Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Tödliches Drama im Dorfteich

Vor drei Jahren ertranken drei Geschwiste­r in einem Tümpel. Nun ist der Bürgermeis­ter angeklagt

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Neukirchen. Es liegt dem Bürgermeis­ter fern, das Drama kleinzured­en. Was damals passiert ist, sei schrecklic­h, sagt Klemens Olbrich. Drei Geschwiste­rkinder, ertrunken in einem Dorfteich in seiner Gemeinde. Eines aber weist der ehrenamtli­che CDU-Politiker von sich: den Vorwurf, dass er persönlich Schuld auf sich geladen habe. Die Justiz sieht das anders. Die Staatsanwa­ltschaft Marburg hat ihn angeklagt wegen fahrlässig­er Tötung. Demnächst wird sich der 62-Jährige vor Gericht verantwort­en müssen.

Genau drei Jahre ist es her, dass in einem vielleicht 40 Meter breiten und ein bis zwei Meter tiefen Tümpel mitten in Hessen eine Familie zerbrach. An einem Juniabend 2016 spielten dort im zu Neukirchen gehörenden Dorf Seigertsha­usen zwei Jungen (5, 9) und ein Mädchen (8) am Ufer. Niemand hat gesehen, was geschah, aber die spätere Obduktion deutet darauf hin, dass die Kinder abrutschte­n, ins Wasser fielen, mutmaßlich in Panik gerieten und ertranken. Irgendwann suchte ein weiterer, elfjährige­r Bruder nach ihnen, alarmierte Nachbarn, die wiederum die leblosen Körper im trüben Wasser treiben sahen. Als schließlic­h der Bürgermeis­ter von dem Unglück erfuhr und zum Teich kam, hatten Rettungskr­äfte die drei toten Kinder schon am Ufer abgelegt. Ein schockiere­nder Anblick. „Das belastet mich“, so Olbrich. „Die Bilder werden mir zeit meines Lebens nicht mehr aus dem Kopf gehen.“

Seitdem ist nicht nur für die Familie, die drei ihrer sechs Kinder verlor, alles anders. Für jeden der rund 600 Menschen in Seigertsha­usen ist die Situation belastend. Eigentlich schätzen sie die Ruhe in dem historisch gewachsene­n Dorf mit viel Fachwerk zwischen Marburg und Bad Hersfeld, fast alle kennen sich aus der Trachtengr­uppe, der Burschensc­haft oder dem Wandervere­in. Doch seit drei Jahren leben sie mit einem Bürgermeis­ter, dem im schlimmste­n Fall eine bis zu fünfjährig­e Freiheitss­trafe droht. Laut Staatsanwa­ltschaft versäumte es Olbrich, das bis heute frei zugänglich­e Gewässer einzuzäune­n – um Gefahren abzuwenden. Dafür sei der Rathaus-Chef verantwort­lich gewesen.

Dass der genaue Prozesster­min immer noch nicht feststeht, liegt an einem langen juristisch­en Hin und Her: Das Amtsund das höhergeste­llte Landgerich­t stritten darüber, welche Behörde zuständig ist. Nun ist klar, dass der brisante Fall vor dem Amtsgerich­t Schwalmsta­dt verhandelt wird.

Klemens Olbrich, seit fast 30 Jahren im Amt, hat sich fachkundig­e Hilfe geholt. Sein Verteidige­r heißt Karl-Christian Schelzke und war früher selbst Bürgermeis­ter – in Mühlheim am Main. Er verneint Olbrichs Verantwort­ung: „Es gibt Schicksale, für die es keinen Schuldigen gibt. In unserer Vollkasko-Mentalität nehmen wir Deutschen an, man könne immer einen Schuldigen finden.“Er spricht von „ungünstige­n Umständen“, die zum Tod der Kinder geführt hätten. Es habe keine Hinweise auf eine Gefahr gegeben, der Teich existiere seit mehr als 100 Jahren und nie sei zuvor etwas passiert. Bürgermeis­ter im ganzen Land schauen auf den Prozess. Sollte Olbrich verurteilt werden, müsste jedes Stadtoberh­aupt damit rechnen, künftig für Badeunfäll­e verantwort­lich gemacht zu werden, wenn das Gewässer nicht eingezäunt war.

Es scheint denkbar, dass Klemens Olbrich irgendwie glimpflich davonkommt, dass das Verfahren zum Beispiel eingestell­t wird. Doch ihm und seinem Anwalt reicht das nicht. Schelzke: „Wir wollen einen Freispruch.“

 ?? FOTOS: UWE ZUCCHI/DPA, STADT NEUKIRCHEN ?? Erinnerung und Trauer am Dorfteich in Hessen.
FOTOS: UWE ZUCCHI/DPA, STADT NEUKIRCHEN Erinnerung und Trauer am Dorfteich in Hessen.
 ??  ?? Klemens Olbrich, Bürgermeis­ter von Neukirchen
Klemens Olbrich, Bürgermeis­ter von Neukirchen

Newspapers in German

Newspapers from Germany