Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
In der Hack-Ordnung
Die Awo-Tochter AJS feuert ihren Prokuristen. Mitarbeiter sagen: Führungskräfte bereichern sich
Unter den Mitarbeitern der Arbeiterwohlfahrt-Tochter Alten-, Jugend- und Sozialhilfe gGmbH (AJS) ist es seit Tagen das Gesprächsthema – zumindest unter denen in Leitungsverantwortung: Die AJS hat kurz vor Weihnachten ihren Prokuristen gefeuert. 26 Jahre hatte Uwe Kramer in verschiedenen Positionen bei der AJS gearbeitet, seit 2006 als einer von zwei Prokuristen.
Was die Personalie für das Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten so spannend macht, ist der Umstand, dass Kramer zum Führungszirkel um Geschäftsführer Michael Hack gehörte. Jenem Manager, der vor knapp drei Jahren einen Neuanfang versprochen hatte, nachdem Wirtschaftsprüfer bei einer Sonderuntersuchung festgestellt hatten, dass Awo und AJS mehrfach gegen den Awo-Unternehmenskodex verstoßen hatten.
Offenbar ermutigt durch den Awo-Skandal in Hessen, wo in den vergangenen Wochen immer neue Details über Protzautos, Vetternwirtschaft und exorbitante Managergehälter an die Öffentlichkeit gelangten, sagen nun AJS-Mitarbeiter: „Bei uns ist es noch viel schlimmer“. „Würde man in den Berichten ,Hessen‘ durch ‚Thüringen‘ ersetzen, beschriebe das die Lage eins zu eins“, sagen Mitarbeiter im Gespräch mit dieser Zeitung.
Obwohl Michael Hack im Frühjahr 2017 maximale Transparenz zugesagt hatte, habe sich so gut wie nichts geändert: Hacks Gehalt etwa, das nach Informationen dieser Zeitung selbst das der Bundeskanzlerin übertreffen soll, blieb bislang ebenso unter Verschluss wie das der anderen drei Mitglieder der AJS-Geschäftsführung. Nicht einmal Mitglieder des Awo-Landesvorstandes – die Awo Thüringen ist Hauptgesellschafter der AJS – kennen die genaue Höhe. Das hatte jüngst auch dazu geführt, dass mit Claudia Zanker ein Landesvorstandsmitglied in einem Schreiben an alle Awo-Kreisverbände öffentlich machte, dass sie bislang mit ihren Fragen unter anderem zu den Gehältern beim Landesverband stets abgeblitzt war (unsere Zeitung berichtete).
Doch zurück zu Uwe Kramer: Er soll sich den Zorn seines Chefs zugezogen haben, als er sich – unter anderem gegenüber AJS-Aufsichtsratsmitgliedern – über das Prozedere zur Regelung der Nachfolge Hacks und des zweiten AJS-Chefs Achim Rieß beklagte. Das Institut für Verhaltensökonomie in Leipzig hatte im vergangenen Jahr die beiden Geschäftsführer-Stellen ausgeschrieben. 45 Bewerbungen gingen ein, 15 Kandidaten wurden telefonisch befragt, acht zu einem Test eingeladen. Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten einer Kandidatin, die bis Ende 2018 Geschäftsführerin eines inzwischen eingestellten kleinen Buchverlags war. Sie soll die Stelle bei der AJS am 1. Februar 2020 antreten und ab Januar 2021 für den bisher von Achim Rieß verantworteten Bereich zuständig sein. Hack (63), der eigentlich aus dem Unternehmen ausscheiden wollte, soll bis Ende 2022 Hauptgeschäftsführer bleiben. Zu den Bewerbern zählte auch Uwe Kramer, der aber nicht berücksichtigt wurde. Doch anstatt seinen Ärger darüber, dass ihm eine externe und noch dazu branchenfremde Bewerberin vorgezogen wurde, herunterzuschlucken, ging Kramer damit hausieren und ließ dabei an seinem Vorgesetzten kein gutes Haar. Im Ergebnis wurde ihm am 13. Dezember fristlos gekündigt.
Was Hack jedoch offenbar nicht hinreichend bedacht hatte: dass Kramer Teil der von ihm geschaffenen Ordnung ist und viele Interna kennt. „Genau deshalb nahmen wir auch stets an, dass Kramer so etwas wie Immunität genießt, er unangreifbar ist“, sagt ein AJS-Mitarbeiter. Der Vergleich, den nun die Anwälte beider Seiten aushandeln, deutet aus Sicht von AJS-Mitarbeitern darauf hin, dass Kramer mit viel Geld dazu gebracht werden soll, zu schweigen: Die Rede ist von einem hohen sechsstelligen, möglicherweise sogar siebenstelligen Betrag, jedenfalls einer Summe, die – erst recht bei einem Wohlfahrtsverband – jedes normale Maß sprengt. Auf Anfrage erklärt Awo-Sprecher Dirk Gersdorf, dass es sich um vertrauliche Personalangelegenheiten handele, „die wir öffentlich nicht kommentieren“. Das Gehalt von Michael Hack, ergänzt Gersdorf, sei 2017 von Wirtschaftsprüfern, die der Awo-Bundesverband beauftragt habe, geprüft und „von diesen nicht beanstandet“worden. „Fragen oder auch Spekulationen über die Höhe von Gehältern werden, soweit diese nicht tariflich geregelt sind, von uns aus grundsätzlich nicht kommentiert“, teilt der Sprecher mit. Auf die Frage, ob AJS-Führungskräfte Dienstwagen fahren, die jene der Frankfurter Awo-Spitze noch in den Schatten stellen, geht Gersdorf nicht ein, verweist stattdessen auf den Gesamtjahresumsatz der AJS von rund 220 Millionen Euro. Was wohl so viel heißen soll wie: Den Führungskräften eines Unternehmens dieser Größenordnung steht mehr als ein Kleinwagen zu.
AJS-Mitarbeiter indes kennen den Fuhrpark und sagen, dass beispielsweise AJS-Chef Michael Hack einen Mercedes von mehr als 110.000 Euro fährt. Ob das angemessen ist, scheint aber nicht nur die Kontrollgremien, sondern auch die öffentlichen Geldgeber nicht zu interessieren. Der Stadt Erfurt etwa, die der AJS eine Verwaltungs- und Sachkostenpauschale zahlt, weil sie unter anderem Kindergärten und Pflegeheime betreibt, liegen nach Auskunft einer Sprecherin „keine Informationen zur Bezahlung der Führungskräfte vor“, obwohl die Stadt als Zuwendungsgeber prüfen muss, dass die Awo/AJS nicht gegen das Besserstellungsverbot verstößt. Die Frage, ob die Kommune das nicht prüfen kann oder will, blieb seit dem 4. Dezember unbeantwortet.
Ähnlich ist es beim Land: Befragt nach der Höhe der Zuwendungen an die Awo und die Kontrolle über die Verwendung dieser Gelder erklärt sich das SPD-geführte Finanzministerium zunächst für „nicht zuständig“, bis das Linke-geführte Sozialministerium klarstellt: Doch, das Finanzministerium ist zuständig. Denn es ist das Ressort, das jährlich Mittel aus den Erträgen der Thüringer Staatslotterie an die Liga der Freien Wohlfahrtspflege auszahlt. Die Liga wiederum leite das Geld an die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege – darunter auch den Awo-Landesverband Thüringen – nach einem internen Verteilerschlüssel weiter und müsse die Mittelverwendung gegenüber der Staatslotterie nachweisen.
Der Awo-Landesverband gibt derweil vor, an nichts so sehr interessiert zu sein wie an Transparenz: Landesgeschäftsführer Ulf Grießmann kündigte vor wenigen Tagen in einer Mail an, dass die Awo Thüringen eine Arbeitsgruppe Transparenz und Compliance einrichten werde, die unter anderem dafür zuständig ist, die Compliance-Regelungen etwa zur Vergütung „in der Umsetzung zu begleiten“.
In dieser Vergütungsrichtlinie steht auch folgender Satz: „Es darf keine Person … durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.“