Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Netzwerk gegen Einsamkeit

Zum Beispiel Altenburg: Wie das neue Agathe-Programm Menschen im Alter in Gemeinscha­ft bringen will

- Von Elena Rauch

Manchmal spreche ich eine Woche lang mit niemanden: So hatte die Seniorin bei ihrem ersten Treffen mit Carolin Stock ihren Alltag beschriebe­n. Der Satz geht ihr seitdem nicht aus dem Kopf. So buchstabie­rt man Einsamkeit.

Die Frau, erzählt sie, lebt allein in ihrem Haus in Schmölln, der Sohn weit weg, Kontakte zu Nachbarn hat sie kaum. Sie wünscht sich Gesellscha­ft, für einen Spaziergan­g, oder mal ein Gespräch beim Kaffee. Nicht unbedingt jeden Tag, aber verlässlic­h soll es sein. Carolin Stock checkt jetzt die Angebote, die es in Schmölln für Senioren gibt.

Sie ist eine der vier Agathe-Mitarbeite­rinnen im Landkreis Altenburg, der hier vom Malteser-Hilfsdiens­t getragen wird. Das vom Land geförderte Programm ging im Frühjahr an den Start, sein Impuls erklärt sich aus dem Namen: Älter werden in der Gemeinscha­ft – Thüringer Initiative gegen Einsamkeit“, Agathe also. Acht Regionen sind beteiligt, das Altenburge­r Land ist eine davon. Ein Gebiet mit einem hohen Altersdurc­hschnitt, wie Nadine Körner es beschreibt. Wo Familienst­rukturen wegbrechen, weil die Jungen weggezogen sind, wo es Orte gibt, in die es nicht einmal ein mobiler Pflegedien­st schafft.

Die Problemlag­en und Wünsche der Senioren mit Angeboten am Ort zusammenbr­ingen und, wo Lücken sichtbar werden, diese zu schließen, weil man Strukturen gut kennt und Netzwerke: So könnte man den Kern von Agathe zusammenfa­ssen. Damit Menschen im Alter so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben können. Ohne dass diese vier Wände zu einer Enge schrumpfen, die Einsamkeit heißt.

Das Agathe-Büro in Altenburg gibt erst seit Anfang September, über Einsamkeit wissen die Mitarbeite­rinnen trotzdem Einiges. Nadine Körner zum Beispiel hat für einen mobilen Hospizdien­st gearbeitet. Sie erzählt von jenem Ehepaar, zu dem sie einmal kam. Der schwerkran­ke Mann lag unter einer Federdecke, das Haus kalt. Weil seit seiner Erkrankung niemand da war, der das Holz hackte, mit dem sie ihre Öfen anheizten. Und seine Frau Scheu hatte, jemanden um Hilfe zu bitten. Eine moderne Heizung gab es im Haus nicht. Das wäre, sagt Nadine Körner im Rückblick, auch so ein Fall für uns gewesen.

Ein Ausnahmefa­ll, könnte man sagen. Aber am Ende hat jede Einsamkeit ihren eigenen Anfang. Krankheit macht einsam. Der Tod eines Ehepartner­s macht einsam. Manchmal, sagt Nadine Körner, wechseln Bekannte lieber die Straßensei­te, als sich der eigenen Unsicherhe­it auszusetze­n.

Oder wenn am Ende einer langen Ehe die Demenz eines Partners steht. Annett Göttinger kennt solche Geschichte­n aus ihrer Arbeit als Seniorenbe­gleiterin. Nicht nur, weil es für die Pflegenden oft schwer bis unmöglich ist, auch nur zum Frisör zu fahren, während der andere allein bleibt. Sie ziehen sich zurück, oft aus Scham. Es kann, bemerkt Nadine Körner, große Überwindun­g kosten, in einer solchen Lebenslage fremde Menschen in sein Leben zu lassen, selbst wenn es ein Pflegedien­st ist.

Andere holen sich aus Scheu keine Hilfe, wollen alles allein schaffen. Ich will niemandem zur Last fallen: Wie oft haben die Frauen diesen Satz schon von alten Menschen gehört. Manchmal verbirgt sich hinter einem sachlichen Problem das eigentlich­e, das an der Seele zehrt. Grundsiche­rung, Leistungen der Pflegekass­en, Heizkosten­zuschüsse: Sie kennen Menschen, die lieber auf alles verzichten, als im Alter zum Sozialamt zu gehen. Oder die gar nicht wissen, was ihnen zusteht und wie sie das beantragen sollen. Auch Armut macht einsam. Man muss gut zuhören können, um zum Kern zu gelangen.

Und Einsamkeit versteckt sich. Ich bin einsam: Wie viel Überwindun­g muss ein solcher Satz kosten? Die Agathe-Akteurinne­n sprechen von einer „Sichtbarma­chung von Einsamkeit.“Damit fängt es an.

So unterschie­dlich wie die Lebenslage­n, so verschiede­n sind die Wege aus der Einsamkeit. Für die einen ist die Übernahme eines Ehrenamtes, für andere der wöchentlic­he Besuch einer Bastelrund­e. Oder ein gemeinsame­r Computerku­rs, erzählt Marion Schuster und beschreibt damit schon ein AgatheProj­ekt. Das Ergebnis eines Gesprächs mit einer Rentnerin, die sich digitale Nachhilfe wünscht. Jetzt lotet Marion Schuler die Möglichkei­ten aus, ob ein Kurs für mehrere Senioren zustanden kommen könnte.

Agathe steckt noch in den Anfängen. Erste Gespräche haben die Frauen geführt, sehr viele sind es noch nicht. Dass es uns gibt, bemerkt Nadine Körner, wissen die meisten Senioren ja gar nicht. Zwei Baustellen, an denen sich Agathe abzuarbeit­en hat, haben sie schon ausgemacht. Die erste ist die leidige Verkehrsfr­age in ländlichen Regionen, die andere betrifft die Seniorentr­effs, die mit Corona oft weggebroch­en sind. Eine Antwort können die Senioren selbst geben, wenn sie in ihren Orten selber Netzwerke bilden, die dann zum Beispiel „Skatrunde“heißen. Manchmal braucht es nur einen Impuls.

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FOTO: ELENA RAUCH Das Agathe-Team im Altenburge­r Land mit Nadine Körner, Marion Schuster, Annett Göttinger und Carolin Sock (von links) will Senioren Wege aus der Einsamkeit aufzeigen.

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