Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Die Einsamkeit des Ministers
Warum die Corona-Frage nach wie vor Parlament und Landesregierung spaltet
Es war im Oktober 2020, da schloss Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) einen Lockdown aus – nur um ihn kurz darauf mit seinen Amtskollegen und dem Bund zu beschließen. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen stieg einfach zu rasant. Am Ende schwappte die zweite Pandemiewelle nirgendwo höher als in Thüringen.
Nun, ein Jahr später, hat das Land noch schneller den Platz eins in der Infektionstabelle erreicht. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei über 160, das ist doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Der zentrale Grund, da zeigten sich alle Fraktionen außer der AfD am Mittwoch im Landtag einig, ist die Tatsache, dass Thüringen zu langsam impft. Bloß sechzig Prozent mit vollem Schutz: Nur Sachsen, wo sich die Rate der Neuinfektionen ebenfalls deutlich über dem nationalen Niveau befindet, steht schlechter da. In der Folge steigt die Zahl der Intensivpatienten in Thüringen, vierzig sind es aktuell.
Im Zentrum stehen wieder einmal die Schulen
Aber gab es da nicht ein großes politisches Versprechen aller Beteiligten? Sollte die Impfung nicht alles verändern?
Der Mittwoch belegte eindrücklich, wie wenig sich die politische Debatte in Thüringen verändert hat. Die Zerrissenheit ist offensichtlich, im Parlament, aber auch in der Landesregierung. Und im Zentrum stehen wieder einmal die Schulen, wo die Inzidenz bei den Neuinfektionen immer neue Rekorde erreicht.
Die oppositionelle CDU, die dazu eine Aktuelle Stunde im Landtag beantragt hatte, griff den linken Bildungsminister Helmut Holter frontal an. Der Sonderweg, Schülerinnen und Schüler nur kurzzeitig nach den Sommerferien flächendeckend zu testen, habe zum Kontrollverlust geführt, sagte der Abgeordnete Christian Tischner. Wäre durchgängig getestet worden, hätten sich nicht so viele Schüler angesteckt und das Virus in ihre Familien getragen. Deshalb müsse es jetzt endlich eine Testpflicht geben.
Holter widersprach für seine Verhältnisse äußerst emotional. Es dürfe nicht sein, rief er laut, dass die Kinder wieder die Hauptlast trügen. Weil aber am wichtigsten sei, die Schulen nicht zu schließen, unterstütze er den vom Kabinett am Dienstag beschlossenen Kompromiss, der ein verbindliches Testangebot an allen Schulen nach den Herbstferien vorsieht.
Im Übrigen, sagte der Minister, erkrankten ja Kinder nachgewiesenermaßen so gut wie nie schwer an Covid-19. Das bedeute: „Kinder sind grundsätzlich in Sicherheit.“Und: „Deshalb sind Schulen grundsätzlich sicher.“Diese erstaunliche Logik begleitete Holter mit der Aussage, dass das Thüringer System „funktionsfähig und handlungsfähig“sei. „Die Schulen arbeiten, und sie arbeiten ruhig.“
Jene Schulen, an denen es gerade eher unruhig zugeht, ignorierte der Minister ebenso wie den Umstand, dass ihm der Beschluss von SPD und Grünen aufgenötigt worden war. Nachdem die Sozialdemokraten einen Koalitionsausschuss einberufen hatten, musste am Ende Ramelow den Kompromiss vermitteln.
Das liegt auch daran, dass die Schultestdebatte nicht nur eine sachpolitische, sondern auch eine machtpolitische Ebene mit hoher Symbolwirkung besitzt. Dass sich die Regierungspartner auseinandergelebt haben, ist spätestens seit der
Landtagswahl 2019 offensichtlich – und bestätigte sich mit der ausgefallenen Neuwahl im Sommer nochmals. Nun, da sich die SPD durch die Bundestagswahl erstmals ernsthaft gestärkt fühlt, nutzt sie erst recht jede Gelegenheit, um sich von der größeren Linken zu emanzipieren.
Zwar gaben sich Matthias Hey und Astrid Rothe-Beinlich, die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, in der Debatte halbwegs mit der Einigung zufrieden. Doch neben diesen offiziellen Verlautbarungen bleibt der interne Zwist bestehen. Und so wirkte der Kultusminister, der trotzig „Zuversicht“einforderte und rief, wie „vielfältiger und bunter“das Leben gerade wieder werde, am Ende vor allem eines: ziemlich einsam.