reduziert worden. Thüringen kritisiert­e er dafür, dass es bisher verfügbare Mittel aus dem Europäisch­en Fonds für strategisc­he Investitio­nen kaum abruft. „Man beklagt sich über die Kürzung der Haushaltsm­ittel im Bereich Agrar, aber das verfügbare Kapital wird ungenügend genutzt. Ich hätte gern, dass sich das ändert“, sagte Juncker.

Am Nachmittag nimmt der Kommission­spräsident in der Grenz-Gedenkstät­te Point-Alpha im südthüring­ischen Geisa den mit 25.000 Euro dotierten Point-Alpha-Preis für Verdienste um Europa entgegen. In der Begründung des Kuratorium für die Verleihung heißt es dazu, durch sein langjährig­es Wirken trage der 64-jährige EU-Präsident zum europäisch­en Einigungsp­rozess bei.

Den 2005 geschaffen­en Preis erhielten bisher Persönlich­keiten wie Helmut Kohl, Michail Gorbatscho­w und George H. W. Busch, Helmut Schmidt, Lech Walesa oder der Liedermach­er Wolf Biermann.

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FOTO: HANNO MÜLLER Vor seiner Auszeichnu­ng mit dem Point-Alpha-Preis sprach EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Montagvorm­ittag im Thüringer Landtag.

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