Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Unterwegs mit dem Schienenfahrrad im Thüringer Norden
Der Kanonenbahnverein Lengenfeld unterm Stein bietet erlebnisreiche Draisinen-Fahrten im Eichsfeld an
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wird zwischen dem thüringischen Leinefelde und dem hessischen Treysa eine neue Bahnstrecke errichtet. Sie ist Teil der sogenannten Kanonenbahn, die die militärische Lücke zwischen Berlin und Metz schließen soll. Nach dem Ersten Weltkrieg wird allerdings gemäß dem Versailler Vertrag das zweite Gleis demontiert, nach dem Zweiten Weltkrieg der Verkehr in den Westen gestoppt und nach der Wiedervereinigung der Bahnbetrieb komplett eingestellt.
Nach Niedergang zum Tourismusziel entwickelt
Was sich wie die Geschichte eines Niedergangs anhört, hat sich inzwischen zu einem Tourismusmagneten entwickelt: Die reizvolle Strecke auf dem Eichsfelder Abschnitt Geismar-Dingelstädt kann mit Fahrrad-Draisinen befahren werden. Der Kanonenbahnverein Lengenfeld unterm Stein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Strecke und ihre Baudenkmäler zu erhalten.
Das Geld dafür stammt aus dem Draisinenbetrieb.
Auf unserer heutigen Tagestour strampeln wir vom Taldorf Lengenfeld (Punkt 1) nach Küllstedt und zurück. Dabei passieren wir das prächtige Lengenfelder Viadukt (Punkt 2) und fünf Tunnel. Startpunkt
für die 26 Kilometer lange Fahrt ist der Draisinen-Bahnhof Lengenfeld. Hier stehen Schienenfahrräder verschiedener Größe zur Verfügung. Die kleinsten Exemplare etwa sind die Vierer-Draisinen, auf denen zwei Personen treten und zwei weitere mitfahren.
Nach kurzer Einführung geht es mit der Kanonenbahn, einem kleinen E-Zug, über das 237 Meter lange Bahnviadukt. Die vorgespannten Draisinen können am Schloss Bischofstein bestiegen werden. Normalerweise würden die Gäste vom Draisinen-Bahnhof individuell starten. Doch derzeit laufen am Lengenfelder Viadukt Reparaturarbeiten, so dass der Draisinenverkehr untersagt ist. Das schmälert das ungewöhnliche Erlebnis aber keineswegs. Spätestens zum Ende des Jahres sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein, kündigt Michael Kieler vom Kanonenbahnverein an.
Einst drittlängster Tunnel Europas
Die Gleise führen bei einem Prozent Steigung leicht bergauf. Vorbei geht es an Muschelkalkhängen, Waldlandschaften und Rastplätzen. Höhepunkte sind die fünf Tunnel, wobei der Küllstedter Tunnel (Punkt 3) mit 1,5 Kilometern Länge die anderen weit übertrifft. Zur Zeit seiner Errichtung um 1875 galt er als drittlängster Tunnel Europa.
Den Bau der Bahnstrecke übernahmen seinerzeit ausländische
Arbeiter, vorwiegend Italiener. In den Kantinen entlang der Route ging es Überlieferungen zufolge rau zu. Blutige Schlägereien sollen an der Tagesordnung gewesen sein. Auch Unfälle habe es gegeben. In einem Hotel in Lengenfeld soll etwa durch leichtsinniges Hantieren mit Dynamit ein Mensch getötet worden sein.
In Küllstedt (Punkt 4) angekommen, gilt es die Draisinen mit Hilfe einer Drehvorrichtung zu wenden. Dort hat man auch Zeit für eine Rast. Denn der Verein veranschlagt für die 90-minütige Hinfahrt zwei Stunden. Für den Rückweg bergab ist eine Stunde eingeplant.
Die Touren starten zweimal am Tag – 9 Uhr und 13.30 Uhr – und kosten am Wochenende für eine Vierer-Draisine 56 Euro. Angeboten werden insgesamt drei Strecken, wobei die längste nach Dingelstädt in Corona-Zeiten nicht gebucht werden kann. Die kürzeste Route von sieben Kilometern Länge führt nach Geismar und zurück und kann stündlich angetreten werden.
Anmeldung und weitere Informationen unter: erlebnis-draisine.de