Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Tief im Osten
Ein neuer Bildband zeigt, was von der DDR übrig blieb.
In diesem Jahr feiern die Deutschen 30 Jahre Einheit. Verschwunden ist die DDR deshalb aber noch lange nicht. Andreas Metz hat Zeugnisse aus 40 Jahren Lebens-und Alltagskultur gesucht und gefunden – seine „Ost Places“sind nostalgische Erinnerung und verstörende Gegenwart
Erfurt hat seinen Renau wieder. Mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit wurde das 30 mal 7 Meter große Mosaik „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“des spanischen Künstlers Josep Renau vier Jahre lang restauriert und schließlich dieser Tage am angestammten Platz in der Landeshauptstadt reinstalliert. Nur wenige Meter Luftlinie davon entfernt, dämmert im selben Neubaugebiet derweil das monumentale Wandbild „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“von Erich Enge an der Fast-Ruine eines geschlossenen Kulturhauses vor sich hin.
Zweimal DDR-Geschichte zwischen Vernachlässigung und Rückbesinnung. Vieles von dem, was einst Leben und Alltag in der DDR mitbestimmte, ist verschwunden oder dem Verfall überlassen, weniges überdauerte den Kehraus der Nachwendezeit. Verbliebene Kultur-, Freizeit- und Versorgungseinrichtungen, Fabriken, Denkmale und Kunst im öffentlichen Raum geben nicht selten ein trauriges Bild ab. Allgemein hat sich für solche vergessenen Orte der Begriff „Lost Places“– „vergessene Orte“eingebürgert. Für teils bizarre Bilder spüren sogenannte Stadterkunder (engl. Urbexer von Urban Exploring) mit der Kamera in Fabrikruinen und verwilderten Stadträumen der morbiden Spannung zwischen einstiger Bedeutung und gegenwärtigem Verfall nach.
Etwas davon steckt natürlich auch in der wunderbaren Wortschöpfung „Ost Places“, die Andreas Metz für seine fotografische Spurensuche ersann. Darüber hinaus sucht der knapp 50-jährige Fotograf auch nach dem, was 30 Jahre nach der friedlichen Revolution hinter der noch immer oder gerade wieder heftig diskutierten OstIdentität steckt. Metz hat seine Wurzeln im hessischen Frankfurt am Main. Für viele Westdeutsche nicht nur seiner Generation sei die DDR bis heute eine unbekannte Welt geblieben, schreibt er. Doch auch in Ostdeutschland sei inzwischen eine Generation erwachsen geworden, die das Leben im anderen Staat auf deutschem Boden nur aus Erzählungen kennt.
Zwei Jahre lang, von 2017 bis 2019, brach Metz immer wieder mit der Kamera per Fahrrad, Bahn oder Bus auf, um zwischen Rostock und Suhl festzuhalten, was von der DDR übrig blieb. Verblichene Inschriften und Kunstwerke auf Häuserwänden, Losungen an bröckelnden Mauern oder gewaltige Fabrikruinen sind für ihn auch ein Schlüssel zu einer verschwindenden Welt, deren Geschichten bald keiner mehr erzählen kann. Träume verblassen, Ost Places werden zu Lost Places.
Das Interesse an Fotos aus DDRZeiten ist nach wie vor groß. Fotografen wie Harald Hauswald, Roger Melis oder Ulrich Burchert öffnen mit ihren authentischen Fotografien ein Fenster zur Vergangenheit. Von diesem „bunten Leben in der DDR“geblieben ist bei Andreas Metz die Kulisse. Auch seine Fotos helfen dem erinnerungsschwachen Bildgedächtnis auf die Sprünge. Zugleich stimmen sie nachdenklich. Was wäre, wenn… Wenn die Kyffhäuser Maschinenfabrik in Artern mit einst 3000 Beschäftigten nicht abgewickelt worden wäre? Inzwischen ist die Fabrikbezeichnung „Maschinenfabrik Kyffhäuserhütte“kaum noch lesbar. Wenn im Filmtreff in Artern noch Filme gezeigt würden? Wenn in der Soft-EisBar in Bad Sulza, von der nur noch die Fassadenaufschrift blieb, weiter Eisträume verkauft würden? Oder wenn das Kulturhaus mit dem Wandbild von Erich Enge nicht geschlossen worden wäre?
In diesem gerade beginnenden Jahr 2020 erinnern die Deutschen an 30 Jahre deutsche Einheit. Von einer Geschichte anhaltender Fremdheit zwischen Ost und West spricht die Schriftstellerin Ines Geipel, zum Jubiläum dominieren die kritischen Töne. Das Buch von Andreas Metz ist etwas von beidem – Wasser auf die Mühlen derer, die zu viel vom Osten preisgegeben wähnen auf der einen und Aufforderung zum kritischen Sehen und Erinnern auf der anderen Seite. Die DDR zu entdecken und ihren Alltag in seiner ganzen Widersprüchlichkeit besser zu verstehen, mag ein Wettrennen gegen die Zeit sein. Die Geschichten, die dabei überliefert und erzählt werden können, sind es aber allemal wert.