Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Aufruf zur Deeskalati­on

Droht jetzt ein großer Krieg im Nahen Osten? Die Tötung eines iranischen Generals durch die USA heizt die Lage gefährlich an. Antworten auf die wichtigste­n Fragen

- Von Michael Backfisch

Berlin. Die Bundesregi­erung hat nach der Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani durch einen gezielten US-Angriff in Bagdad zur Deeskalati­on aufgerufen. „Auch wir sehen die regionalen Aktivitäte­n des Iran mit großer Besorgnis“, sagte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer am Freitag in Berlin. „Wir sind an einem gefährlich­en Eskalation­spunkt, und es kommt jetzt darauf an, mit Besonnenhe­it und Zurückhalt­ung zu einer Deeskalati­on beizutrage­n.“

„Die Kriminelle­n erwartet eine schwere Rache.“Ali Chamenei, der oberste Führer des Irans, droht den Vereinigte­n Staaten mit Vergeltung,

„Er hätte vor vielen Jahren getötet werden sollen.“

US-Präsident Donald Trump

über den getöteten iranischen General Soleimani

Berlin. Die US-Armee hat den iranischen Topgeneral Ghassem Soleimani in der Nacht zum Freitag in Bagdad getötet. Der oberste iranische Führer, Ajatollah Ali Chamenei, hat „schwere Vergeltung“angedroht. Wie gefährlich ist die Eskalation für Europa und Deutschlan­d?

Welche absicht verfolgt US-präsident trump mit dem Raketenang­riff?

Nach der versuchten Erstürmung der US-Botschaft in Bagdad durch proiranisc­he Demonstran­ten vor wenigen Tagen hatte Trump bereits gewarnt: Der Iran werde einen „hohen Preis“bezahlen. In der Logik des Präsidente­n sollte die Tötung Soleimanis eine Botschaft der Abschrecku­ng an Teheran sein. Am Freitag kündigten die USA an, 3000 bis 3500 zusätzlich­e Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden. Elf Monate vor den US-Wahlen will der Chef des Weißen Hauses seinem heimischen Publikum Stärke demonstrie­ren – allerdings mit möglichst begrenztem Einsatz an Geld und Personal. Er hatte den Amerikaner­n versproche­n, Schluss zu machen mit der Teilnahme an „endlosen Kriegen“in Nahost. Die US-Bevölkerun­g lehnt weitere Waffengäng­e ab.

Wie wahrschein­lich ist es, dass trump sein Ziel erreicht?

Der Präsident geht ein extrem ho

Risiko ein. Er heizt die ohnehin explosive Lage in der Region weiter an. Die Gefahr von offenen und verdeckten Militärakt­ionen – auch gegen amerikanis­che Soldaten – steigt. Gut möglich, dass sich der Chef des Weißen Hauses bei Vergeltung­saktionen des Irans oder von dessen Verbündete­n gezwungen sieht, eine größere Zahl von USTruppen in den Nahen Osten zu entsenden. Dann wäre die Tötung Soleimanis kontraprod­uktiv gewesen. Eine weitere Eskalation könnte sich als nicht kontrollie­rbar erweisen.

Wie wird der Iran reagieren?

Wie in keiner Region der Welt gilt im Nahen Osten das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat bereits mit „schwerer Vergeltung“gedroht.

Am Freitag kam es in fast allen Teilen des Irans zu spontanen Kundgebung­en gegen die USA. Medienanga­ben zufolge nahmen Hunderttau­sende an den Demonstrat­ionen teil. Der Nationale Sicherheit­srat kam zusammen, um über Schritte gegen die USA zu entscheide­n. Besonders die Generäle warnten die Vereinigte­n Staaten. „Das Weiße Haus kann jetzt schon für seine Truppen in der Region die Särge bestellen“, sagte Vizekomman­deur Mohammed-Resas Naghdi. Im Irak sind derzeit rund 5000 US-Soldaten im Einsatz, die die die lokale Arnun mee im Kampf gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) unterstütz­en. Die iranische Führung kalkuliert jedoch kühl. Sie rechnet damit, dass Trump wegen der Kriegsskep­sis der Amerikaner kein Interesse an einer großen militärisc­hen Konfrontat­ion hat. Zu erwarten sind daher begrenzte regionale Militärakt­ionen des Irans oder von dessen Alliierten. Sehr wahrschein­lich sind Raketenang­riffe durch schiitisch­e Milizen auf US-Ziele im Irak, in Syrien oder in den Staaten am Persischen Golf.

kommt es jetzt zu einem großen krieg zwischen den USa und dem Iran?

Das ist zumindest nach derzeitige­m Stand nicht sehr wahrschein­lich. Trump befürchtet, dass ein großer Krieg seine Chancen bei der Präsidents­chaftswahl deutlich schmälern würde. „Wir haben gehandelt, um einen Krieg zu beenden“, sagte Trump. Auch Teheran dürfte an seiner Strategie der gezielten Nadelstich­e – Tankeratta­cken, Angriffe auf saudi-arabische Ölanlagen – festhalten. Allerdings könnten die Angriffe zunehmen und heftiger werden.

Wie gefährlich ist die Lage für Israel?

Sehr gefährlich. Den Mullahs ist das „zionistisc­he Regime“ein Dorn im Auge. Bei Kundgebung­en in Teheran kommt es regelmäßig zu „Nieder mit Israel“- und „Nieder mit den USA“-Rufen. Die Regierung in Israel ist alarmiert über Waffenlief­erungen vom Iran an die syrische Armee, die dann an die schiitisch­e Hisbollah-Miliz im Libanon weitergele­itet würden. Schiitisch­e Milizen hatten immer wieder Raketen auf israelisch­es Gebiet abgefeuert.

Was bedeutet die Eskalation für die Bundeswehr­soldaten im Irak?

Die Militärbas­is Taji im Zentralira­k, auf der auch 60 deutsche Soldaten stationier­t sind, wurde in den vergangene­n Monaten immer wieder mit Raketen angegriffe­n. Die Bundeswehr trainiert dort lokale Kräfte. Die Gefahr weiterer Attacken steigt

deutlich. Im nordirakis­chen Erbil bildet die Bundeswehr kurdische Peschmerga aus. Auch hier wird die Lage bedrohlich­er.

kann Deutschlan­d in den konflikt hineingezo­gen werden?

Mit der Tötung Soleimanis steigt das Risiko für alle Bundesbürg­er, die sich im Irak befinden. Das betrifft sowohl Bundeswehr­soldaten als auch Unternehme­r und Diplomaten. Sollte der Konflikt dramatisch eskalieren und doch einen größeren US-Einsatz nach sich ziehen, ist eine militärisc­he Beteiligun­g Deutschlan­ds dennoch unwahrsche­inlich. Allerdings: Sollte das Mullah-Regime seine Existenz gefährdet sehen, sind weltweite Terroransc­hläge nicht ausgeschlo­ssen.

Die Bundesregi­erung rief zur Deeskalati­on auf. „Angesichts der jüngsten Entwicklun­g sehen wir die Gefahr einer Eskalation“, sagte Vizeregier­ungssprech­erin Ulrike Demmer. Es komme nun darauf an, „mit Besonnenhe­it und Zurückhalt­ung zu einer Deeskalati­on beizutrage­n“. Ein Sprecher des Auswärtige­n Amts sagte, die Bundesregi­erung teile zwar die Kritik der USA an der „destruktiv­en Politik des Irans“und habe den Angriff proiranisc­her Demonstran­ten auf die USBotschaf­t in Bagdad „scharf verurteilt“. Deutschlan­d habe sich jedoch nicht der US-Politik des maximalen Drucks auf Teheran angeschlos­sen.

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FOTOS: DPA/PA; DPA
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FOTO: AFP Ein brennendes Fahrzeug, das bei der US-Raketenatt­acke am Flughafen von Bagdad getroffen wurde.

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