Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Einstürzende Hüpfburgen
Meine Frau hat das Bild im Wohnzimmer aufgestellt. Vielleicht, weil ich noch volles Haar, keine Brille und vor allem keinen Bauch hatte. Auf dem Jugendbildnis sitze ich 1991 mit den Kollegen auf der alten Holztribüne des Georgi-Dimitroff-Stadion (Namensgeber war ein bulgarischer Kommunist). Damals spielte RotWeiß Erfurt sogar 2. Bundesliga.
Geknarrt hat die Tribüne kräftig, wenn die über 1200 Fans freudig aufsprangen. 1992 wurde das hölzerne Bauwerk dann abgerissen. Aber nicht, weil es einzustürzen drohte, sondern weil Fördergeld für ein neues Stadion flüssig war. Die luftige neue Tribüne sorgte aber nur bei den deutschen Leichtathletikmeisterschaften 1994 für Vergnügen, weil im Hochsommer der Wind für Erfrischung sorgte.
Aber sicher, das ist das inzwischen erneut umgebaute Steigerwaldstadion. Da darf man lustig hüpfen, wenn der Gegner in der fünften Liga an die Wand gespielt wird. Anders als im niederländischen Nijmegen, wo im Siegestaumel der Gäste aus Arnheim einige Ränge zusammenbrachen. Verletzt wurde zum Glück niemand.
Einstürzende „Hüpfburgen“sind sehr selten geworden. Die letzte Stadionkatastrophe im Fußball, die auf grobe Baumängel zurückzuführen ist, war der Zusammenbruch
einer Zusatztribüne beim französischen Pokal-Halbfinale zwischen Bastia und Marseille 1992. Weil die Korsen wohl ein paar Schrauben locker hatten, starben unter den Trümmern des Billigbauwerks 18 Menschen, fast 3000 wurden verletzt. Die uralte Tribüne die nur 750 Menschen Platz bot, war abgerissen worden, um mehr Fans ins Furiani-Stadion zu bekommen. Der Präsident des SC Bastia wurde übrigens kurz vor Beginn des Prozesses um das Unglück vor seinem Haus erschossen, was auf Korsika immer mal wieder vorkommt. Ob aus Rache wegen der Katastrophe oder anderen Gründen wurde nie aufgeklärt.
Der erste tragische Stadion-Einsturz im Fußball ist von 1902 überliefert. 75.000 Fans schauten das Duell Schottland kontra England auf den Holztribünen des legendären Ibrox-Park. Unter der Last der Menschenmassen gaben die Eisenpfeiler des „West Stand“nach. Zahlreiche Menschen fielen in einen riesigen zehn Meter tiefen Krater. 500 Fans wurden verletzt, für 25 kam jede Rettung zu spät. Das Spiel wurde nach zwanzigminütiger Unterbrechung übrigens zu Ende gespielt, während Sanitäter, die verletzten Menschen bargen.
Die größten Katastrophen erlebte der Fußball aber bei Massenpaniken. Das Drama im Brüsseler
Heysel-Stadion von 1985 hat sich eingebrannt. 39 Fans starben. Die meisten Toten gab es 1965 bei der Olympia-Qualifikation zwischen Peru und Argentinien mit einer Schreckensbilanz von 350 Opfern.
Holztribünen sind inzwischen selten. Bei Lok Leipzig im BrunoPlache-Stadion steht noch eine. Teppichboden, abbröckelnde Farbe, Rauchen verboten! Wie gefährlich es werden kann, zeigte die Katastrophe von Bradford, als 1985 eine brennende Zigarette das mit 3000 Fans besetzte Bauwerk entzündete. 56 Zuschauer starben, 265 wurden teils schwer verletzt. Deshalb ist der Abriss der hölzernen Relikte durchaus vernünftig.
In Sondershausen musste auf dem Göldner gerade die berühmte 2000-Mann-Tribüne weichen. Angeblich könne das vom Kali-Kombinat 1988 errichtete Stahlbauwerk irgendwie irgendwann mal umkippen. Dabei kam es nur einmal ins Wanken, als Krug im Jahr 2000 vor über 3000 Fans beim Oberliga-Auftakt gegen Dynamo Dresden den 1:0-Siegtreffer erzielte. Heute hat die Kalistadt zehntausend Einwohner weniger und zu Spielen in der Thüringenliga kommen höchstens noch gut hundert Leute. Da reicht die neue kleine Tribüne für 500 Anhänger.
Vorsicht bleibt aber die Mutter der Porzellankiste. Über Magdeburg lachten 2017 die Fußballfreunde, als das Bauamt das Hüpfen der Fans verbot und eine Stadionsperre androhte. Für elf Millionen Euro wurde die Arena hüpffest und zweitligatauglich gemacht.
Den Einsturz einer echten Hüpfburg erlebte ich vor ein paar Jahren in Marseille. War nicht lustig, der Pumpe ging die Luft aus und die eingeklemmten Enkel schrien – aber nicht vor Vergnügen.