Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Im Freistil durch den Tiefschnee Gudauri ist das größte Skigebiet Georgiens. Dem Skiboom im Kaukasus hat selbst das Sessellift-Unglück im Jahr 2018 nicht sonderlich geschadet

- Von Florian Sanktjohan­ser

Gudauris Weltruhm begann mit einem Horrorvide­o. Auf verwackelt­en Aufnahmen sieht man einen Sessellift rückwärtsr­asen, Skifahrer und Snowboarde­r werden durch die Luft geschleude­rt. Das Video ging im März 2018 viral, Millionen Menschen sahen es sich im Internet an. Eine Katastroph­e für das Skigebiet in Georgien – am Ende aber auch ein Glücksfall.

„Mit einem Schlag wussten die Leute auf der ganzen Welt, dass man in Georgien Ski fahren kann“, sagt George Gotsiridze. „Im Nachhinein war es gutes Marketing. Aber nur, weil niemand starb.“Was ein großes Glück war, wenn man sich die Aufnahmen ansieht.

Gotsiridze, 47, ist Geograf, er berät die Regierung des kleinen Kaukasusla­ndes beim Ausbau seiner Skigebiete. „Natürlich stornierte­n in den Wochen nach dem Liftunfall viele Gäste ihren Urlaub“, erzählt er. „Aber diesen Winter kommen sogar 30 Prozent mehr Gäste als in der Vorsaison.“Seit 2011 sei die Gästezahl gar um 578 Prozent gestiegen.

Unberührte Hänge statt planierter ski-Autobahnen

Dennoch: Im Vergleich zu den Riesenskig­ebieten der Alpen sind die Pisten Gudauris immer noch leer, vor allem morgens. Wenn um 10 Uhr die Lifte anlaufen, carvt man ungestört über breite Hänge. Aus den Skibars wummern schon die Bässe gegeneinan­der an, Paraglider segeln über die Köpfe hinweg. Und mit jedem Lift, den man hinauffähr­t, wird die Aussicht erhabener: über angezucker­te Bergwälder, weiße Kämme und ein Wolkenmeer bis zum weit am Horizont gezogenen Bogen des Kaukasus.

„In den Alpen wären hier überall Skigebiete“, sagt Sven Fölser. Der österreich­ische Bergführer kommt seit 2012 jeden Winter für mehrere Wochen nach Gudauri. Seine Kunden – überwiegen­d erfahrene Skifahrer und Snowboarde­r aus der Heimat – buchen den 44-Jährigen, damit er ihnen die Tiefschnee­hänge zeigt. „Die Umgebung ist hochalpin ideal für tiefschnee­fans: noch kann man in georgien viele unberührte Hänge entdecken.

in der Schweiz, und die Möglichkei­ten sind der Wahnsinn“, sagt Fölser. „Wenn man nur ein wenig geht, entdeckt man immer wieder neue Routen.“

Fölser saß damals mit im Horrorlift. „Jetzt lachen wir darüber“, sagt er. „Aber das war wirklich ungut.“Experten haben ermittelt, wie es zu dem Desaster kam: Zuerst fiel der Strom aus, dann machte ein Mitarbeite­r beim Umschalten auf den Generator einen Fehler. Ein Jahr später ist der Vierer-Sessellift längst repariert. An der Bergstatio­n rutscht man hinaus auf das Gipfelplat­eau des Sadzele West in 3276 Metern Höhe. Hier beginnen die einzigen schwarzen Pisten Gudauris.

Denn viele Winterspor­tler hier sind eher Anfänger. Oder sie pflegen einen unorthodox­en Freistil. Die meisten Westeuropä­er, die nach Georgien fliegen, kommen aber ohnehin nicht für die planierten SkiAutobah­nen. Ihnen geht es um die weiten Hänge ringsum – oberhalb der Baumgrenze und sehr verlockend, meist mit mehrere Meter hohem, unberührte­m Schnee bedeckt. Schon zu Sowjetzeit­en reisten Deutsche, Österreich­er und Schweizer an, um mit russischen Helikopter­n zu den Tiefschnee­hängen zu fliegen.

Zuvor war Gudauri lange nur eine Poststatio­n in rund 2200 Metern Höhe, wo die Kutscher ihre Pferde wechselten. Mitte der 1980er-Jahre baute ein Joint Venture mit einem österreich­ischen Investor die ersten Lifte und das Marco Polo Hotel, heute ein Vier-Sterwie ne-Klotz mit Hunderten Betten und Pool. Um diese Keimzelle ist seitdem ein architekto­nischer Wildwuchs gewuchert: Entlang der Straße Richtung Russland sind Betonkäste­n und alte Häuser hingewürfe­lt, dazwischen ragen Stahlmaste­n der Hochspannu­ngsleitung auf.

Die meisten Gäste setzen sich tagsüber vor die Holzbuden, die Glühwein, Bier und Chatschapu­ri verkaufen, georgische Käsefladen. Zur Grenze im Norden fährt man eine Stunde, hinter dem nächsten Bergkamm im Süden beginnt die abtrünnige Region Südossetie­n, die Russland seit dem Kaukasuskr­ieg 2008 kontrollie­rt. Die Spannungen zwischen den Ländern stören die russischen Gäste offenbar nicht.

Der Gästemix in Gudauri ist bunt. Im Lift erzählen zwei Däninnen, dass sie in Dubai leben und regelmäßig zum Skifahren nach Georgien kommen. „Wir fliegen direkt in drei Stunden nach Tiflis“, sagen sie. Mit den vielen neuen Gästen sind allerdings die Schlangen an den Liften gewachsen. Zum 30-Jahres-Jubiläum im vergangene­n Winter bekam Gudauri deshalb neue Pisten und Lifte spendiert. 81 Millionen Lari investiert­e der Staat, umgerechne­t rund 25 Millionen Euro.

Im Januar lief die Seilbahn auf den Kobi-Pass an, in Zehnergond­eln surrt man die 7,5 Kilometer hinauf zur Passhöhe und zum Start der schönsten Abfahrt des Resorts. Mit Blick auf den über 5000 Meter hohen Kasbek kurvt man das breite, sanft abfallende Hochtal auf der anderen Seite hinab, umgeben von steilen Hängen. Ein Genuss, finden die meisten. „Ein Freeride-Hang weniger“, grantelt Sven Fölser.

Einen weiteren Ausbau des Gebiets planen die Bergbahnen derzeit nicht. Die Pisten seien ausreichen­d für 15.000 Winterspor­tler pro Tag, sagt Aleksander Kikabidze, Chef der Bergbahnen. Und wenn sie irgendwann nicht mehr ausreichen sollten, kann er umgehend reagieren. „Alle Berge hier sind Vulkane“, erklärt Kikabidze – also gleichmäßi­ge Hänge. „Wir können die Pisten einfach breiter walzen.“Sven Fölsers Gäste dürften das nicht allzu gerne hören.

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FOTO: PA/FLORIAN SANKTJOHAN­SER

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