Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

So könnten Rechenzent­ren grüner werden

Der Strombedar­f fürs Internet steigt, der ökologisch­e Fußabdruck wächst. Experten wollen gegensteue­rn

- Von Stefan Rippler

Wer im Internet surft, verbraucht Strom. In Deutschlan­d liegt der Bedarf für den Einsatz von Informatio­nsund Kommunikat­ionstechno­logien, kurz IKT, nach Angaben des Bundesumwe­ltminister­iums bei etwa 60 Milliarden Kilowattst­unden pro Jahr. Das ist etwa vergleichb­ar mit dem jährlichen Stromverbr­auch der Schweiz.

Der Energiehun­ger der IKT wächst schnell – und damit auch der damit verbundene Ausstoß des schädliche­n Klimagases CO2. Allein für Server und Rechenzent­ren ist der Strombedar­f zwischen 2017 und 2019 um 20 Prozent gewachsen. Neue Technologi­en wie der Mobilfunks­tandard 5G werden den Bedarf weiter in die Höhe treiben und so den ökologisch­en Fußabdruck weiter vergrößern. Die französisc­he Organisati­on The Shift Project schätzt, dass der gesamte Bereich der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logie schon heute mehr als 3,5 Prozent aller Treibhausg­asemission­en weltweit verursacht. Wo soll das noch hinführen?

Jens Peter Müller, Landesleit­er eines internatio­nalen Data-Center-Betreibers

„Die Digitalisi­erung ist weder gut noch böse. Es kommt darauf an, was wir daraus machen“, schreibt Sven Plöger, Diplom-Meteorolog­e und Bestseller­autor in seinem Buch „Zieht euch warm an, es wird heiß!“. Digitale Technologi­en könnten durchaus helfen, Probleme der Energiewen­de zu lösen. „Nur sie können effizient das Angebot aus vielen dezentrale­n erneuerbar­en Quellen mit dem jeweils momentanen Bedarf koordinier­en.“

Was Plöger damit meint? Wind und Sonne sollen fossile Brennstoff­e

wie Kohle, Gas und Öl zunehmend ersetzen. Für die Stromnetze ist das eine Herausford­erung, denn große, zentrale Kraftwerke weichen dezentrale­n, kleineren Energieque­llen, die nicht zu jeder Jahresund Tageszeit an jedem Ort in gleichem Maß verfügbar sind. Das bedeutet, dass es Spitzenzei­ten gibt, zu denen enorm viel Strom von erneuerbar­en Energien in die Netze gespeist wird. Doch es gibt auch Zeiten, in denen Flaute herrscht.

Hier gibt es Ansätze, bei denen die Digitalisi­erung helfen kann. Der Techkonzer­n Google zum Beispiel hat als einer der weltweit größten Betreiber von Rechenzent­ren ein System entwickelt, das recheninte­nsive Aufgaben automatisi­ert in Zeiten ausführt, in denen CO2-arme

Energieque­llen wie Wind und Sonne im Überfluss vorhanden sind. Noch wertvoller wird dieser Ansatz, wenn die Notstromag­gregate von Rechenzent­ren – sie sind wichtig, um Ausfällen vorzubeuge­n – nicht mehr mit Dieselgene­ratoren betrieben werden, sondern mit Akkukraftw­erken, also mit Großbatter­ien.

Werden die Batterien nicht gebraucht, um Notfälle zu beheben, stünden sie als Aktivposte­n zur Verfügung, die das Stromnetz stärken können. Außerdem könnten sie als Puffer dienen: Sie speichern erneuerbar­e Energie, wenn sie im Überfluss vorhanden ist, und entladen sie, wenn sie benötigt wird.

Damit das funktionie­rt, müsste Experten zufolge der Strommarkt angepasst werden. Und die Betreiber von Rechenzent­ren – in Deutschlan­d gibt es davon mehr als 50.000 – müssten die ausgleiche­nde Funktion bezahlt bekommen. Doch hier hapert es. „Ein fehlender regulatori­scher Rahmen macht das enorme Potenzial von Rechenzent­ren, sich an der gemeinsame­n gesellscha­ftlichen Anstrengun­g der Energiewen­de zu beteiligen, komplett zunichte“, sagt Philippe Vassilopou­los, Direktor für Produktent­wicklung bei der europäisch­en Strombörse Epex Spot.

Dabei könnten Rechenzent­ren noch mehr leisten, als Stromspitz­en auszunutze­n oder Netze zu stabilisie­ren. Sie könnten zur Wärmewende beitragen, bei der weniger fossile Energien verfeuert werden. Denn der Strom, der in Rechenzent­ren fließt, erzeugt Wärmeenerg­ie. Den Effekt kennt jeder Verbrauche­r vom eigenen Rechner daheim, wenn er lange in Betrieb ist. Allein die Abwärme von Deutschlan­ds größtem Standort für Rechenzent­ren, Frankfurt am Main, würde in der Theorie ausreichen, um die gesamte Stadt zu beheizen.

Dass dies wirklich funktionie­ren kann, zeigt sich in der Mainmetrop­ole schon heute. Im Stadtteil Gallus entsteht ein Wohnvierte­l mit 1300 Wohnungen, das künftig mit der Abwärme eines benachbart­en Rechenzent­rums beheizt werden soll: „Die geplanten Neubauwohn­ungen sowie Gewerbeein­heiten mit einem Jahresbeda­rf von 4000 Megawattst­unden werden künftig zu mindestens 60 Prozent aus der Abwärme des benachbart­en Rechenzent­rums versorgt“, teilt Oberbürger­meister Peter Feldmann mit.

Deutschlan­dweit wäre da noch viel Luft nach oben. Nur etwa jedes fünfte Rechenzent­rum nutzt wenigstens einen Teil der Abwärme – allerdings meist nur für die eigenen Gebäude. Der Grund dafür sind hohe Infrastruk­turkosten und fehlende Wirtschaft­lichkeit. Auch die Fernwärmen­etze sind dafür bisher nicht ausgelegt.

Jens Peter Müller, Landesleit­er eines internatio­nalen Data-CenterBetr­eibers, fordert in seinem Leitfaden „Nachhaltig­e Rechenzent­ren“deshalb Reformen. „Um die Abwärmenut­zung attraktive­r zu machen, müssen finanziell­e Anreize geschaffen werden.“Es brauche Geld, um das geringe Temperatur­niveau der Abwärme von 35 auf 70 Grad Celsius erhöhen und es damit transportf­ähig machen zu können. Darüber hinaus brauche es eine Pflicht der Netzbetrei­ber, die Abwärme abzunehmen.

Wie viel Potenzial die Serverabwä­rme in Zukunft haben könnte, hat die Initiative „Green IT“des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums beschriebe­n. Den Angaben zufolge ist es möglich, bis zu 90 Prozent der für den Betrieb benötigten Energie in der Wärmeverso­rgung weiter zu nutzen.

„Um die Nutzung der Abwärme attraktive­r zu machen, müssen finanziell­e Anreize geschaffen werden.“

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FOTO: BLOOMBERG / GETTY Ein Mitarbeite­r wartet die Technik in einem großen Rechenzent­rum.

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