Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
So könnten Rechenzentren grüner werden
Der Strombedarf fürs Internet steigt, der ökologische Fußabdruck wächst. Experten wollen gegensteuern
Wer im Internet surft, verbraucht Strom. In Deutschland liegt der Bedarf für den Einsatz von Informationsund Kommunikationstechnologien, kurz IKT, nach Angaben des Bundesumweltministeriums bei etwa 60 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Das ist etwa vergleichbar mit dem jährlichen Stromverbrauch der Schweiz.
Der Energiehunger der IKT wächst schnell – und damit auch der damit verbundene Ausstoß des schädlichen Klimagases CO2. Allein für Server und Rechenzentren ist der Strombedarf zwischen 2017 und 2019 um 20 Prozent gewachsen. Neue Technologien wie der Mobilfunkstandard 5G werden den Bedarf weiter in die Höhe treiben und so den ökologischen Fußabdruck weiter vergrößern. Die französische Organisation The Shift Project schätzt, dass der gesamte Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie schon heute mehr als 3,5 Prozent aller Treibhausgasemissionen weltweit verursacht. Wo soll das noch hinführen?
Jens Peter Müller, Landesleiter eines internationalen Data-Center-Betreibers
„Die Digitalisierung ist weder gut noch böse. Es kommt darauf an, was wir daraus machen“, schreibt Sven Plöger, Diplom-Meteorologe und Bestsellerautor in seinem Buch „Zieht euch warm an, es wird heiß!“. Digitale Technologien könnten durchaus helfen, Probleme der Energiewende zu lösen. „Nur sie können effizient das Angebot aus vielen dezentralen erneuerbaren Quellen mit dem jeweils momentanen Bedarf koordinieren.“
Was Plöger damit meint? Wind und Sonne sollen fossile Brennstoffe
wie Kohle, Gas und Öl zunehmend ersetzen. Für die Stromnetze ist das eine Herausforderung, denn große, zentrale Kraftwerke weichen dezentralen, kleineren Energiequellen, die nicht zu jeder Jahresund Tageszeit an jedem Ort in gleichem Maß verfügbar sind. Das bedeutet, dass es Spitzenzeiten gibt, zu denen enorm viel Strom von erneuerbaren Energien in die Netze gespeist wird. Doch es gibt auch Zeiten, in denen Flaute herrscht.
Hier gibt es Ansätze, bei denen die Digitalisierung helfen kann. Der Techkonzern Google zum Beispiel hat als einer der weltweit größten Betreiber von Rechenzentren ein System entwickelt, das rechenintensive Aufgaben automatisiert in Zeiten ausführt, in denen CO2-arme
Energiequellen wie Wind und Sonne im Überfluss vorhanden sind. Noch wertvoller wird dieser Ansatz, wenn die Notstromaggregate von Rechenzentren – sie sind wichtig, um Ausfällen vorzubeugen – nicht mehr mit Dieselgeneratoren betrieben werden, sondern mit Akkukraftwerken, also mit Großbatterien.
Werden die Batterien nicht gebraucht, um Notfälle zu beheben, stünden sie als Aktivposten zur Verfügung, die das Stromnetz stärken können. Außerdem könnten sie als Puffer dienen: Sie speichern erneuerbare Energie, wenn sie im Überfluss vorhanden ist, und entladen sie, wenn sie benötigt wird.
Damit das funktioniert, müsste Experten zufolge der Strommarkt angepasst werden. Und die Betreiber von Rechenzentren – in Deutschland gibt es davon mehr als 50.000 – müssten die ausgleichende Funktion bezahlt bekommen. Doch hier hapert es. „Ein fehlender regulatorischer Rahmen macht das enorme Potenzial von Rechenzentren, sich an der gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengung der Energiewende zu beteiligen, komplett zunichte“, sagt Philippe Vassilopoulos, Direktor für Produktentwicklung bei der europäischen Strombörse Epex Spot.
Dabei könnten Rechenzentren noch mehr leisten, als Stromspitzen auszunutzen oder Netze zu stabilisieren. Sie könnten zur Wärmewende beitragen, bei der weniger fossile Energien verfeuert werden. Denn der Strom, der in Rechenzentren fließt, erzeugt Wärmeenergie. Den Effekt kennt jeder Verbraucher vom eigenen Rechner daheim, wenn er lange in Betrieb ist. Allein die Abwärme von Deutschlands größtem Standort für Rechenzentren, Frankfurt am Main, würde in der Theorie ausreichen, um die gesamte Stadt zu beheizen.
Dass dies wirklich funktionieren kann, zeigt sich in der Mainmetropole schon heute. Im Stadtteil Gallus entsteht ein Wohnviertel mit 1300 Wohnungen, das künftig mit der Abwärme eines benachbarten Rechenzentrums beheizt werden soll: „Die geplanten Neubauwohnungen sowie Gewerbeeinheiten mit einem Jahresbedarf von 4000 Megawattstunden werden künftig zu mindestens 60 Prozent aus der Abwärme des benachbarten Rechenzentrums versorgt“, teilt Oberbürgermeister Peter Feldmann mit.
Deutschlandweit wäre da noch viel Luft nach oben. Nur etwa jedes fünfte Rechenzentrum nutzt wenigstens einen Teil der Abwärme – allerdings meist nur für die eigenen Gebäude. Der Grund dafür sind hohe Infrastrukturkosten und fehlende Wirtschaftlichkeit. Auch die Fernwärmenetze sind dafür bisher nicht ausgelegt.
Jens Peter Müller, Landesleiter eines internationalen Data-CenterBetreibers, fordert in seinem Leitfaden „Nachhaltige Rechenzentren“deshalb Reformen. „Um die Abwärmenutzung attraktiver zu machen, müssen finanzielle Anreize geschaffen werden.“Es brauche Geld, um das geringe Temperaturniveau der Abwärme von 35 auf 70 Grad Celsius erhöhen und es damit transportfähig machen zu können. Darüber hinaus brauche es eine Pflicht der Netzbetreiber, die Abwärme abzunehmen.
Wie viel Potenzial die Serverabwärme in Zukunft haben könnte, hat die Initiative „Green IT“des Bundeswirtschaftsministeriums beschrieben. Den Angaben zufolge ist es möglich, bis zu 90 Prozent der für den Betrieb benötigten Energie in der Wärmeversorgung weiter zu nutzen.
„Um die Nutzung der Abwärme attraktiver zu machen, müssen finanzielle Anreize geschaffen werden.“