Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Absturz der Hoffnungsträger
Die Umfragewerte von Biden und Harris sind auf Trump-Niveau angekommen. Dem US-Präsidenten läuft die Zeit davon
Bei seiner Amtseinführung im Januar nahm Joe Biden für sich in Anspruch, Amerika mit besonnener Hand aus den Trumpschen Chaos-Jahren zu führen. International sollte der Klimaschutz die zentrale Bühne werden, auf der die USA nach der Abwahl des verkappten Klimawandel-Leugners Trump die Meinungs- und Tatführerschaft im Kampf gegen den CO2-Ausstoß übernehmen. Beim UN-Weltklimagipfel „COP26“ab Halloween Ende Oktober wollte der US-Präsident mit einem daheim bis dahin politisch durchgesetzten Bündel milliardenschwerer Maßnahmen im Rücken, die auf die Reduzierung von Treibhausgasen bis 2030 um 50 Prozent hinauslaufen, im schottischen Glasgow als der gute Geist der globalen Bewegung gegen die Erderwärmung erscheinen.
Aber es gibt keine Investitionsgesetze in saubere Energie. Grabenkämpfe in Washington, vor allem in den eigenen Reihen, vereiteln das bisher.
John Podesta, früherer Berater von Alt-Präsident Barack Obama
Was bei Bidens Auftritt in Europa droht, ist eine „weitere kleine Horror-Show“, sagen demokratische Strategen mit Blick auf eine Serie von Pleiten und Pannen. „Joe Biden könnte am Ende seines ersten Amtsjahres irreparabel beschädigt sein“, orakelt John Podesta, Ex- Berater von Alt-Präsident Barack Obama, und nennt die aus seiner Sicht wahrscheinlichste Konsequenz: die Rückkehr Donald Trumps bei der Wahl 2024.
Biden (78) weiß um seine prekäre Lage. Seine Umfragewerte bewegen sich auf dem miserablen Niveau von Vorgänger Trump. Auf die Frage, was für ihn auf dem Spiel steht, sagte Biden jüngst vor Journalisten: „der Sieg.“
Die stärksten Treiber für sein ramponiertes Image sind:
• das verkorkste Ende des Afghanistan-Krieges
• die bei täglich um die 100.000 Neuinfektionen und 1000 Toten stagnierende Bekämpfung der durch die Delta-Variante eskalierten Corona-Pandemie, in der 70 Millionen Amerikaner ungeimpft sind
• die schleppende wirtschaftliche Erholung am Arbeitsmarkt
• die desolate Flüchtlingslage an der Grenze zu Mexiko, wo allein im August 200.000 Menschen auftauchten
• unerfüllte (Einwanderungsreform) oder einkassierte Versprechen (Stärkung der Wahlrechte für Minderheiten).
Vizepräsidentin Kamala Harris, als Nachfolgerin gehandelt, falls Biden 2024 aus Altersgründen nicht für eine zweite Amtszeit antritt, ist komplett in den Negativsog der Regierung geraten. Die erste Afroamerikanerin und asiatischstämmige Frau im zweithöchsten Staatsamt, die heute 57 Jahre alt wird, hat bisher wenig Profil gezeigt. Die ihr zugewiesene Herkules-Aufgabe, Mittel gegen die Migrationskrise zu finden, ist weiter ungelöst. Harris’ Umfragewerte rangieren noch unter denen Bidens.
Um das Ruder herumzureißen, bleibt dem Amtsinhaber nur ein kleines Zeitfenster. „Sollte es Joe Biden bis Weihnachten nicht gelingen, zwei billionenschwere, historisch an den Weltkriegs-Präsidenten Franklin D. Roosevelt erinnernde Investitions-Gesetze erfolgreich durch den Kongress zu navigieren, dann könnte es das gewesen sein“, sagen Analysten in der eigenen Partei hinter vorgehaltener Hand.
Das erste Paket würde die teilweise nur noch Dritte-Welt-Standard bietende Infrastruktur (Brücken, Straßen, Häfen, Stromnetze, Wasserleitungen etc.) verbessern und massiv in erneuerbare Energien und E-Mobilität investieren.
Ein zweites will die sozial chronisch ungerechten USA binnen eines Jahrzehnts schrittweise an Standards des europäischen Wohlfahrtsstaats heranführen: bezahlter Eltern- und Mutterschutz, kostenlose Kindergärten, freier Zugang zu öffentlichen Universitäten, steuerliche Vergünstigungen für Familien; um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Haushalt
■ Anfang Dezember kommt es voraussichtlich zum Showdown – der Entscheidung über den Haushaltsplan. Bidens Megapakete sind mit dem Staatsetat verbunden. Bleibt die
Anhebung der Schuldenobergrenze
aus, droht der Zahlungsausfall der USA. Käme es dazu, so Finanzministerin Yellen, müsse man mit globalen finanziellen Tumulten und dem Verlust von Wirtschaftswachstum und Jobs in „Milliardenhöhe“rechnen.
Es geht insgesamt um astronomische Summen von 4500 Milliarden Dollar aufwärts. Die Segnungen sollen auch durch höhere Steuern für Reiche und Unternehmen refinanziert werden.
Dass die von Trump ferngesteuerten Republikaner hier nur punktuell (bei der Infrastruktur) mitspielen würden, war eingepreist. Dass die eigenen Demokraten Biden hartnäckig Knüppel zwischen die Beine werfen, überrascht. Bei 50:50-Stimmen im Senat haben zwei spielentscheidende demokratische Senatoren – Joe Manchin (West Virginia) und Kyrsten Sinema (Arizona) – den Präsidenten in Geiselhaft genommen. Sie wollen ganz im Sinne der Republikaner die staatlichen Ausgabenpakete massiv eingedampft wissen – um circa 3000 Milliarden Dollar. Die von progressiven Idolen wie Alexandria OcasioCortez angeführte demokratische Linke im Repräsentantenhaus poltert dagegen. Dort kann sich Biden nur drei Abweichler leisten. Zurzeit legen sich über 50 quer.
Biden und seine Mannschaft im Weißen Haus haben viele Spitzengespräche geführt, aber noch keinen Hebel gefunden, um die Lager auf einen Kompromiss einzuschwören. Selbst seine Ankündigung, dass er Abstriche bei seinen Projekten machen muss, hat nicht geholfen. Wichtige Abstimmungen liegen weiter auf Eis. Joe Biden hängt in der Luft.
„Joe Biden könnte am Ende seines ersten Amtsjahres irreparabel beschädigt sein.“