Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Pandemie der Ungeimpften
Thüringen verzeichnet bundesweit die höchste Inzidenz. Für Experten ist der Grund klar
Es sei asozial, wenn Kinder jetzt dafür herhalten sollen, dass Erwachsene sich nicht impfen lassen wollen. Mit drastischen Worten reagiert Michael Bauer, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Uniklinikum in Jena (UKJ) auf die erneut höchste Inzidenz Thüringens im Bundeslämder-Vergleich.
Für den Mediziner besteht ein Zusammenhang mit der Impfquote. Mit knapp über 60 Prozent sei die in Thüringen bundesweit mit am niedrigsten. Würde man die jeweiligen Quoten in den Landkreisen mit den Inzidenzen übereinanderlegen, ergebe sich ein klares Bild. „Auch wenn es manche nicht gern hören, wir erleben inzwischen eine Pandemie der Ungeimpften“, sagt Bauer.
Laut Thüringer Gesundheitsministerium finden Infektionen in Thüringen derzeit vor allem im privaten Umfeld und in Kindereinrichtungen statt (s. Grafik). Laut RobertKoch-Institut liegt die Inzidenz bei Heranwachsenden teilweise über 500. Kinder würden aber in der Regel nicht schwer krank, sagt Michael Bauer. Träfen sie in ihren Familien allerdings auf ungeimpfte Eltern, seien schwerwiegende Folgen oft nicht auszuschließen. Von sechs Intensivpatienten mit schweren Covid-Verläufen auf der Intensivstation des UKJ sind fünf ungeimpft.
Anders als viele Kinder hätten Erwachsene die Möglichkeit, sich zu schützen. Dafür, es nicht zu tun, fehle ihm das Verständnis, sagt Bauer, der sich gerade die dritte Spritze geben ließ. „Das Virus ist nicht verschwunden. Impfungen sind eine Errungenschaft der medizinischen Wissenschaft. Deshalb kann ich nur immer wieder dringend dafür werben.“
So sieht es auch sein Kollege Mathias Pletz, Leiter des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene
am UKJ. Die steigenden Inzidenzen machten ihn ratlos, räumt der Infektiologe ein. Einerseits hätten Heranwachsende schon viele Opfer gebracht, andererseits plädiere er weiter für Masken an Schulen, nicht nur wegen Corona, auch wegen Grippe- und anderen Viren. „Es wäre vieles viel einfacher, wenn sich noch mehr Menschen impfen ließen“, sagt Pletz.
Anfang der Woche hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Ende der pandemischen Lage zum 25. November angekündigt und dafür viel Beifall. Man rechne für den Herbst und Winter nicht mehr mit vergleichbar hohen Covid-Patientenzahlen wie in der zurückliegenden Zeit, heißt es. Die könnte man inzwischen auch gar nicht mehr bewältigen, weil viele Pflegekräfte den Intensivstationen den Rücken gekehrt hätten, fügt der Intensivmediziner Michael Bauer hinzu.
Laut Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) sei ein Ende der epidemischen Lage nicht mit einem Ende der Pandemie gleichzusetzen. „Trotz deutlicher Impf-Fortschritte ist die Lage noch nicht gut.“Schutzmaßnahmen seien weiter notwendig, bundeseinheitliche Regeln wünschenswert.