Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Wappnen gegen die Schweinepest
Tierseuche ist nur noch 21 Kilometer entfernt. Behörden und Landwirte in Sorge. Besuch einer Übung in Sachsen
Dresden. Zuerst wird die Zange hinter den Ohren angesetzt. Acht Sekunden Strom, direkt durchs Gehirn, erklärt der Mann mit der schwarzen Windjacke, dann ist das Schwein betäubt. Dann, wenn das Tier umgekippt ist, wird die Zange neu angesetzt, ein Ende auf die Brust, das andere zwischen die Schulterblätter. Noch einmal acht Sekunden Strom, dieses Mal durchs Herz. Dann ist das Schwein tot.
Das Schwein, das da zur Demonstration dienen muss, ist weiß und aus Plastik, bunte Klebestreifen markieren die Position der Zange. Strom fließt an diesem Tag keiner. Im Ernstfall, sagt der Mann mit der Windjacke, gehe das alles sehr schnell. Dann wäre ein Betrieb, wie der, bei dem diese Vorführung stattfindet, an einem Nachmittag geräumt, alle Tiere tot und abtransportiert.
Der Ernstfall heißt Afrikanische Schweinepest. Eine nur für Schweine hoch ansteckende, nahezu immer tödliche Tierseuche, die nur noch wenige Kilometer von der polnisch-deutschen Grenze entfernt ist, und damit von deutschen Schweineställen. Dass sie dort ankommt, wollen Bauern und Behörden unbedingt verhindern. Deswegen stapfen an einem Wintertag eine sächsische Staatssekretärin, Behördenmitarbeiter aus anderen Bundesländern, Mitarbeiter des Veterinäramts und des Technischen Hilfswerks sowie zahlreiche Journalisten über das Gelände der Ferkelzucht von Schweinebauer Martin Tigchelaar am äußeren Rand von Dresden. Es ist Tag vier einer viertägigen Übung im Freistaat.
Infizierte Tiere bekommen Fieber und verenden qualvoll
Der Mann mit der Windjacke, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, leitet ein Unternehmen zur Bekämpfung von Tierseuchen, mit dem die sächsische Landesregierung zusammenarbeitet. Seine Aufgabe ist es zu zeigen, was passiert, wenn das Virus trotz aller Vorsichtsmaßnahmen einen Hausschweinbestand erreicht hat. Und wie ein Bestand getötet und entsorgt wird – in der Hoffnung, dass es nicht auch noch den nächsten Betrieb erwischt.
Auf Bundesebene und in vielen Bundesländern haben solche Übungen schon stattgefunden, vor allem im Osten. Denn die Seuche kommt näher. Im Dezember meldete Polen einen Fall 40 Kilometer vor der deutschen Grenze. Anfang Januar sind es noch 21 Kilometer.
Vorbereitung für den Ernstfall: In Sachsen üben Behördenmitarbeiter, wie sie ein totes Wildschwein bergen.
Landwirte und Seuchenbehörden sind alarmiert, das zuständige Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit hat seine Risikobewertung kurz vor Weihnachten aktualisiert – das Risiko, dass Wildschweine die Krankheit nach Deutschland tragen, bewerten die Experten jetzt als „hoch“. Die Afrikanische Schweinepest ist für Menschen nicht gefährlich, auch nicht für andere Tiere. Wild- und Hausschweine aber sterben in 90 Prozent aller Fälle, sagt Sandra Blome, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Krankheit am Friedrich-Loeffler-Institut. Die Tiere verenden qualvoll: mit Fieber, Lungenödemen, Blutungen und zum Teil
Krampfanfällen. „Am Ende sterben sie an Organversagen“, sagt Blome. Impfstoffe oder Medikamente gibt es keine.
Zum Teil verbreitet sich das Virus über schwer zu kontrollierende Wildschwein-Populationen, weshalb in Sachsen auch das Auffinden toter Tiere mit Drohnen und Hunden geprobt wurde. Doch die größte Gefahrenquelle ist der Mensch: Ein Wurstbrötchen mit Fleisch von einem infizierten Tier, achtlos an einer Autobahnraststätte entsorgt und von einem Wildschwein gefunden, kann reichen, die Krankheit weiterzutragen.
Das Bundesministerium für Landwirtschaft hat deshalb schon 2017 eine Aufklärungskampagne gestartet, unter anderem mit mehrsprachigen Handzetteln, die eindringlich bitten, Speisereste nur in geschlossene Mülleimer zu werfen. Brandenburg hat mit dem Bau von mobilen Zäunen an der Grenze zu Polen begonnen. Im Saarland bildet man eigens Suchhunde aus, die infizierte Wildschweinkadaver aufspüren sollen.
Eine Garantie, dass die Krankheit aus den Ställen herausgehalten werden kann, ist all das nicht. Weshalb eben der Mann in der Windjacke auf diesem Hof in Dresden steht und erklärt, wie man schnell und effizient
viele Schweine tötet. Hinter ihm und dem Plastikschwein ducken sich altersgraue Flachbauten in die Landschaft. Dass hier 1800 Ferkel leben, hört und sieht man nicht. Nur wenn der Wind dreht, ahnt man, dass sie da sein müssen.
Bei Ferkeln, sagt der Mann von der Seuchenbekämpfungsfirma, würde die Zange gar nicht zum Einsatz kommen. Sie passen stattdessen gut in metallene Verladeboxen, und die wiederum passen gestapelt gut in einen hermetisch verschließbaren Container. In dem würden die Ferkel dann vergast.
Bauer Tigchelaar ist Schweinehalter in der dritten Generation. Mehrere Tausend Tiere hat er an fünf Standorten im Freistaat. Alle verwundbar, wenn die Krankheit nach Deutschland kommt. „Die Angst ist jeden Tag da“, sagt er.
Nicht nur für ihn wäre die Seuche eine wirtschaftliche Katastrophe. Schon ein einziger Fall würde reichen, um einen Exportstopp in viele Länder außerhalb der EU auszulösen – auch nach China. Einer der wichtigsten Märkte für deutsche Schweinehalter wäre damit weg. Ausgerechnet dort profitieren sie bisher von der Seuche. Denn die grassiert längst in der Volksrepublik, 40 Prozent des Bestands sollen dort verloren gegangen sein. Das Land deckt seinen Bedarf an Schweinefleisch zunehmend über Importe – für deutsche Schweinehalter bedeutet das Preise, die so hoch liegen wie seit 2001 nicht mehr. Damit wäre Schluss, wenn es die Afrikanische Schweinepest nach Deutschland schafft.
Sollte sich das nicht verhindern lassen, hoffen die Behörden, die Krankheit schnell in den Griff zu bekommen. Dass dies möglich ist, zeigt Tschechien, wo die Seuche 2017 festgestellt wurde. Das Land handelte zügig, isolierte das betroffene Gebiet mit Zäunen, durchkämmte den Wald nach infizierten Kadavern, schickte Scharfschützen auf die Jagd. Seit Februar 2019 gilt Tschechien als frei von der Afrikanischen Schweinepest.