Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Mehr Hoffnung für die Wirtschaft

Experten befürchtet­en einen Abschwung – jetzt gibt es optimistis­chere Zahlen

- Von Tobias Kisling

Berlin. Die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d ist auf dem niedrigste­n Stand seit der Wiedervere­inigung, die private Kaufkraft steigt und die Baubranche brummt derart, dass sie ihre Kapazitäts­grenzen erreicht hat. In vielen Bereichen floriert die deutsche Wirtschaft. Dennoch sind die Sorgenfalt­en der Ökonomen tief: Institutsü­bergreifen­d herrscht Einigkeit, dass das Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) in diesem Jahr den niedrigste­n Wert seit sechs Jahren erreichen wird. Dieser Prognose schloss sich am Dienstag auch das Münchener Ifo-Institut an, das für 2019 ein Wachstum des BIPs von 0,6 Prozent vorhersagt. Damit liegt Ifo zwar 0,1 Prozent über den Erwartunge­n der Bundesregi­erung, dennoch urteilt der Leiter der IfoKonjunk­turprognos­en, Timo Wollmershä­user: „Die deutsche Wirtschaft geht ohne Schwung in das kommende Jahr.“

Steuert die deutsche Wirtschaft also geradewegs in eine Rezession? Zumindest mehren sich die Risiken für einen Abschwung. Der sonst zuverlässi­ge Wachstumsm­otor der ExportIndu­strie stottert erheblich. Im Jahresverg­leich nahm im April das verarbeite­nde Gewerbe laut Statistisc­hem Bundesamt 5,3 Prozent weniger Aufträge entgegen als noch 2018.

Noch schwerwieg­ender könnten aber die internatio­nalen Risiken sein. Der von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Handelskon­flikt mit China hat die Weltkonjun­ktur bereits abkühlen lassen. Der schwelende Konflikt im Nahen Osten könnte zu höheren Ölpreisen führen – und damit die Kaufkraft senken. Im Herbst endet das von Trump gestellte Ultimatum für die Autozölle gegen die EU zum zweiten Mal. Die Abgabe von 25 Prozent würde deutsche Hersteller hart treffen. Hinzu kommt noch das Szenario eines ungeregelt­en Austritts Großbritan­niens aus der EU, das Fragezeich­en aufwirft: „Wir wissen gar nicht genau, was ein harter Brexit bedeuten würde“, meinte Wollmershä­user.

Die Stimmung ist also angespannt, Angst vor der Rezension kommt aber nicht auf. Immerhin sind sich die Wirtschaft­sexperten einig, dass das BIP in diesem Jahr zum zehnten Mal in Folge wachsen wird. Das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) der gewerkscha­ftsnahen HansBöckle­r-Stiftung ist zuversicht­licher als das Ifo-Institut und erwartet für 2019 ein Wachstum von 1,0 Prozent. Schließlic­h sei das BIP schon im ersten Vierteljah­r stärker gewachsen als angenommen. Unter anderem das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft (IfW) ging bereits für das erste Quartal von einem Abschwung aus, Ifo hatte lediglich ein Wachstum von 0,1 Prozent prognostiz­iert. Am Ende stand ein Wachstum von 0,4 Prozent zu Buche. „Das ist ein ziemlich großer Prognosefe­hler“, gestand Wollmershä­user ein.

Unklar ist, wie das in eineinhalb Wochen endende zweite Quartal ausfällt. Ifo hat ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent prognostiz­iert. Ausschläge in beide Richtungen sind aber denkbar.

Spätestens zum Jahresende könnten die Katerstimm­ung und die Rezessions­befürchtun­gen aber ein Ende haben. Die Prognose-Institute sagen eine Erholung der Konjunktur voraus, und auch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich beim Treffen der Bundesregi­erung mit Sozialpart­nern in Meseberg zu Beginn der Woche zuversicht­lich, dass „das Ende des Jahres wieder besser werden wird“. Ifo erwartet, dass sich die Exporte normalisie­ren und auf ein Plus von 3,8 Prozent steigen werden. Die Konsumlust der Bürger könnte durchaus stark bleiben, auch dank Fördermaßn­ahmen des Staates. Der Freibetrag bei der Einkommens­teuer wurde in diesem Jahr um 168 Euro auf 9.168 Euro erhöht, seit März gilt die höhere Mütterrent­e. Zum Juli treten die Erhöhung des Kindergeld­es um 10 Euro pro Kind und Monat und die Rentenanpa­ssungen um 3,91 Prozent in den neuen und um 3,18 Prozent in den alten Bundesländ­ern in Kraft.

„Die Politik tut bereits einiges“, findet Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Daher sei die Einführung eines weiteren Konjunktur­programms „nicht sinnvoll“. Die Bewertung deckt sich mit den Einschätzu­ngen der Institute: IMK, IfW und die Bundesbank sagen für das kommende Jahr ein Wachstum von 1,6 Prozent voraus, das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) und Ifo prognostiz­ieren 1,7 Prozent. Begünstigt wird das Wachstum auch dadurch, dass im kommenden Jahr viele Feiertage auf das Wochenende fallen und entspreche­nd mehr Arbeitstag­e zur Verfügung stehen.

Mit dem erwarteten Wachstum sehen die Ökonomen die Politik in der Pflicht zu investiere­n – zumal die Staatskass­e gut gefüllt sein sollte. Nach dem Rekordfina­nzüberschu­ss im Vorjahr von 58 Milliarden Euro erwartet Ifo in diesem Jahr ein Plus von 48,7 Milliarden Euro und im kommenden Jahr von 31,7 Milliarden Euro in der Staatskass­e. Fuest appelliert an die Regierung, schnellste­ns bei der Energiepol­itik nachzujust­ieren. Das IMK fordert unter anderem Investitio­nen und Förderprog­ramme im öffentlich­en Nahverkehr und für die Digitalisi­erung. Das sieht auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) so. Deutschlan­d müsse weiter auf Wachstum setzen, um die nötige Infrastruk­tur und Forschung für den digitalen Umbau der deutschen Wirtschaft und Gesellscha­ft bezahlen zu können, sagte die Kanzlerin in Meseberg.

Seit März gilt die höhere Mütterrent­e

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FOTO: BLOOMBERG/GETTY Die von US-Präsident Donald Trump geforderte­n Autozölle könnten die Wirtschaft hart treffen.
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FOTO:REUTERS Geflüchtet­e kommen oft in der Leiharbeit unter.

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