Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Mehr Atemwegserkrankungen bei Kindern in Zeulenroda-Triebes
Infektionen treten früher und heftiger auf als in den Vor-Corona-Jahren
Anruf in einer Kinderarztpraxis in Zeulenroda-Triebes. Im Hintergrund sind Hustengeräusche und Kinderstimmen hörbar. „Wir haben viel zu tun. Gerade Atemwegserkrankungen treten deutlich häufiger auf als in den vergangenen Jahren“, sagt die Kinder- und Jugendärztin Karen Zimmerer. Vorschulkinder, aber auch Heranwachsende höherer Altersgruppen seien betroffen. Seit Anfang September häuften sich die Fälle von Atemwegserkrankungen. Aktuell würde die Zahlen noch einmal steigen. Die Kinderärztin ist mit ihrer Beobachtung nicht allein. Das Robert Koch-Institut (RKI) registriert aktuell ungewöhnlich viele Atemwegsinfektionen – die sehr häufig Kinder betreffen. Oft sind es sogenannte Respiratorische Synzytial-Viren (RSV), die vor allem bei Kleinkindern zu schweren Atemwegsinfekten führen können.
Kinderklinik Gera: Hälfte der Betten mit Atemwegserkrankten belegt
Schulleiterin Karen Mäusebach von der Friedrich-ReimannGrundschule Zeulenroda stellt bei ihren Schülern keine außergewöhnliche Häufung von Erkältungsfällen fest. In der Kindertagesstätte „Juri Gagarin“in Greiz aber seien in den vergangenen vier Wochen viele Infekte der oberen Atemwege aufgetreten. „Im Herbst und Winter ist das normal. Aber wir sind in diesem Jahr ziemlich früh dran“, sagt Leiterin
Ulrike Werner. Dabei würde sich die Einrichtung weiter selbst an strenge Hygienestandards halten und viel desinfizieren.
Aber liegt in den Corona-Maßnahmen vielleicht die Ursache? Durch Lockdown, Masken, Abstandsund Hygieneregeln hatten Viren abseits von Corona und andere Erreger im Vorjahr kaum eine Chance. Noch nie gab es im vergangenen Herbst und Winter so wenige Infektionskrankheiten zu verzeichnen. „Das Immunsystem kommt aus der Übung“, sagt Kinder- und Jugendärztin Karen Zimmerer.
Kitas und Schulen waren Wochen geschlossen. Die typische Erkältungswelle ist ausgeblieben. Das Immunsystem von Kindern und Jugendlichen war weniger gefordert. Mediziner sprechen von einem
Nachholeffekt durch Corona.
In der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am SRH Wald-Klinikum Gera ist Chefarzt Lutz Hempel von der Entwicklung überrascht. „Im letzten Jahr hatten wir so gut wie keine Infektionskrankheiten. Wir hatten daher die Hoffnung, durch die Corona-Maßnahmen und die erhöhte Achtsamkeit der Menschen auf Jahre hin weniger
Infektionen zu verzeichnen“, sagt der Kinder- und Jugendarzt am Geraer Klinikum.
Aber es kommt anders. Seit Ende August steige auch die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Erkrankungen der Atemwege, die stationär behandelt werden müssen. Zeitweise seien bis zu 50 Prozent der Betten mit Patienten mit Atemwegsinfekten belegt gewesen. „Wir waren zeitweise kaum noch aufnahmefähig“, so Hempel. Aktuell gebe es leichte Entspannung, aber noch immer seien 40 Prozent mit RSV-Patienten belegt. Auch schwere Fälle könnten auftreten, die eine Sauerstoffintubation erfordern.
Auch Hempel stützt die These von einem eingeschlafenen Immunsystem durch die Corona-Maßnahmen. „Das Immunsystem wird müde“, sagt er. Dennoch werfe die RSVWelle Fragen auf. Auch weil Details derzeit – wie die Zahl der intensivmedizinisch Behandelten – im Gegensatz zum Coronavirus methodisch kaum erfasst würden. Während der Verlauf einer CoronaInfektion bei Kindern oft mild sei – mit ungeklärten Long-Covid-Folgen – scheinen sie für die RS-Viren anfälliger. „Wir müssen das genauer erfassen“, sagt Hempel. Das Durchlaufen von Infektionskrankheiten gehöre zur physiologischen Entwicklung von Kindern dazu. Für deren Gesundheit sei es deshalb wichtig, dass es keinen Lockdown mehr im Bildungssystem gibt, warnte ein Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.