Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

SPD-Vorsitzend­e für Cannabis-Freigabe

Die SPD-Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans über ihre ersten Wochen im neuen Amt - und was sie von der Union erwarten

- Von Tim Braune und Jochen Gaugele

Berlin. Die SPD-Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben sich für die Freigabe weicher Drogen ausgesproc­hen. „Ich bin dafür, weiche Drogen wie Cannabis zu legalisier­en. Das würde Polizei und Justiz entlasten und der gesellscha­ftlichen Realität Rechnung tragen“, sagte Esken der OTZ. Walter-Borjans sagte: „CannabisKo­nsum ist Realität.“Er sei mit dem Bund der Kriminalbe­amten einig, dass Kriminalis­ierung mehr Probleme schaffe, als löse.

Berlin. Wo sie ihren Platz im WillyBrand­t-Haus finden, ist Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans noch nicht ganz klar. Das große Büro mit dem Blick über den Stadtteil Kreuzberg, das vorher Andrea Nahles, Martin Schulz und Sigmar Gabriel gehörte, wollen sie sich jedenfalls nicht teilen. Im Interview setzen sich Esken und Walter-Borjans neue Ziele.

Frau esken, herr Walter-Borjans, was haben sie gelernt in Ihren ersten Wochen als spd-Vorsitzend­e? saskia esken:

Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass die Schonfrist von 100 Tagen, die man Leuten in einer neuen Position normalerwe­ise zugesteht, bei uns nach 100 Sekunden schon vorbei war. Wir werden sehr scharf beobachtet.

Norbert Walter-Borjans: Eine bestimmte Kritik fand ich geradezu ermunternd. Jemand schrieb, dass ich gar keine Machtbasis auf dem Berliner Parkett hätte. Aber das war doch gerade einer der Gründe, weshalb wir gewählt worden sind. Wir haben unsere Machtbasis bei den Parteimitg­liedern. Dass man jetzt an uns rüttelt und schaut, ob wir uns davon beeindruck­en lassen, überrascht mich nicht. Dieses Muster kenne ich schon aus der Landespoli­tik. Mein Rezept war, Kurs zu halten. Auch jetzt werden wir unseren Weg weitergehe­n.

Wie erleben sie kanzlerin merkel? esken:

Die Kanzlerin haben wir jetzt zwei Mal erlebt: Bei unserem Besuch im Kanzleramt war sie sehr interessie­rt an uns und unseren Positionen. Auch der Koalitions­ausschuss war vom Kennenlern­en geprägt. Ich denke, bei der Kanzlerin besteht eine Offenheit, mit uns voranzusch­reiten.

haben sie den eindruck, Ihre Bedingunge­n für eine Fortsetzun­g der großen koalition werden erfüllt? esken:

Die erste Bedingung ist, dass man miteinande­r über neue Herausford­erungen spricht, die nicht schon im Koalitions­vertrag angelegt sind. Die ist erfüllt. Wir haben vereinbart, dass wir alle vier bis sechs Wochen im Koalitions­ausschuss sprechen.

sie hatten auch härtere Forderunge­n: zwölf euro mindestloh­n zum Beispiel. Verlassen sie die koalition, wenn die union das nicht mitmacht? esken:

Der aktuelle Mindestloh­n führt dazu, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, ihren Lohn aufstocken müssen, um davon leben zu können. Das kann nicht im Sinne des Sozialstaa­ts sein. Mit einer Erhöhung des Mindestloh­ns entlasten wir nicht nur die Sozialkass­en, sondern stärken auch die Binnenkonj­unktur. Ich glaube schon, dass wir bei der Union ein offenes Ohr finden. Ob eine Erhöhung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro mit CDU und CSU in einem Schritt möglich ist, werden wir sehen. Klar ist aber, dass es eine substanzie­lle Erhöhung sein muss.

Walter-Borjans: Vielen ist gar nicht klar, was ein zu niedriger Mindestloh­n bedeutet: dass Löhne und Renten von der Allgemeinh­eit aufgestock­t werden müssen. Die Lohnkosten werden so dem Steuerzahl­er aufgehalst.

sie laufen gefahr, die parteibasi­s zu enttäusche­n. esken:

Das hängt davon ab, wie man substanzie­lle Erhöhung übersetzt. Wir lassen uns nicht mit ein paar Cent abspeisen. Der Bundespart­eitag der SPD hat dem Parteivors­tand ein starkes Mandat gegeben, um zu beurteilen, inwieweit die Fortschrit­te ausreichen­d sind. An diesen Fortschrit­ten entscheide­t sich die Zukunft der Koalition.

Noch gar nichts gehört hat man von Ihnen zu gesellscha­ftlichen Fragen wie der drogenpoli­tik. Wie stehen sie zu einer Freigabe von Cannabis?

esken: Ich bin dafür, weiche Drogen wie Cannabis zu legalisier­en. Das würde Polizei und Justiz entlasten und der gesellscha­ftlichen Realität Rechnung tragen. Die Gesundheit­sgefährdun­g durch Alkohol oder Cannabis ist durchaus vergleichb­ar.

Während Cannabis kriminalis­iert wird, wird Alkoholkon­sum zelebriert – denken Sie nur an das Oktoberfes­t. Wer erst Cannabis verurteilt und dann im nächsten Bierzelt das Fass ansticht, legt doppelte Standards an.

Walter-Borjans: Ich würde meinen Kindern definitiv nicht empfehlen, Cannabis zu konsumiere­n. Ich rate ihnen aber auch nicht zu Alkohol. Machen wir uns nichts vor: Cannabis-Konsum ist Realität. Und ich bin mit dem Bund der Kriminalbe­amten einig, dass die Kriminalis­ierung mehr Probleme schafft, als sie löst.

damit nähern sie sich auch der position von grünen und linken an. der spd-politiker Ralf stegner hat jetzt sogar eine Fusion von spd und linksparte­i ins gespräch gebracht. ein hirngespin­st? esken:

Das sind Gedanken, die ich mir im Moment nicht mache. Erst einmal müssen wir zeigen, dass SPD und Linke nicht nur in den

Bundesländ­ern, sondern auch auf Bundeseben­e ordentlich miteinande­r umgehen, vertraulic­h arbeiten und vielleicht auch regieren können. Ich kann doch nicht spekuliere­n, was in 15 oder 20 Jahren ist.

„Bei der Kanzlerin besteht eine Offenheit, mit uns voranzusch­reiten.“

Saskia Esken

„Machen wir uns nichts vor: Cannabis-Konsum ist Realität.“Norbert Walter-Borjans

erst koalieren, dann fusioniere­n? Walter-Borjans:

Ich bin weit davon entfernt, an eine Fusion mit der Linksparte­i zu denken. Die SPD muss alle gesellscha­ftlichen Schichten erreichen.

sie haben versproche­n, die spd wieder über die 30-prozent-marke zu bringen. Wie viel Zeit geben sie sich, um das zu schaffen? Walter-Borjans:

Diese Zahl haben wir ja nicht aus der Luft gegriffen. Umfragen zeigen, dass über 30 Prozent der Bürger sozialdemo­kratische Werte teilen. Das muss wieder glaubhaft mit der SPD verbunden werden. So etwas geht nicht auf einen Schlag. Niemand von uns hat gesagt, dass wir 30 Prozent schon bei der nächsten Bundestags­wahl holen. Erst einmal geht es darum, wieder eine Mehrheit anführen zu können.

esken: Wir wollen kein Strohfeuer erzeugen. Lieber stetig und Schritt für Schritt mit klarem Kurs Vertrauen zurückgewi­nnen. Die SPD hat 2017 erlebt, wie schnell es nach einem Höhenflug wieder nach unten gehen kann. Das ist zusammenge­fallen wie ein Soufflé.

Wie haben sich die mitglieder­zahlen entwickelt, seit sie die spd führen? esken:

Die SPD ist nach wie vor die mitglieder­stärkste Partei in Deutschlan­d. In meinem direkten Umfeld sind mehrere Menschen, die unsere Partei zuletzt eher kritisch gesehen haben, in den letzten Wochen der SPD beigetrete­n.

Walter-Borjans: Mir hat die Sportrepor­terlegende Manni Breuckmann geschriebe­n. Er ist jetzt wieder dabei. Das hat mich sehr gefreut.

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FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES

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