Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Maut-Pleite kostet Millionen
Der Bund darf auf deutschen Straßen die geplante Pkw-Gebühr nicht erheben. Eine Blamage für die Regierung
Luxemburg/Berlin. In Deutschland wird es so schnell nun doch keine Pkw-Maut geben. 15 Monate vor der geplanten Einführung der Straßengebühr hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag das deutsche Maut-Gesetz wegen Verstoßes gegen EU-Recht gekippt: Es diskriminiere ausländische Autofahrer, weil unterm Strich nur sie die Last zu tragen hätten – während bei deutschen Autofahrern der Mautbetrag mit der Kfz-Steuer verrechnet würde, sodass sie am Ende nicht zusätzlich zur Kasse gebeten würden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) räumte die „bedauerliche“Niederlage wenige Stunden später ein: „Die PkwMaut ist damit leider in dieser Form vom Tisch“, sagte er. Was das Urteil bedeutet, wie es weitergeht:
Was war eigentlich geplant? Die 2017 vom Bundestag beschlossene Maut sollte im Schnitt 74 Euro jährlich betragen, maximal 130 Euro. Der Preis wäre abhängig von Hubraum und Umweltfreundlichkeit des Motors. Deutsche PkwFahrer und Wohnmobil-Besitzer sollten für das Autobahnund Bundesstraßennetz Maut bezahlen, ausländische Autofahrer nur für das Befahren der Autobahnen zur Kasse gebeten werden. Deutsche Fahrzeughalter hätten einmal im Jahr einen Bescheid über die „Infrastrukturabgabe“erhalten, den sie per Sepa-Lastschrift überweisen sollten. Das Kennzeichnen würde dann im System freigeschaltet, über ein Netz von automatischen Kontrollstationen an den Autobahnen würde die Mautzahlung dann elektronisch überprüft. Das politische Versprechen war klar: Deutsche Autofahrer sollten unterm Strich nicht zusätzlich belastet werden – weshalb ihnen der Mautbetrag von der Kfz-Steuer abgezogen worden wäre. Diesen Vorteil hätten ausländische Autofahrer nicht gehabt, die sich die E-Vignette im Internet oder an Tankstellen hätten kaufen müssen. Als Zugeständnis an die EU waren aber für ausländische Fahrer unter anderem Kurzzeitvignetten für zehn oder 60 Tage geplant.
Warum landete die Maut vor Gericht?
Österreich hatte beklagt, die Maut diskriminiere seine Bürger bei Autoreisen nach Deutschland und verstoße damit gegen EU-Recht – denn nur Ausländer müsste ja unterm Strich etwas bezahlen. Die Alpenrepublik verlangt für die Nutzung ihrer Autobahnen auch eine Vignette, entlastet die österreichischen Autofahrer dabei aber nicht. Der Klage schlossen sich die Niederlande an. Die Bundesregierung hatte dagegen argumentiert, Ausländer seien niemals verpflichtet, deutsche Kfz-Steuer zu zahlen. Zudem könnten sie sich, anders als deutsche Pkw-Halter, für eine
Kurzzeitmaut entscheiden und entsprechend weniger zahlen. Doch dem folgten die Richter nicht. Die Maut sei rechtswidrig und diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen EU-Ländern zugelassenen Fahrzeugen liege, so das Gericht. Die Gebühr verstoße auch gegen die Grundsätze des ungehinderten Marktzugangs im EU-Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen; Transportkosten für Lieferanten aus anderen Staaten würden sich erhöhen, das könne auf die Produktpreise durchschlagen. Eine Überraschung: Das deutsche Modell hatte der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mit der EU-Kommission abgestimmt, die eine erste Variante wegen Verletzung von EU-Recht beanstandet hatte. Die Kommission hatte schließlich zufrieden erklärt, es gebe keine Diskriminierung – unter anderem wegen der Kurzzeittarife. Auch die EUKommission hat also mit dem Urteil am Dienstag verloren. Und der Generalanwalt des EuGH: Der hatte im Februar erklärt, die Maut verstoße nicht gegen EU-Recht. Fast immer folgen die EuGH-Richter der Einschätzung des Generalanwalts, weshalb sich die Bundesregierung auf der sicheren Seite wähnte. Ein Irrtum, wie sich nun zeigt. Scheuer meinte: „Es war das Elfmeterschießen – und das ist nicht gut ausgegangen.“
Wie hoch ist der Schaden durch die Maut-Pleite? Enorm hoch, wirtschaftlich und politisch. Zum einen hat die Bundesregierung trotz vieler Warnungen bereits MillionenSummen für die Vorbereitung der Maut ausgegeben – der Zeitdruck des vermeintlichen Prestigeprojektes war hoch, ursprünglich war die Maut ja schon für Anfang 2016 geplant und wurde mehrmals verschoben. Mehr als 40 Millionen Euro hat der Bund schon für das Vorhaben ausgegeben, ein Großteil für Gutachten und Beratung. Zur Jahreswende wurde ein deutsch-österreichisches Konsortium mit dem Aufbau des Systems beauftragt; womöglich drohen dem Bund Entschädigungsansprüche der Unternehmen. Verkehrsminister Scheuer sagte, die finanziellen Fragen sollten jetzt schnell geklärt werden. Das Geld aus der Maut sei im Bundeshaushalt 2020 schon eingeplant, beim Kraftfahrtbundesamt seien bereits Stellen geschaffen worden. Gewaltig ist aber auch der politische Schaden. Die Pkw-Maut ist seit vielen Jahren ein zentrales politisches Projekt der CSU gewesen: Deren bayerische Wähler störten sich zum Teil daran, dass sie im benachbarten Österreich Autobahngebühren zahlen mussten, während die Nachbarn umgekehrt in Deutschland gebührenfrei fahren durften. Gegen die Bedenken von CDU und SPD setzte die CSU das Vorhaben in der großen Koalition durch. Zum Wahlkampfhit der Christsozialen hatte die Maut aber nur werden können, weil sie mit einem klaren Versprechen verbunden war: Nur ausländische Autofahrer sollten unterm Strich belastet werden – deutsche Autofahrer ausdrücklich nicht. Das war der Grund für die Konstruktion, die das EU-Gericht jetzt gekippt hat. Allerdings ersparen die Richter dem deutschen Verkehrsminister
nun eine spätere Blamage: Viel spricht dafür, dass das Maut-Projekt nicht realistisch kalkuliert war – statt versprochener Netto-Einnahmen für den Bund von jährlich 500 Millionen Euro, die dem Straßenbau zugute kommen sollten, drohte nach Einschätzung von Kritikern ein dauerhaftes Verlustgeschäft für den Steuerzahler wegen des hohen Verwaltungsaufwands.
Kommt jetzt eine geänderte Maut?
Kurzfristig wahrscheinlich nicht. Zwar könnte die Bundesregierung ein neues, geändertes Gesetz auf den Weg bringen, doch das scheint politisch kaum mehr durchsetzbar. Für eine neue Mautinitiative sei es „zu früh“, sagte Verkehrsminister Scheuer. Er setzte umgehend eine Expertengruppe in seinem Ministerium ein, die das weitere Vorgehen beraten soll. In der EU geht der Trend zu einer streckenbezogenen Nutzungsgebühr als Alternative zu der zeitbezogenen Vignette; entsprechende Pläne gibt es in der EUKommission und im EUParlament. Schon jetzt werden solche Systeme in einigen EULändernbetrieben,etwaaufden Autobahnen Frankreichs. Verkehrsminister Scheuer sagte, das Prinzip der Straßenfinanzierung durch die Nutzer sei gerecht und richtig. Im Herbst will die Bundesregierung über mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich entscheiden. „Mit dem heutigen Tag“, meinte Scheuer, „ist die Diskussion nicht zu Ende.“