Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Überall Verlierer
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat in seinem ersten Amtsjahr der Natur, den Ureinwohnern und der Demokratie erheblich zugesetzt. Eine Analyse
brasilia/mexiko-stadt. Seit einem Jahr steht Jair Bolsonaro an der Spitze des fünfgrößten Landes der Erde. Seitdem hat sich Brasilien radikal verändert – für viele Menschen zum Schlechten. Verlierer sind zum Beispiel der AmazonasRegenwald und die Umwelt ganz allgemein. Die Meinungs- und Pressefreiheit. Minderheiten wie Schwule, Lesben und vor allem die Indigenen. Besonders aber die Demokratie.
Als Gewinner dürfen sich ein bisschen die Unternehmer und die Wirtschaft fühlen. Denn Bolsonaro hat immerhin die Reform der Pensionskassen durchgebracht, und sein Superminister Paulo Guedes hat noch weitere neoliberale Veränderungen in der Pipeline wie eine Steuer- und Gemeindereform. Aber die größte Wirtschaft Lateinamerikas findet noch nicht wie versprochen auf den Wachstumspfad zurück. Nach drei Rezessions- und zwei Stagnationsjahren erwarten die meisten Investmentbanken dieses Jahr ein Wachstum von einem Prozent. 2020 soll Brasilien um rund zwei Prozent wachsen – viel zu wenig für eines der größten Schwellenländer. Und weniger, als Bolsonaro versprochen hat.
Dementsprechend ist auch die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Amtsführung ihres polternden Präsidenten nur mäßig. Lediglich ein Drittel der Brasilianer findet, ihr Staatschef mache einen guten Job. Aber 36 Prozent halten laut dem Meinungsforschungsinstitut Datafolha sein Mandat bisher für einen Totalausfall. Das ist einer der schlechtesten Werte nach einem Jahr für einen Präsidenten in der Geschichte des Landes. Besonders beunruhigen müsste Bolsonaro, dass 80 Prozent der Brasilianer seinen Erklärungen und Aussagen misstrauen. Der 64-Jährige eifert in diesem Punkt seinem Vorbild Donald Trump nach – „Fake News“als Staatsräson.
Da ist es auch nicht hilfreich, dass gegen seinen Sohn Flávio, der heute im Senat sitzt, Vorwürfe der Veruntreuung öffentlicher Gelder erhoben werden. Einige der Liegenschaften von Bolsonaro junior wurden im Rahmen einer Anti-Korruptionsermittlung kurz vor Weihnachten durchsucht. Der Filius – einer von drei Söhnen, die in der Politik aktiv sind – ist eigentlich als der Vizepräsident
der von seinem Vater neu gegründeten Partei „Allianz für Brasilien“vorgesehen, die sich dem Kampf gegen Korruption und der Durchsetzung christlicher Werte verschrieben hat.
Für die Politologin Isabela Kalil hat sich Bolsonaro im ersten von vier Amtsjahren, das am 31. Dezember endete, so benommen, als sei er noch im Wahlkampfmodus. Er teilt die Gesellschaft in Freunde und Feinde. „Das ist beunruhigend“und spalte das Land, betont Kalil.
Man sieht das zum Beispiel anhand des Kreuzzugs, den der rechtsextreme Präsident gegen den kulturellen Fortschritt begonnen hat. Bolsonaro hat sich vorgenommen, das 15-jährige Erbe der linksliberalen Regierungen der Arbeiterpartei PT komplett zu tilgen. Dabei geht es vor allem um das, was „Bolsonaristas“als liberale Gleichmacherei geißeln: Gender-Agenda, alternative Lebensentwürfe und -modelle. Minderheitenrechte, positive Diskriminierung von Afrobrasilianern und ganz besonders den Schutz der Ureinwohner, ihrer Rechte und Territorien. „Die Regierung hat uns Ureinwohner zum Feind erklärt, weil wir der ungehinderten Ausbeutung des Regenwaldes und der Bodenschätze
im Weg stehen“, sagt die Indigenen-Aktivistin Sônia Guajajara. Bolsonaro ebne mit seinem Diskurs der Ausgrenzung den Weg für Angriffe auf Schwarze, Arme, Ureinwohner und Aktivisten.
Überhaupt sei Bolsonaro eine Bedrohung nicht nur für die Indigenen, sondern auch für den Amazonas-Regenwald und folglich auch für den gesamten Planeten, sagt Guajajara. Das hat sich jetzt auch wieder auf der Klimakonferenz in Madrid gezeigt, wo Brasilien zu den Bremserstaaten zählte. Seit den großen Amazonas-Bränden im vergangenen Sommer trägt Bolsonaro ohnehin den Stempel des Klimakillers. Er verbittet sich die Einmischung in
seine Umweltpolitik hinsichtlich des Amazonas mit dem Hinweis, dass der Regenwald eine rein brasilianische Angelegenheit sei und als „Lunge des Planeten“nicht etwa eine Art ökologisches Weltkulturerbe.
in den schulen wird jetzt militärischer drill gelehrt
Auch für die Meinungs- und Pressefreiheit war 2019 ein verlorenes Jahr. Andersdenkende haben angesichts von Drohungen den Weg ins Exil gesucht. Medien wie die renommierte Zeitung „Folha de São Paulo“attackiert Bolsonaro permanent, bezeichnet die Reporter „als fürchterliche Schwule“. In den Schulen wird wieder militärischer Drill gelehrt, Gender-Ideologie steht auf dem Index. Schüler werden zu Denunzianten ausgebildet, indem sie aufgefordert werden, ihre Lehrer zu filmen, sollten sie „linkes Gedankengut“verbreiten.
Aber schon das zweite Amtsjahr könnte für Bolsonaro unangenehmer werden. Sein Erzfeind und einer seiner Vorgänger, Lula da Silva, ist nach einer Korruptionsanklage wieder auf freiem Fuß. Er hat sich vorgenommen, 2022 wieder an die Macht zurückzukehren.
„Die Regierung hat uns Ureinwohner zum Feind erklärt.“Sônia Guajajara,