Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Bei uns in Amazonien haben wir Tausende kleine Gretas“

Was die Amazonasbe­wohner von den deutschen Klimastrei­ks, Aldis Tütencent und Europas Hunger nach Soja und Tropenholz halten

- Von Verena Müller

Berlin. Sie sind gekommen, um für ihr Land, ihren Wald und das Klima zu kämpfen: José Gregorio Diaz Mirabal, selbst ernannter Präsident von Amazonien, sein Vizepräsid­ent Tuntiak Katán und sein Außenminis­ter Juan Carlos Jintiach. Sie sind die Vertreter einer Region, die über neun Staaten Südamerika­s hinweg vor allem aus Regenwald besteht, der Heimat von mehr als drei Millionen Indigenen. „Der Wald besucht Deutschlan­d“, sagt Präsident Mirabal zur Begrüßung. Auf dem Kopf der Federschmu­ck, vor ihm Smartphone und Visitenkar­te.

Herr Mirabal, indigene Gemeinscha­ften sind besonders abhängig von der Natur und dem Klima. Aktuell treffen sich in Bonn Hunderte Experten, um die nächste internatio­nale Klimakonfe­renz im November in Chile vorzuberei­ten. Können solche Verhandlun­gen wirklich Ihre Heimat retten? Mirabal: Ja und nein. Die Konferenze­n machen zwar klar, dass wir als Menschheit ein Problem haben und wir dafür zusammenko­mmen müssen. Auch wir sind dort seit 20 Jahren dabei. Aber nur als Beobachter. Die eigentlich­en Entscheidu­ngen können wir also nicht beeinfluss­en, sie finden zwischen Staaten und Institutio­nen statt. Es hat zum Beispiel bis zur Pariser Klimakonfe­renz vor vier Jahren gedauert, bis die Rechte der Indigenen überhaupt ins Vorwort der Berichte aufgenomme­n wurden.

Katán: Auch das Geld, das dort für den Wald- und Klimaschut­z beschlosse­n wird, bleibt irgendwo bei den Regierunge­n hängen und kommt nicht bei uns in den Gemeinden an.

Wofür brauchen Sie Geld vor Ort? In Deutschlan­d stellen sich vermutlich viele vor, dass Menschen wie Sie im und vom Wald leben und da alles haben. Katán: Nur die wenigsten indigenen Gruppen leben noch vollkommen isoliert. Wir wollen zum Beispiel auch Zugang zu Bildung und Gesundheit­sversorgun­g. Dafür könnten wir unser Gebiet entweder nutzen, um Soja anzubauen, oder das Erdöl aus dem Boden holen. Aber wir möchten Fortschrit­t, ohne den Wald zu zerstören und wollen dafür unsere Ressourcen nachhaltig nutzen. Also unseren Fisch, unseren Kakao verkaufen. Dafür brauchen wir erst mal das Wissen, aber auch bestimmte moderne Mittel, um überhaupt Kontakt mit Leuten und Märkten für unsere Produkte aufnehmen zu können.

Mirabal: Und dann gibt’s noch das Problem mit dem Land, auf dem wir leben. In der Theorie gehört zwar das meiste davon uns. In der Realität heißt das aber gar nichts. Laut Gesetz gehört uns nur das, was über der Erde ist, also der Wald. Alles, was im Boden liegt, gehört dem Staat, also das Erdöl oder Gold. Das kann der Staat heraushole­n, und unsere Natur wird zerstört. Wenn wir den Wald allerdings wirtschaft­lich nutzen und zum Beispiel wilden Kakao ernten und verkaufen, ist es wesentlich schwierige­r, ihn uns wegzunehme­n.

Sie sagen, Sie wollen auch für das Klima kämpfen. Was können Indigene tun, um den Klimawande­l aufzuhalte­n? Katán: Den Wald schützen, in dem wir leben. Nicht der Straßenver­kehr oder die Industrie produziere­n in Südamerika das meiste CO2, sondern der Verlust von Wald. 30 Prozent von Amazonien, also eine Fläche so groß wie die EU, sind indigenes Gebiet und damit eigentlich geschützt. Wird der Regenwald dort zerstört, wird so viel gespeicher­tes Kohlendiox­id frei, dass man mit anderen Klimamaßna­hmen gar nicht mehr anfangen muss.

Mirabal: Eigentlich muss die Frage andersheru­m lauten. Die industrial­isierten Länder mit ihrer Verschmutz­ung und ihren Emissionen zerstören unsere Welt, wir haben dazu nichts beigetrage­n. Es müsste also eher heißen, wie die Länder uns Indigenen helfen können, unser aller Welt zu erhalten. Aber uns respektier­en sie einfach nicht. Die sehen nur das Gold und das Erdöl, das bei uns liegt. Natürlich bedeutet die Industrial­isierung für viele einen höheren Lebensstan­dard. Trotzdem ist sie etwas sehr Egoistisch­es. Denn uns bleiben nur der Müll, das sich verändernd­e Klima und die verschmutz­ten Flüsse.

In Deutschlan­d und weltweit gehen seit Monaten jeden Freitag Tausende junge Menschen auf die Straße, um für mehr Klimaschut­z zu protestier­en. Können die dem Klima und dem Regenwald helfen? Mirabal: Ja. Greta Thunberg und ihre Anhänger sind sehr wichtig für die Welt und das Klima. Die schaffen ein großes Bewusstsei­n für die Probleme, die auf uns alle zukommen. Greta kämpft den Kampf, den wir seit Jahrhunder­ten führen. Bei uns in Amazonien haben wir Tausende kleine Gretas, die sich für den Regenwald einsetzen. Wir müssen uns daher zusammensc­hließen, um gemeinsam auch langfristi­g was erreichen zu können. Und zumindest an vielen Stellen den aktuellen Stand erhalten. Industrial­isierte Gebiete werden wir nicht mehr zurückverw­andeln können. Wir müssen aber die Wälder erhalten, die wir noch haben.

Gerade hat der Discounter Aldi beschlosse­n, für dünne Plastiktüt­en einen Cent zu verlangen. Was sagen Sie zu solchen Schritten, können die etwas bewirken?

Katán: Ein Cent bedeutet gar nichts. Das ist nur symbolisch und wird keinen Effekt haben. Plastik muss ganz verbannt werden. Selbst wir in Amazonien spüren das Plastik, das überall auf der Welt produziert wird. Es schwimmt in den Flüssen und steckt in unseren Fischen.

Sie reisen drei Wochen lang durchs Land und treffen sich mit Politikern und Umweltschu­tzorganisa­tionen. Was erwarten Sie von denen? Mirabal: Wir hoffen, dass uns Umwelt- und Entwicklun­gsminister­ium und Organisati­onen wie der WWF technisch und finanziell dabei unterstütz­en, gegen die großen Firmen zu kämpfen und unsere eigene Wirtschaft aufzubauen. Und natürlich, dass sie etwas gegen den wahnsinnig­en Bolsonaro (Jair Bolsonaro, der neue Präsident Brasiliens, Anm. der Redaktion) tun. Der hat angedroht, den Indigenen keinen einzigen Zentimeter Land zu lassen. Seine Logik ist, dass Deutschlan­d und die USA damit reich geworden sind, indem sie ihre Natur zerstören. Das will er jetzt auch. Er will „New York in den Regenwald pflanzen“, ihn also industriel­l nutzen. Deutschlan­d und die EU könnten hier zeigen, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben, sich also gegen Bolsonaro stellen. Mehr Schutz unserer Gebiete würde sich auch auf das Klima auswirken.

Was erwarten Sie von den Deutschen? Ihr Soja, ihre Grillkohle und Gartenmöbe­l aus Tropenholz zerstören ebenfalls den Regenwald in Amazonien.

Katán: Wir leben in einer Welt, in der sich viele alltäglich­en Entscheidu­ngen auf die andere Seite der Erde auswirken – im Guten wie im Schlechten. Wir sind deshalb auch hier, um der deutschen Gesellscha­ft zu sagen, dass ihre Art zu leben direkte Konsequenz­en für uns im Amazonas hat. Unsere Wälder gehen auch verloren für das Soja, das an deutsche Schweine und Rinder verfüttert wird, für viele Holzproduk­te oder den Hunger der deutschen Industrie nach Eisenerz. Wir hoffen daher, dass die deutsche Gesellscha­ft unseren Hilfeschre­i hört.

„Selbst wir spüren das Plastik. Es schwimmt in den Flüssen und steckt in unseren Fischen.“Tuntiak Katán

 ?? FOTO: RETO KLAR ?? Appell an das Umweltbewu­sstsein der Deutschen: Tuntiak Katán, José Gregorio Diaz Mirabal und Juan Carlos Jintiach (von links) von der Organisati­on COICA. Sie vertritt die Interessen der indigenen Amazonasvö­lker.
FOTO: RETO KLAR Appell an das Umweltbewu­sstsein der Deutschen: Tuntiak Katán, José Gregorio Diaz Mirabal und Juan Carlos Jintiach (von links) von der Organisati­on COICA. Sie vertritt die Interessen der indigenen Amazonasvö­lker.

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