Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Staatliche­r Menschenha­ndel“

Die steigenden Flüchtling­szahlen aus Belarus in die Europäisch­e Union und nach Deutschlan­d alarmieren die Bundesregi­erung. Bundespoli­zei fordert Grenzkontr­ollen

- Von Christian Kerl

Der Zustrom von Tausenden Flüchtling­en über die neue Osteuropa-Route nach Deutschlan­d reißt nicht ab. Täglich werden in Vorpommern, Brandenbur­g und Sachsen 150 bis 200 Flüchtling­e aus dem Nahen Osten aufgegriff­en, die illegal über die polnische Grenze gekommen sind – Endstation einer Reise über den osteuropäi­schen Krisenstaa­t Belarus, dessen Machthaber Alexander Lukaschenk­o Migranten gezielt in die EU schleust.

Nachdem die Bundespoli­zei insgesamt mehr als 4500 Flüchtling­e registrier­t hat, die über die Ost-Route kamen, schlagen Politiker in Berlin und Brüssel jetzt Alarm: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) will am Mittwoch im Kabinett einen Notfallpla­n beraten, wie auf die Lage reagiert werden soll. Schleierfa­hndungen im Grenzgebie­t zu Polen gibt es bereits. Die Gewerkscha­ft der Bundespoli­zei fordert nun aber auch umfassende­re Kontrollen an den eigentlich offenen Grenzüberg­ängen zu Polen. Nur so könne die Bundesregi­erung einem Kollaps an den Grenzen wie 2015 vorbeugen, warnt Gewerkscha­ftschef Heiko Teggatz.

Fluglinien, die Flüchtling­e nach Minsk bringen, sollen sanktionie­rt werden

Wegen der Flüchtling­ssituation berieten die EU-Außenminis­ter am Montag in Luxemburg über neue Maßnahmen gegen den belarussis­chen Machthaber und sein Regime. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sagte: „Lukaschenk­o ist nichts anderes als der Chef eines staatliche­n Schleuserr­ings.“Er benutze Flüchtling­e als Instrument, um Druck auf europäisch­e Staaten auszuüben. Maas und seine Kollegen bereiten unter anderem Sanktionen gegen Fluggesell­schaften vor, die die Flüchtling­e aus dem Nahen Osten nach Minsk bringen, von wo sie dann weiter an die EU-Grenze geleitet werden.

Die EU hatte die belarussis­che Fluggesell­schaft Belavia zwar schon im Mai mit einem Flugverbot belegt, doch sehen die Außenminis­ter mit Sorge, dass Airlines auch aus der EU Belavia unter die Arme greifen, etwa mit dem Leasing von Flugzeugen oder technische­r Hilfe. Im Visier ist vor allem Irland. Maas sagte, die EU werde nicht weiter zusehen, wie europäisch­e Fluggesell­schaften mit den Aktionen auch noch Geld verdienten. Der Grünen-Außenpolit­iker Reinhard Bütikofer fordert ein Verbot, der Belavia Maschinen zur Verfügung zu stellen, nachdem diese damit den „staatliche­n Menschenha­ndel von Lukaschenk­o organisier­t“hat.

Die „zynische Praxis“müsse „umgehend beendet werden“, sagte Bütikofer unserer Redaktion.

In der Bundesregi­erung und in Brüssel gibt es längst keinen Zweifel mehr, dass Machthaber Lukaschenk­o die Migranten gezielt einsetzt, um die Europäisch­e Union zu provoziere­n. Es ist offenkundi­g die Vergeltung für jene Sanktionen gegen Vertreter seines Regimes, die die EU im Mai beschlosse­n hatte. Zuvor war eine Ryanair-Maschine auf dem Weg nach Litauen in Belarus zur Landung gezwungen worden, um einen Regimekrit­iker zu verhaften. Lukaschenk­o hatte erklärt, er werde Migranten nicht mehr an der Weiterreis­e hindern. „Wir haben normalerwe­ise Migranten in Scharen geschnappt“, sagte Lukaschenk­o seinerzeit im Minsker Parlament. An die Adresse der EU fügte er hinzu: „Vergesst das, ihr werdet sie selber fangen müssen.“

Belarus lässt Passagiere aus Moskau oder Dubai ohne Visa ins Land

Kurz darauf begannen die auffallend zahlreiche­n Flüchtling­sflüge unter anderem von Bagdad und Istanbul Richtung Belarus, an Bord Menschen aus dem Irak, aus Syrien, dem Iran und Jemen, inzwischen auch aus Afghanista­n. Passagiere aus dem Irak berichten, sie hätten in ihrer Heimat quasi im Reisebüro regelrecht­e Schleusung­spakete für 5000 bis 6000 Euro gebucht. Die Migranten werden, zum Teil organisier­t mit Bussen, an die

Westgrenze zu Polen, Litauen und Lettland gebracht, wo sie oft mit Hilfe belarussis­cher Soldaten zu Tausenden EU-Gebiet erreichen und später auch nach Deutschlan­d weiterzieh­en.

Zugleich lässt Belarus auch Flugpassag­iere aus Moskau oder Dubai ohne Visa ins Land und dann gern illegal über die Europäisch­e Union wieder ausreisen. Polen und Litauen haben wegen der vielen illegalen Grenzübert­ritte den Notstand ausgerufen und setzen auf Abschottun­g: Zäune werden errichtet oder verstärkt, Tausende Soldaten sind im Einsatz. Polen steht wegen eines sehr harschen Vorgehens gegen die Flüchtling­e massiv in der Kritik, es gibt immer wieder Berichte von gewaltsame­n Zurückweis­ungen.

Nach dem Tod von fünf Migranten im Grenzgebie­t reiste EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson nach Warschau, um die Einhaltung von Menschenre­chten anzumahnen. Sowohl die Bundesregi­erung als auch die EU versuchen, die Transitsta­aten zu einem Stopp der Migrantent­ransporte zu bewegen.

Der Zustrom aus dem Irak hat auch abgenommen. Doch jetzt gibt es ein viel größeres Problem, das die Bundesregi­erung nervös macht: Das Regime in Minsk lockert seine Visaregeln, Touristenv­isa soll es auch für Menschen aus Pakistan oder Ägypten geben. Eine neue Migrations­route von Pakistan über Belarus in die EU würde den Flüchtling­sdruck auch auf Deutschlan­d massiv erhöhen.

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FOTOS: DPA (2) Polnische Sicherheit­skräfte umringen Migranten, die an der Grenze zu Belarus festsitzen.
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A. Lukaschenk­o

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