Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Als Kommissär nach Tokio
Der Thüringer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverband für die Olympischen Spiele und Paralympics nominiert
Geßner auf Platz drei
Linden. Toller Erfolg für Jakob Geßner. Der Erfurter Radsportler hat bei der deutschen Bergmeisterschaft der U-23-Klasse die Bronze gewonnen. Der 19jährige musste nur Dominik Bauer (Dauner-Akkon) und Topfavorit Jonas Rutsch (LottoKern Haus) den Vortritt lassen. „Ich bin sehr glücklich und freue mich über die Bronzemedaille“, sagte Geßner. (red)
Top--Plätze
Linden. Bei den deutschen Nachwuchs-Meisterschaften im Radsport konnten sich die Thüringer Talente in Szene setzen. Acht Top-10-Plätze holten die Radsportler. Am besten schnitt Franzi Arendt (Erfurt) als Fünfte im U-17-Straßenrennen ab. (tr) Gera. Der Geraer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverband UCI als Kommissär für die Olympischen Spiele und die Paralympics 2020 in Tokio nominiert. Der 38-Jährige erzählt, was seine Aufgaben als Jurychef und als Starter sind, welche Entscheidungen die Jury bei der Kalifornien-Rundfahrt treffen musste, warum er am Flughafen schon einmal abgeführt wurde und welche Erfahrungen er selbst als Radsportler mit Juryentscheidungen hatte.
Gera hat den ersten Olympiastarter für Tokio 2020. Stark. Wenn Sie so wollen, ja. Ich hab per Mail meine Nominierung für die Spiele bekommen. Bei den Olympischen Spielen bin ich Starter und bei den Paralympics der Jury-Chef. Aber ich möchte nicht der einzige Geraer sein, der an Tokio aktiv ist. Ich hoffe sehr, dass Tobias Vetter, der aus Gera kommt, bei den Paracycling-Wettkämpfen dabei ist und dass sich Robert Förstemann mit seinem Tandempartner für die Paralympics qualifiziert.
Seit 2009 sind Sie UCI-Kommissär, bei Bahn-Weltcups und Weltmeisterschaften waren Sie schon Kommissär. Nun Olympia. Ein Traum?
Ja, das ist schon etwas sehr Besonderes. So wie die Sportler nach Olympia streben, ist der Einsatz in Tokio auch für mich als UCI-Kommissär etwas sehr Schönes. Als mich der Verband für die Weltcups in Hongkong und Brisbane eingeteilt hat, schwante mir schon, die werden dich doch nicht einfach mal so um die Welt schicken, und dann kam die Mail und Tokio steht in meinem Kalender.
Auch im Urlaubsplan.
Auch, ja. Ich nehme für meine Reisen als Kommissär meinen Urlaub. 2020 wird da nicht mehr viel übrig bleiben.
Sie sind zurück von der Kalifornien-Tour, ein Rennen der World Tour. Wie lief es. Hatte die Jury viel zu tun?
Oh ja, es gab schon einiges. Allerdings hatte ich nicht den Hut auf, das war Philipp Marien …
… den Mann kennt man, seit er Weltmeister Peter Sagan bei der Tour de France 2017 nach einem Sprintduell mit Mark Cavendish disqualifiziert hat. Das hat schon eine Welle geschlagen. In Kalifornien hat sich Peter Sagan einmal nicht vor der Etappe eingeschrieben, er habe es vergessen, war abgelenkt.
Wie hat die Jury entschieden? Schlau. Wir haben beschlossen, den Fall erst am nächsten Tag zu verhandeln. Sagan ist die Etappe gefahren. Alle haben eine Nacht drüber geschlafen und er hat eine Geldstrafe bekommen – das entspricht dem Reglement. Aber für viel mehr Aufsehen hat eine Juryentscheidung nach einem Massensturz gesorgt.
Erzählen Sie bitte. . . Es gab einen Massensturz 3200 Meter vor dem Ziel. Eigentlich schreibt das Reglement vor, dass bei einem Massensturz erst ab 3000 Meter vor dem Ziel alle darin verwickelten Fahrer auf die gleiche Zeit gesetzt werden. Das war das eine, dass der Sturz eigentlich zweihundert Meter zu früh passiert. Das andere war, dass der Führende Tejay van Garderen zuvor in einen Sturz verwickelt war und sein Team EF Education First noch dabei war, ihn wieder ans Feld heranzufahren – vielleicht 200 Meter haben noch gefehlt, und wir als Jury haben ausgerechnet, dass er in jedem Fall vor dem Ziel noch dran gewesen wäre am Feld und so keine Zeit eingebüßt hätte.
Wie hat die Jury entschieden? Wir haben alle, die in den Massensturz verwickelt waren, und auch den Mann in Gelb mit der gleichen Zeit in die Wertung genommen. Das entsprach dem, was jeder in der Etappe gegeben hat. Wir wollten, dass die Rundfahrt sportlich entschieden wird – was dann bei der nächsten Bergetappe auch passierte , und nicht durch einen Sturz. Wir haben den sportlichen Aspekt in den Vordergrund geschoben. Die einen haben gejubelt, die anderen geschimpft. Das muss man aushalten.
Mal abgesehen vom Fachlichen, nicht jeder kann als Kommissär arbeiten, oder? Gegenwind muss du schon aushalten können. Mir hilft es, dass mir die Natur eine gewisse Gelassenheit mitgegeben hat. Im Prinzip agieren wir Schiedsrichter wie die Sportler. Wir müssen fit sein, wir müssen Entscheidungen treffen, die eine große Tragweite haben, und wir müssen dann auch zu unseren Entscheidungen stehen. Gerade bei den Tatsachenentscheidungen können wir die Zeit ja nicht einfach zurückdrehen und noch mal entscheiden.
Bei den Bahn-Wettkämpfen in Tokio sind Sie als Starter im Einsatz. Spektakulär wird es, wenn Sie die Renner zurück schießen müssen …
Natürlich hofft man, dass alles glatt geht, dass nach dem Start das Rennen regelkonform abläuft. Aber für den Fall, dass es nach dem Start einen Sturz gibt, dann muss ich das Rennen unterbrechen – auch um die Sicherheit der Sportler zu gewährleisten.
Lassen Sie uns doch mal einen Fall konstruieren. Es ist Teamsprint angesetzt. Der Anfahrer kommt nicht gut aus der Startmaschine, nach wenigen Metern strauchelt er. Schießen Sie zurück? Unterstellen Sie dem Fahrer Absicht?
Ich schieße ab – erst recht, wenn die Kontrahenten durch das gestürzte Team blockiert werden könnten. Dann kommt aber die schwierige Entscheidung, ja. Da ist guter Rat teuer, aber eine Entscheidung muss her – und schnell. Wir können nicht in die Köpfe der Sportler schauen – und müssen dann auch in einem gewissen Maße subjektiv entscheiden. Da hilft nur Selbstvertrauen und Routine. Eins ist klar: Die Entscheidung der Jury geht um die Welt – vor allem bei Olympia.
Als Kommissär macht man sich ja nicht nur Freunde?
Das muss man wissen, wenn man als UCI-Kommissär im Einsatz ist. Als ich 2015 in Frankreich eine französische Sportlerin die Bronzemedaille im Scratchrennen aberkennen musste, weil sie ihrer Kontrahentin ins Rad gefahren war, da hatte ich in der Halle erst einmal keine Freunde mehr.
Und Stress am Flughafen, den gibt es auch schon mal...
Sie spielen bestimmt auf meinen Flug nach Wales an?
Ja. Genau.
Die Reise an sich war schon stressig, weil die Bahn zum Flughafen Frankfurt Verspätung hatte. Nur Rennerei und Stress. Und als ich mit meinem Gepäck die Sicherheitskontrolle passieren wollte, wurde ich abgeführt. Da standen die Sicherheitsleute wegen Sprengstoffverdachts mit gezückter Waffe bei mir. Ich war zuvor als Starter im Einsatz und musste sehr, sehr viele Rennen an- und abschießen. Und da müssen auf meinem UCI-Anzug noch Schmauchspuren zu finden gewesen sein. Ich konnte aber alles aufklären und hab meinen Flug nach Cardiff noch erwischt.
Was hat Sie bewogen, unter die Schiedsrichter zu gehen? Meinen ersten Lehrgang habe ich besucht, weil ich wissen wollte, wie eine Jury arbeitet, wie sie zu den Ergebnissen kommt. Ich wollte sicherstellen, dass meine Sportler – damals war ich als Nachwuchstrainer beim SSV Gera aktiv – am Ende auch auf den richtigen Plätzen aufgeführt werden.
Welche Erfahrungen haben Sie als Radsportler mit Jury-Entscheidungen gemacht?
Nur gute (Lacht). Bei einem Kriterium in Weimar war ich eigentlich eine Runde zurück, aber die Jury hat das nicht erkannt und mich im Endklassement mit der vollen Rundenzahl gewertet.