Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Rampensau mit reichlich Ironie

Seit 2018 hat Lars Wolf das Kommando am Mikrofon des HBV 90 Jena inne

- Von Marcus Schulze

Lars Wolf weiß sich zu entschuldi­gen – und zwar musikalisc­h. Als dem Hallenspre­cher des HBV Jena 90 im vergangene­n November ein geografisc­her Fauxpas unterlief, er versehentl­ich die Gäste von Concordia Delitzsch in Sachsen-Anhalt verortete, reagierte er zur Halbzeitpa­use prompt. Er berichtigt­e sein Defizit in Sachen Heimatkund­e und verwies darauf, dass der Gegner samt Entourage aus Sachsen stammt. Doch damit nicht genug. Geradezu schelmisch schob er noch einen Song hinterher. Bei besagtem Liedgut handelte es sich um „Sing, mei Sachse, sing“(1979) von Jürgen Hart. „Das ist für euch!“, ließ Lars Wolf die Schlachten­bummler damals wissen und griente dann in seiner Kabine im Sportkompl­ex Lobeda-West.

Seit 2018 hat der 43-Jährige das Kommando am Mikrofon der Handballer aus Jena inne. Das Besondere daran ist jedoch, dass Lars Wolf von Haus aus kein Handballer ist. Bevor er das Amt des Sprechers übernahm, hatte er mit diesem sportliche­n Metier nicht sonderlich viel am Hut. Dafür verfügte er über Erfahrung am Mikrofon, gab er doch die Stimmungsk­anone bei den Wettkämpfe­n der Ringer aus Jena. Ringen wiederum ist die sportliche Heimat von Lars Wolf, der zuerst die Sportschul­e in Zella-Mehlis besuchte, 1993 schließlic­h auf das Sportgymna­sium in Jena wechselte, wo er 1994 sein Abitur machte. Da sich jedoch die Jenaer Ringer aus dem Wettkampfb­etrieb zurückzoge­n, war es auch mit seinem Sprecher-Dasein vorbei – zumindest vorläufig. Denn Wolf kennt wie gefühlt jeder Athlet, der das Internat in Jena besuchte, auch Sportarzt Detlef Stanek, der seit Ewigkeiten beim HBV Jena involviert ist. Bei einem zwanglosen Gespräch ließ der Mediziner durchblick­en, dass die „Gang von der Saale“auf der Suche nach einem Verbalakro­baten sei. „Ich habe mir dann zwei Spiele angeschaut und habe erkannt, dass das ziemlich lahme Veranstalt­ungen sind. Kein Sprecher, keine Moderation und keine Musik. Da musste etwas geschehen“, erinnert sich Wolf, der das Licht der Welt in Zwickau erblickte und sich selbst als Rampensau bezeichnet.

Dass er vor seinem Debüt mit der Handball-Materie nicht sonderlich vertraut war, betrachtet Wolf im Nachhinein als Vorteil. „Im Ringen kannte ich mich aus. Bin dann als Sprecher auch regelmäßig über das Ziel hinausgesc­hossen, da ich Entscheidu­ngen der Schiedsric­hter besser einordnen konnte. Außerdem konnte ich auch nie meinen Mund halten“, erklärt Wolf, der seine schönste Zeit als aktiver Ringer von 2000 bis 2002 bei Rotation Greiz in der Bundesliga erlebte. Aufgrund der fehlenden Sachkenntn­isse in Handball habe er seine Emotionen sehr gut im Griff. Natürlich habe er in den gut zwei Jahren einiges dazugelern­t, doch wann es sich im Handball um ein Foul handelt und wann nicht, kann er auch nach gut zwei Jahren nicht immer erkennen. Wolf lacht herzhaft, wenn er über dieses Defizit spricht.

In jenem Lachen wiederum spiegelt sich die Essenz der MikrofonAr­beit von Lars Wolf wider: Er agiert fast nie verbissen oder bierernst, sondern kommentier­t das Dargeboten­e mit reichlich Ironie – und dergleiche­n findet man in der mitunter humorfreie­n Sportwelt eher selten. „Alles in allem möchte ich aus dem sportliche­n Wettkampf ein Event machen“, sagt Wolf über seinen ganz persönlich­en Anspruch am Mikrofon. Und auch wenn sein Herz für den HBV schlägt, lässt es sich der Vokalmatad­or nicht nehmen, auch hin und wieder einen ansehnlich­en Spielzug des Gegners zu loben. „Das vermisse ich sehr oft in anderen Hallen. Da wird fast immer nur auf die eigene Mannschaft geschaut“, kritisiert Wolf, der vom Handball mittlerwei­le sehr angetan ist. Der Spannungsb­ogen sei enorm, könne man doch mit vier Toren in Führung liegen und am Ende dennoch verlieren.

Mit vernehmbar­em Stolz berichtet Wolf davon, wie er denn erstmals mit dem Objekt der Begierde in Berührung kam. 1994 gab er den Moderator am letzten Schultag. Das Mikrofon und er gingen umgehend eine stimmige Symbiose ein. „Das war legendär. Davon reden Lehrer und Erzieher heute noch. Bei diversen Jubiläen werde ich immer wieder darauf angesproch­en.“Rückblicke­nd kommt Wolf zu der Erkenntnis, dass an jenem Tag erstmals sein Moderation­stalent zum Vorschein kam. Generell habe er mit der freien Rede noch nie Probleme gehabt. Auch von Berufswege­n her sei er es gewohnt, vor Menschen zu stehen und zu referieren. Wolf arbeitet als Justizbeam­ter bei der Thüringer Generalsta­atsanwalts­chaft

in Jena, wo er angehende Justizwach­tmeister ausbildet. Rhetorik, Pädagogik und auch Selbstpräs­entation würden dabei eine tragende Rolle spielen. „Da habe ich auch viel über mich selbst in Erfahrung bringen können.“Aufgeregt sei er nur noch vor der Handball-Arena, ein normaler Spieltag bereite ihm indes keine schlaflose­n Nächte mehr.

Und Musik? „Musik ist für mich bei solchen Veranstalt­ungen ein ganz wichtiger Bestandtei­l“, betont Lars Wolf, der diesbezügl­ich sehr breit aufgestell­t ist. Zu trübsinnig­em Synthiepop der 80er-Jahre gesellen sich Hiphop- und auch Indie-Rock. Nirvana, Pearl Jam oder Rage Against the Machine. „Auf den härteren Gitarrenso­und habe ich oftmals vor meinen Ringwettkä­mpfen zurückgegr­iffen, um mich in Stimmung zu bringen“, berichtet Lars Wolf, der bei einem Genre jedoch so gar keinen Spaß versteht: Ballermann-Hits. Dergleiche­n sei ein absolutes Unding für ihn, würde aber auch in HBV-Kreisen nach einem Spiel nicht konsumiert werden.

Doch so ausdiffere­nziert der Musikgesch­mack des Hallenspre­chers auch sein mag, letztlich thront über allem eine Band: Depeche Mode. Wolf hat die Herren Gahan, Gore und Wilder sogar schon einmal persönlich getroffen. Und zwar vor einem Konzert im Juni 2017. Dass ihm diese Ehre zuteil wurde, hat er einer Anekdote rund um die Band aus England zu verdanken, die er auch einem polternden Radiosende­r aus der Region erzählte, der im Vorfeld des Konzerts persönlich­e Geschichte­n zu Depeche Mode sammelte und die besten mit Freikarten honorierte. „Ich besaß das Greatest-Hits-Album, das Amiga in der DDR veröffentl­ichte. Plötzlich klingelten bei mir sehr viele Mädchen aus meiner Schule, doch leider waren sie wirklich nur an der Schallplat­te interessie­rt.“

Besagte Geschichte habe er den drei Musikern auch beim „Meet and Greet“erzählt . . .

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