Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
„Biontech ist wie ein deutsches Apple“
Die Aktien der Impfstoffhersteller sind stark gestiegen. Doch zuletzt gab es Rücksetzer. Ist der Markt überhitzt?
Im Oktober 2019 wagte sich ein junges deutsches Unternehmen an die US-Technologiebörse Nasdaq. Es hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die Krebsforschung zu revolutionieren. Zu je 15 Dollar (rund 12,94 Euro) konnten die Aktien gezeichnet werden, sie spielten rund 150 Millionen USDollar ein – ein eher enttäuschendes Ergebnis, von dem hierzulande ohnehin kaum jemand Notiz nahm.
Zwei Jahre später hat das Unternehmen die Welt verändert – es kennt nun jeder: Biontech. Bis zu drei Milliarden Impfdosen gegen das Coronavirus will Biontech bis zum Jahresende hergestellt haben. Im August des laufenden Jahres erreichte die Aktie ihren bisherigen Höchststand: 377 Euro.
Als Biontech an die Börse ging, wusste man noch nichts von einer nahenden Pandemie. Heute ist das Unternehmen knapp 51 Milliarden Euro wert. Wäre Biontech im deutschen Aktienleitindex Dax gelistet, wäre es damit höher notiert als traditionsreiche Konzerne wie Adidas oder Bayer. Die Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci erhielten für ihre Leistung das Bundesverdienstkreuz.
„Es ist ein Glück und ein Segen, dass wir in Deutschland ein Unternehmen wie Biontech haben“, sagt Anlegerschützer Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Und AktienWas analyst Elmar Kraus, der für die DZ Bank die Pharma- und Biotechbranche beobachtet, greift zu einem spektakulären Vergleich: „Biontech ist wie ein deutsches Apple.“
Tatsächlich elektrisierte die Aktie der Mainzer viele Kleinanlegerinnen und Kleinanleger. Wochenlang zählte das Papier zu den meistgehandelten Aktien in Deutschland, selbst als „Volksaktie“wurde es schon bezeichnet – in Erinnerung an die Aktie der Deutschen Telekom, die Ende der 90er-Jahre Tausende auf das Börsenparkett lockte.
Globale Hersteller
■ In der EU haben die Impfstoffe von Biontech, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson
Weltweit werden auch andere Vakzine verimpft, etwa vom indischen Unternehmen Bharat Biotech oder von Sinovac aus China.
Zulassungen. bedingte
■ Ein in solche Unternehmen sollte gut bedacht sein, rät Aktienanalyst Elmar Kraus.
Investment
„Bei internationalen Herstellern, die hierzulande nicht sonderlich bekannt sind, sollte man sich genau über die Regulatorik vor Ort, Währungsrisken und die Unternehmen informieren“, sagt der Experte von der DZ Bank. „Es ist ratsam, sich nicht nur auf den Impfstoff zu konzentrieren, sondern ein Unternehmen und sein Marktumfeld ganzheitlich zu betrachten.“
damals folgte, war mit dem Platzen der Internetblase ein historischer Absturz, der viele Anlegerinnen und Anleger vom Aktienmarkt abschreckte. Und auch bei Impfstoffaktien haben einige schon ins fallende Messer gegriffen. Curevac aus Tübingen galt als deutscher Hoffnungsträger auf einen CoronaImpfstoff, musste seinen ersten Kandidaten aufgrund geringer Wirksamkeit aber zurückziehen. Heute ist die Aktie nur noch ein Drittel des Dezemberhochs wert.
Selbst bei den erfolgreichen Impfstoffherstellern machte sich zuletzt Katerstimmung breit. Biontech notiert derzeit rund 40 Prozent unter seinem Allzeithoch. Auch die Aktien anderer Hersteller haben kräftige Korrekturen zu verzeichnen. Biontechs Partner Pfizer etwa hat seit seinem Augusthoch knapp 17 Prozent an Wert verloren. Das Papier des US-Unternehmens Moderna kostete bei seinem Hoch im August 401,90 Euro, nun ist es für 30 Prozent weniger zu haben. Beim USUnternehmen Johnson&Johnson ging es im Vergleich zum Augusthoch um zehn Prozent abwärts.
Dagegen konnte sich der britischschwedische Konzern Astrazeneca seit seinem Augusthoch leicht verbessern. „Astrazeneca darf während der Pandemie mit dem Impfstoff eigentlich keinen Gewinn machen und wartet darauf, dass die Pandemie zur Epidemie heruntergestuft wird, um dann die Preise erhöhen zu können“, sagt Aktienanalyst Kraus. Ein Kursfeuerwerk legte zudem zu Wochenbeginn der französische Biotechkonzern Valneva hin: Die Firma kündigte einen Zulassungsantrag in der EU an.
Einen Grund für die deutlichen Rücksetzer der anderen Hersteller sieht der DZ-Bank-Experte in der Empfehlung der US-Gesundheitsbehörde FDA, zunächst weltweit alle Menschen erstzuimpfen, bevor man die Boosterimpfung in den Industriestaaten verabreicht.
Für Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank, sind die Impfstoffaktien zwar ambitioniert bewertet, von einer Überhitzung will er aber nicht sprechen. Kurzfristig sieht er Potenzial: „Vor dem Hintergrund empfohlener Boosterimpfungen für weite Teile der Gesellschaft könnten die Kurse wieder zulegen.“Vor allem aber langfristig würden sich Perspektiven bieten, wenn es gelänge, die mRNA-Technologie auch bei anderen Krankheiten anzuwenden.
Biontech etwa war ursprünglich gestartet, um die Krebsforschung zu revolutionieren. Der Corona-Impfstoff sorgt nun dafür, dass ausreichend Geld für die Forschung zur Verfügung steht. „Sollte Biontech in der Krebsforschung Erfolg haben, wird die Aktie nach oben schießen in Kurshöhen, die weit von den derzeitigen Kursen entfernt sind“, sagt Anlegerschützer Tüngler. „Der Stolz auf dieses Unternehmen in Kombination mit einem Produkt, dass den Alltag eines jeden Einzelnen betrifft, kann Biontech zur Volksaktie werden lassen.“