Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Die Sheriffs aus Transnistrien
Der Oligarchen-Club aus einem Land, das es nicht gibt, besiegt sogar Real Madrid. Und ein Wahl-Eisenacher verfolgt die Fußball-Überraschung ganz genau
Nach dem Spiel passierte Marcel Röthig ein echter Anfängerfehler: Eben hatte der WahlEisenacher den 2:0-Überraschungssieg des FC Sheriff Tiraspol gegen Schachtar Donezk im Stadion verfolgt, danach wollte er mit seinem Team noch etwas essen gehen. Doch Röthig vergaß, Geld zu wechseln. „Typischer Anfängerfehler in Transnistrien: Geld tauschen nach Einbruch der Dunkelheit ist nicht mehr“, erzählt der 33-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung.
Das Problem: Niemand erkennt den Transnistrischen Rubel an, denn niemand erkennt Transnistrien an. Und doch spielt der junge Hauptstadtclub in der Champions League und führt nach zwei Spieltagen die Gruppe D an. Vor Real Madrid (die 2:1 im San Bernabéu geschlagen wurden), Inter Mailand und Donezk. Wie kann das sein?
„Transnistrien hat eine eigene Währung, eine eigene Armee, eigene Polizeieinheiten, ein eigenes Wirtschaftssystem, eine eigene Verwaltung“, sagt Röthig. Er arbeitet für die SPD-nahe Friedrich-EbertStiftung in Kiew, beobachtet von dort die Ukraine und die Republik Moldau, was den TransnsistrienKonflikt zwangsweise einschließt. Der kleine Streifen Land, der kaum größer als das Saarland ist, liegt ganz im Osten der Republik Moldau und grenzt an die Ukraine.
1990 spaltete sich das russisch geprägte Transnistrien von der rumänisch geprägten Moldau ab. Es gab einen kurzen bewaffneten Konflikt, seitdem sorgen 1300 sogenannte „Russische Friedenstruppen“dafür, dass der Konflikt auch eingefroren bleibt. Dort gründeten in den Wirren des Zusammenbruchs der Sowjetunion die beiden ehemaligen KGB-Mitarbeiter Victor Gusan und Ilja Kasmaly den Konzern Sheriff. Sie sind in allen Feldern aktiv, die Geld bringen: Tankstellen, Spirituosen, Medien, Telekommunikation. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Transnistriens auf den Konzern zurückzuführen sind.
1996 wurde der FC Sheriff Tiraspol als Werksverein gegründet.
Präsident: Victor Gusan. Zwei Jahre später gelang der Aufstieg in die erste Liga der Republik Moldau, die Divizia Națională. Von 2001 bis 2010 wurde der FC Sheriff zehnmal in Folge Meister und ist damit dominanter als der FC Bayern München.
Die erste Qualifikation zur Champions League ist ein „Erfolg mit Ansage“, sagt Röthig. „Der Club hat Jahre darauf hingearbeitet.“Offiziell spielt der FC Sheriff unter der
Flagge der Republik Moldau. Auch Röthigs Weg nach Osteuropa ist verschlungen: Geboren in Niedersachsen, zog seine Familie in ein Dorf in Hessen, doch „Eisenach ist für mich die Wahlheimat, da sind alle meine Freunde, da fühle ich mich am meisten zu Hause“. Er lobt seine alte Schule, das Martin-Luther-Gymnasium. Dort sei sein Interesse für die Welt geweckt worden. Auch wenn die Russisch-Lehrerin damals sagte, er habe nicht das Zeug, die Sprache zu lernen: Mittlerweile spricht Röthig sie fließend.
Nach einem Politikstudium ging es zur Friedrich-Ebert-Stiftung und der Wahl-Eisenacher zog mit Frau und zwei Kindern erst nach Russland, dann in die Ukraine. Dort berät er die Regierung unter anderem bei den Fragen, wie ein Duales Studium eingeführt und Sexismus in der Werbung eingeschränkt werden kann. Nebenbei bleibt die große Leidenschaft: der Fußball.
„Meine Eltern haben mich nach Marcel Reif benannt“, verrät Röthig lachend. Er selbst ist Fan der Bayern. „Ich lerne Osteuropa auch dadurch kennen, dass ich versuche, in jeder Stadt ins Stadion zu gehen.“Deshalb verfolgt er den Aufstieg des FC Sheriff genau. „Es werden keine hohen Ablösen gezahlt, sondern Talente aus Südamerika oder Afrika geholt“, erklärt er die Philosophie des Clubs. 200 Millionen Dollar hat Oligarch Gusan für Stadion und Trainingsplätze ausgegeben.
Es gehe beim FC Sheriff auch ums Geschäft, nicht um Politik, sagt Röthig. Beim Heimspiel gegen Donezk habe er nur eine Transnistrienflagge gesehen. Der Sport könne die Menschen wieder näher zusammenbringen und vielleicht etwas Aufmerksamkeit für den Konflikt bringen, hofft der Politologe. Überhaupt ist auf der Moldau viel in Bewegung: Denn die Republik bewegt sich unter der jungen Präsidentin Maia Sandu in Richtung Europa, ein Aufschwung ist spürbar. Transnistrien ist dagegen abgehängt. Die Hälfte der rund 500.000 Einwohner arbeitet im Ausland, sagen Schätzungen.
Heute spielt der FC Sheriff bei Inter Mailand. Ein Sieg und das Achtelfinale scheint fast sicher. Trotz der allgegenwärtigen Korruption, und der vom Sheriff-Konzern unterwanderten Regierung – Marcel Röthig drückt dem FC Sheriff die Daumen. „Natürlich ist es kein klassischer Underdog, sondern ein Oligarchen-Club. Doch wenn wir eine WM nach Katar vergeben, können wir auch Champions-League-Spiele in Transnistrien schauen.“