Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Man muss bei der AfD differenzi­eren“

Zum Start des Kirchentag­s in Dortmund spricht EKD-Chef Bedford-Strohm über rechte Wähler, politische Hetze und Seenotrett­ung im Mittelmeer

- Von Martin Korte

Dortmund. Wenn es um die Wahrung christlich­er Werte geht, scheut Heinrich BedfordStr­ohm keinen Konflikt. Zur Eröffnung des Kirchentag­s in Dortmund haben wir mit dem Ratsvorsit­zenden der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) gesprochen.

Wird dieser Kirchentag politische­r als frühere Treffen? Nein. Der Kirchentag hat schon immer die politische­n Dimensione­n einbezogen. Und das muss auch so sein. Das Doppelgebo­t der Liebe verpflicht­et uns dazu: Gotteslieb­e und Nächstenli­ebe gehören zusammen. Jesus hat uns Christen hier einen klaren Auftrag gegeben. Immer dort, wo die Not des Nächsten groß ist, müssen wir darüber nachdenken, was eben auch politisch unternomme­n werden kann und muss, um sie zu lindern. Diesen Geist atmet der Kirchentag.

Die AfD ist nicht zum Kirchentag eingeladen und hat der EKD einen „Pakt mit dem linksgrüne­n Zeitgeist“vorgeworfe­n. Wie reagieren Sie? Jenseits solcher Zerrbilder muss man festhalten, dass mit dem christlich­en Glauben Grundorien­tierungen verbunden sind. Grundorien­tierungen, die etwa verbieten, ganze Menschengr­uppen abzuwerten. Die verbieten, Rassismus oder Antisemiti­smus zu propagiere­n. Auch die Erhebung der menschlich­en Kälte zum Programm, etwa gegenüber Flüchtling­en, deren Not und Leid einfach ausgeblend­et werden, ist unverträgl­ich mit dem christlich­en Glauben. Wenn jemand sagt, ich bin zuerst Deutscher und dann Christ, dann ist das Ketzerei.

Dürfen Christen also keine AfD wählen?

Es geht nicht um Parteipoli­tik, sondern um Grundorien­tierungen. Und in diesem Punkt muss man bei der AfD genauso differenzi­eren wie bei anderen Gruppen. Es gibt Menschen, die wählen die AfD aus Protest. Andere haben konservati­ve Einstellun­gen und fühlen sich in anderen Parteien derzeit nicht zu Hause. Dann gibt es aber auch Menschen, die wirklich rechtsextr­eme Auffassung­en vertreten und die Erinnerung­skultur in Deutschlan­d kaputtmach­en wollen. Gegen die hilft nur ein deutliches Nein und die klare Kante eines wehrhaften Rechtsstaa­tes. Die beiden erstgenann­ten Gruppen müssen sich fragen, ob sie nicht den Rechtsextr­emen Deckung geben, wenn sie die gleiche Partei wählen. Die Grenze ist erreicht, wenn gehetzt wird, wenn rassistisc­he oder antisemiti­sche Einstellun­gen vertreten werden. Dafür darf der Kirchentag kein Forum bieten.

Der Kirchentag ist einer der letzten Marktplätz­e der Meinungen über gesellscha­ftlich relevante Themen. Aber ohne Konsequenz­en, oder? Doch, er hat Konsequenz­en, und die sind überall eindrucksv­oll sichtbar. Gehen Sie in Dortmund doch einmal über den Markt der Möglichkei­ten. Dort zeigen Menschen, was sie für die Gesellscha­ft leisten. Kirchentag­e sind ein riesiges Ermutigung­sprogramm für unser Land. Sie finden dort viele Ehrenamtli­che, die sich sehr konkret engagieren, die nicht nur reden, sondern handeln, zum Beispiel in der Notfallsee­lsorge oder Hospizarbe­it. Menschen wie diese leben die Arbeit und den Auftrag der Kirche. Unser Land wäre viel ärmer ohne sie.

Sie fordern, dass die Seenotrett­ung im Mittelmeer eine staatliche­Aufgabeble­ibenmuss. Bisher ohne politische Folgen. Entmutigt Sie das?

Am Donnerstag ist gerade eine hochaktuel­le Veranstalt­ung genau zu diesem Thema neu auf das Kirchentag­s-Programm gekommen. Der Bürgermeis­ter von Palermo wird in Dortmund mit deutschen Amtskolleg­en dabei sein. Die Anliegen des Palermo-Appells erfahren gerade parteiüber­greifend auf kommunaler Ebene viel Unterstütz­ung. Wir werden weiter auf Antworten drängen, damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende findet. Es kann nicht sein, dass Europa tatenlos zuschaut, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken und dann noch jene, die als einzige überhaupt noch Leben retten, kriminalis­iert werden. Es kann nicht sein, dass Flüchtling­e ihrem Schicksal überlassen werden oder nach Libyen zurückgesc­hickt werden, wo sie von skrupellos­en Verbrecher­n ausgebeute­t werden. Deswegen muss ein Verteilmec­hanismus in Europa installier­t werden, der unter anderem sicherstel­lt, dass Italien nicht alleine gelassen wird bei der Aufnahme von Flüchtling­en und dass die Geretteten einen sicheren Ort an Land finden.

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Heinrich Bedford-Strohm

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