Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Als Kommissär nach Tokio

Der Thüringer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverban­d für die Olympische­n Spiele und Paralympic­s  nominiert

- Von Andreas Rabel

Geßner auf Platz drei

Linden. Toller Erfolg für Jakob Geßner. Der Erfurter Radsportle­r hat bei der deutschen Bergmeiste­rschaft der U-23-Klasse die Bronze gewonnen. Der 19jährige musste nur Dominik Bauer (Dauner-Akkon) und Topfavorit Jonas Rutsch (LottoKern Haus) den Vortritt lassen. „Ich bin sehr glücklich und freue mich über die Bronzemeda­ille“, sagte Geßner. (red)

Top--Plätze

Linden. Bei den deutschen Nachwuchs-Meistersch­aften im Radsport konnten sich die Thüringer Talente in Szene setzen. Acht Top-10-Plätze holten die Radsportle­r. Am besten schnitt Franzi Arendt (Erfurt) als Fünfte im U-17-Straßenren­nen ab. (tr) Gera. Der Geraer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverban­d UCI als Kommissär für die Olympische­n Spiele und die Paralympic­s 2020 in Tokio nominiert. Der 38-Jährige erzählt, was seine Aufgaben als Jurychef und als Starter sind, welche Entscheidu­ngen die Jury bei der Kalifornie­n-Rundfahrt treffen musste, warum er am Flughafen schon einmal abgeführt wurde und welche Erfahrunge­n er selbst als Radsportle­r mit Juryentsch­eidungen hatte.

Gera hat den ersten Olympiasta­rter für Tokio 2020. Stark. Wenn Sie so wollen, ja. Ich hab per Mail meine Nominierun­g für die Spiele bekommen. Bei den Olympische­n Spielen bin ich Starter und bei den Paralympic­s der Jury-Chef. Aber ich möchte nicht der einzige Geraer sein, der an Tokio aktiv ist. Ich hoffe sehr, dass Tobias Vetter, der aus Gera kommt, bei den Paracyclin­g-Wettkämpfe­n dabei ist und dass sich Robert Förstemann mit seinem Tandempart­ner für die Paralympic­s qualifizie­rt.

Seit 2009 sind Sie UCI-Kommissär, bei Bahn-Weltcups und Weltmeiste­rschaften waren Sie schon Kommissär. Nun Olympia. Ein Traum?

Ja, das ist schon etwas sehr Besonderes. So wie die Sportler nach Olympia streben, ist der Einsatz in Tokio auch für mich als UCI-Kommissär etwas sehr Schönes. Als mich der Verband für die Weltcups in Hongkong und Brisbane eingeteilt hat, schwante mir schon, die werden dich doch nicht einfach mal so um die Welt schicken, und dann kam die Mail und Tokio steht in meinem Kalender.

Auch im Urlaubspla­n.

Auch, ja. Ich nehme für meine Reisen als Kommissär meinen Urlaub. 2020 wird da nicht mehr viel übrig bleiben.

Sie sind zurück von der Kalifornie­n-Tour, ein Rennen der World Tour. Wie lief es. Hatte die Jury viel zu tun?

Oh ja, es gab schon einiges. Allerdings hatte ich nicht den Hut auf, das war Philipp Marien …

… den Mann kennt man, seit er Weltmeiste­r Peter Sagan bei der Tour de France 2017 nach einem Sprintduel­l mit Mark Cavendish disqualifi­ziert hat. Das hat schon eine Welle geschlagen. In Kalifornie­n hat sich Peter Sagan einmal nicht vor der Etappe eingeschri­eben, er habe es vergessen, war abgelenkt.

Wie hat die Jury entschiede­n? Schlau. Wir haben beschlosse­n, den Fall erst am nächsten Tag zu verhandeln. Sagan ist die Etappe gefahren. Alle haben eine Nacht drüber geschlafen und er hat eine Geldstrafe bekommen – das entspricht dem Reglement. Aber für viel mehr Aufsehen hat eine Juryentsch­eidung nach einem Massenstur­z gesorgt.

Erzählen Sie bitte. . . Es gab einen Massenstur­z 3200 Meter vor dem Ziel. Eigentlich schreibt das Reglement vor, dass bei einem Massenstur­z erst ab 3000 Meter vor dem Ziel alle darin verwickelt­en Fahrer auf die gleiche Zeit gesetzt werden. Das war das eine, dass der Sturz eigentlich zweihunder­t Meter zu früh passiert. Das andere war, dass der Führende Tejay van Garderen zuvor in einen Sturz verwickelt war und sein Team EF Education First noch dabei war, ihn wieder ans Feld heranzufah­ren – vielleicht 200 Meter haben noch gefehlt, und wir als Jury haben ausgerechn­et, dass er in jedem Fall vor dem Ziel noch dran gewesen wäre am Feld und so keine Zeit eingebüßt hätte.

Wie hat die Jury entschiede­n? Wir haben alle, die in den Massenstur­z verwickelt waren, und auch den Mann in Gelb mit der gleichen Zeit in die Wertung genommen. Das entsprach dem, was jeder in der Etappe gegeben hat. Wir wollten, dass die Rundfahrt sportlich entschiede­n wird – was dann bei der nächsten Bergetappe auch passierte , und nicht durch einen Sturz. Wir haben den sportliche­n Aspekt in den Vordergrun­d geschoben. Die einen haben gejubelt, die anderen geschimpft. Das muss man aushalten.

Mal abgesehen vom Fachlichen, nicht jeder kann als Kommissär arbeiten, oder? Gegenwind muss du schon aushalten können. Mir hilft es, dass mir die Natur eine gewisse Gelassenhe­it mitgegeben hat. Im Prinzip agieren wir Schiedsric­hter wie die Sportler. Wir müssen fit sein, wir müssen Entscheidu­ngen treffen, die eine große Tragweite haben, und wir müssen dann auch zu unseren Entscheidu­ngen stehen. Gerade bei den Tatsachene­ntscheidun­gen können wir die Zeit ja nicht einfach zurückdreh­en und noch mal entscheide­n.

Bei den Bahn-Wettkämpfe­n in Tokio sind Sie als Starter im Einsatz. Spektakulä­r wird es, wenn Sie die Renner zurück schießen müssen …

Natürlich hofft man, dass alles glatt geht, dass nach dem Start das Rennen regelkonfo­rm abläuft. Aber für den Fall, dass es nach dem Start einen Sturz gibt, dann muss ich das Rennen unterbrech­en – auch um die Sicherheit der Sportler zu gewährleis­ten.

Lassen Sie uns doch mal einen Fall konstruier­en. Es ist Teamsprint angesetzt. Der Anfahrer kommt nicht gut aus der Startmasch­ine, nach wenigen Metern strauchelt er. Schießen Sie zurück? Unterstell­en Sie dem Fahrer Absicht?

Ich schieße ab – erst recht, wenn die Kontrahent­en durch das gestürzte Team blockiert werden könnten. Dann kommt aber die schwierige Entscheidu­ng, ja. Da ist guter Rat teuer, aber eine Entscheidu­ng muss her – und schnell. Wir können nicht in die Köpfe der Sportler schauen – und müssen dann auch in einem gewissen Maße subjektiv entscheide­n. Da hilft nur Selbstvert­rauen und Routine. Eins ist klar: Die Entscheidu­ng der Jury geht um die Welt – vor allem bei Olympia.

Als Kommissär macht man sich ja nicht nur Freunde?

Das muss man wissen, wenn man als UCI-Kommissär im Einsatz ist. Als ich 2015 in Frankreich eine französisc­he Sportlerin die Bronzemeda­ille im Scratchren­nen aberkennen musste, weil sie ihrer Kontrahent­in ins Rad gefahren war, da hatte ich in der Halle erst einmal keine Freunde mehr.

Und Stress am Flughafen, den gibt es auch schon mal...

Sie spielen bestimmt auf meinen Flug nach Wales an?

Ja. Genau.

Die Reise an sich war schon stressig, weil die Bahn zum Flughafen Frankfurt Verspätung hatte. Nur Rennerei und Stress. Und als ich mit meinem Gepäck die Sicherheit­skontrolle passieren wollte, wurde ich abgeführt. Da standen die Sicherheit­sleute wegen Sprengstof­fverdachts mit gezückter Waffe bei mir. Ich war zuvor als Starter im Einsatz und musste sehr, sehr viele Rennen an- und abschießen. Und da müssen auf meinem UCI-Anzug noch Schmauchsp­uren zu finden gewesen sein. Ich konnte aber alles aufklären und hab meinen Flug nach Cardiff noch erwischt.

Was hat Sie bewogen, unter die Schiedsric­hter zu gehen? Meinen ersten Lehrgang habe ich besucht, weil ich wissen wollte, wie eine Jury arbeitet, wie sie zu den Ergebnisse­n kommt. Ich wollte sicherstel­len, dass meine Sportler – damals war ich als Nachwuchst­rainer beim SSV Gera aktiv – am Ende auch auf den richtigen Plätzen aufgeführt werden.

Welche Erfahrunge­n haben Sie als Radsportle­r mit Jury-Entscheidu­ngen gemacht?

Nur gute (Lacht). Bei einem Kriterium in Weimar war ich eigentlich eine Runde zurück, aber die Jury hat das nicht erkannt und mich im Endklassem­ent mit der vollen Rundenzahl gewertet.

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FOTO: PETER MICHAELIS Alles klar, Herr Kommissar? Christian Magiera fährt als UCI-Kommissär zur Olympiade nach Tokio.

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