Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Für zwei Stunden die Könige von Schleiz

René Dünki über sein erstes Mal Schleiz – zu einer Zeit, als die Mauer noch Stand

- Von Jan Müller

Schleiz. René Dünki war 1989 als Privatfahr­er bei einigen Weltmeiste­rschaftsun­d vielen Europameis­terschafts­läufen aktiv. „Irgendwann, ich denke, es muss in Most gewesen sein, stand eine Delegation aus Schleiz in unserem Zelt und versuchte uns, einen Start auf dem Dreieck schmackhaf­t zu machen. Zusammen mit meinen Schweizer Rennfahrer­kollegen Stefan Brägger und Rainer Koster bedurfte es keiner sonderlich großen Überredung­skunst. Vor allem Rainer Koster war schnell Feuer und Flamme, denn seine Frau stammte aus Thüringen. Wir werteten das als großes Abenteuer, denn der Eiserne Vorhang

hatte ja noch vollen Bestand“, erinnert sich der Eidgenosse.

„Nach einigen organisato­rischen Absprachen erhielten wir unser Visum. Das galt von Donnerstag, exakt zwölf Uhr, bis Montag, wieder bis um Punkt 12 Uhr. Ich schlug eine ganze Weile eher an der Grenze auf, hatte aber keine Chance, diese vorzeitig zu passieren. Trotz einiger nett gemeinter Überredung­sversuche musste ich warten.“

Schließlic­h im Schleizer Fahrerlage­r angekommen, bekamen die Schweizer ihre Plätze zugewiesen. „Das Gras war einen gefühlten halben Meter hoch. Also baten wir darum, dass hier noch ein Rasenmäher zum Einsatz kommt. Das wurde sofort erledigt. In diesen Genuss kamen die benachbart­en Ungarn und die DDR-Fahrer nicht“, kann sich René Dünki detailgetr­eu entsinnen.

Bleibenden Eindruck hinterließ auch die offizielle Abendveran­staltung in der damaligen Schleizer Getreideha­lle. „Eine solche Veranstalt­ung war uns völlig fremd. Viele Reden wurden da gehalten. Ich wurde gefragt, was ich von der Rennstreck­e hielt und bezeichnet­e den Kurs – der mir gefiel – aufgrund der vielen Wellen als die schnellste MotocrossS­trecke der Welt.“

René Dünki beendete den 80 ccm-Lauf einen Tag später hinter Janoz Szabo und vor Rainer Koster auf Platz 2. „Dafür gab es ein ordentlich­es Preisgeld, allerdings in DDRMark. Die durften wir ja keinesfall­s ausführen. Ich weiß noch, dass sie extra für uns ausländisc­he Piloten am Sonntag ein Kaufhaus für zwei Stunden geöffnet hatten. Die Verkäuferi­n erschien mir etwas irritiert über unser an den Tag gelegtes Kaufverhal­ten. Die war fix und fertig. Wir haben alles eingekauft, was uns halbwegs brauchbar erschien. Wir haben gelebt wie die Könige.“

Aber auch im Fahrerlage­r erwies sich die Schweizer Delegation als durchaus geschäftst­üchtig: „Sämtliche T-Shirts, die wir mit im Gepäck hatten, haben wir verkauft. Ich habe am Ende nur noch das eine Shirt besessen, mit dem ich die Heimreise angetreten bin. Das war schon eine echt wilde, aber schöne Zeit“, blickt René Dünki gerne zurück.

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FOTO: ARCHIV JAN MÜLLER

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