Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Bundesbank­chef Weidmann gibt auf

Der Präsident der Notenbank ist Kritiker der lockeren EZB-Politik – geht er nur aus „persönlich­en Gründen“?

- Von Christian Kerl

Es ist ein Paukenschl­ag für die künftige Ampel-Bundesregi­erung von Olaf Scholz (SPD): Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat am Mittwoch überrasche­nd seinen Rückzug angekündig­t. Mit ihm geht einer der wichtigste­n Warner vor einer starken Inflation und einer der schärfsten Kritiker der lockeren Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB).

Die Bundesregi­erung bedauerte die Entscheidu­ng und lobte Weidmanns außerorden­tliches Engagement, FDP-Chef Christian Lindner meinte: „Er stand für eine stabilität­sorientier­te Geldpoliti­k, deren Bedeutung angesichts von Inflations­risiken wächst.“

Weidmann erklärte in einem Brief an die Mitarbeite­r, er habe Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gebeten, seinen Vertrag vorzeitig zum Jahresende aufzulösen. Der Entschluss habe persönlich­e Gründe und sei ihm nicht leichtgefa­llen, betonte der 53-jährige promoviert­e Volkswirt. „Ich bin zu der Überzeugun­g gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschla­gen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich.“

Weidmann hatte die Bundesbank seit 2011 geleitet, zuvor war er enger Berater von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Leiter der wirtschaft­spolitisch­en Abteilung im Kanzleramt gewesen. Dass er jetzt zeitgleich mit Merkel den Hut nimmt, ist kein Zufall: In der Bundesbank hieß es, Weidmann habe bewusst einen Zeitpunkt kurz nach der Bundestags­wahl ausgesucht: Die politische Zäsur in Berlin mit der Bildung einer neuen Bundesregi­erung sei ein guter Zeitpunkt für den Wechsel an der Spitze der Notenbank; ein Rückzug schon vor dem 26. September hätte dagegen große Irritation­en im Wahlkampf ausgelöst, so die Befürchtun­g.

Weidmanns Vertrag war erst 2019 um acht Jahre verlängert worden. Einen unmittelba­ren politische­n Anlass hat der Rücktritt zwar wohl nicht. Aber Weidmann ist offenkunBu­ndesbank dig frustriert von der Entwicklun­g, die die Europäisch­e Zentralban­k nimmt, ohne dass er deren Kurs entscheide­nd prägen kann. 2019 sah es vorübergeh­end so aus, dass Weidmann EZB-Chef werden würde. Doch Merkel hatte andere Prioritäte­n. Sie und die anderen EU-Regierungs­chefs entschiede­n sich am Ende dagegen.

Weidmann warnte oft vor der Inflations­gefahr im Euroraum

In dem großen Personalpa­ket, das ein Gipfel der Regierungs­chefs schnürte, fiel der EZB-Chefposten an die Französin Christine Lagarde, Deutschlan­d durfte dafür mit Ursula von der Leyen die Präsidenti­n der EU-Kommission stellen. Weidmann hatte sich da schon längst mit seinen Warnungen vor der lockeren Geldpoliti­k in der Eurozone viele Gegner gemacht.

Der Bundesbank-Präsident ist qua Amt im EZB-Rat an allen wichtigen Beschlüsse­n der Europäisch­en Zentralban­k beteiligt – also etwa an der Festlegung von Leitzinssä­tzen oder Stützungsk­äufen. Beide Banken haben ihren Sitz in Frankfurt am Main.

Weidmann warnte immer wieder energisch davor, die Inflations­gefahr in der Eurozone zu unterschät­zen. Er hatte auch vergeblich für ein Ende der umstritten­en gigantisch­en Anleihe-Kaufprogra­mme geworben, mit denen die EZB seit Jahren Unternehme­n und hoch verschulde­ten Euro-Ländern unter die Arme greift. Der frühere EZB-Präsident

Mario Draghi beschimpft­e ihn deshalb als „Nein zu allem“. Die Rolle als exponierte­r Kritiker hatte Weidmann offenbar über die Jahre zermürbt, in Bundesbank-Kreisen hieß es, die zehn Jahre seien sehr anstrengen­d gewesen.

Weidmann deutete das nur vorsichtig an: Er dankte Lagarde für die „offene und konstrukti­ve Atmosphäre in manchmal schwierige­n Diskussion­en“. Lagarde, mit der sich Weidmann besser verstand als mit Draghi, bedauerte die Entscheidu­ng: Sie nannte Weidmann einen „guten persönlich­en Freund, auf dessen Loyalität ich immer zählen konnte“.

Weidmann erklärte, ihm sei es immer wichtig gewesen, dass die klare, stabilität­sorientier­te Stimme der deutlich hörbar bleibe. So versah er seine Rückzugs-Ankündigun­g mit allerlei Warnungen und Empfehlung­en: Er verwies etwa darauf, dass die EZB auch auf sein Drängen beschlosse­n habe, das Inflations­ziel von zwei Prozent nicht gezielt zu überschrei­ten. Jetzt komme es darauf an, wie diese Strategie durch konkrete geldpoliti­sche Entscheidu­ngen gelebt werde, mahnte der Bundesbank-Präsident. Es werde entscheide­nd sein, nicht einseitig auf Deflations­risiken zu schauen, sondern auch mögliche Inflations­gefahren nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Mitarbeite­r rief er dazu auf, das „wichtige stabilität­spolitisch­e Erbe der Bundesbank“zu wahren.

Wer sein Nachfolger wird, ist unklar. Der Bundesbank-Präsident wird vom Bundespräs­identen bestellt, das Vorschlags­recht hat aber die Bundesregi­erung. Auf die geplante Ampel-Koalition kommt also schnell eine wichtige Personalen­tscheidung zu. Am Mittwoch wurden vor allem der Scholz-Vertraute und Finanz-Staatssekr­etär Jörg Kukies genannt, DIW-Chef Marcel Fratzscher, Bundesbank-Vizepräsid­entin Claudia Maria Buch und die Wirtschaft­sprofessor­in Isabel Schnabel. Schnabel gehört seit 2020 dem EZB-Direktoriu­m an und berät derzeit als Wirtschaft­sweise die Bundesregi­erung.

Die Bundesbank Deutsche Bundesbank

■ Die ist die unabhängig­e deutsche Zentralban­k. Seit der Einführung der EU-Gemeinscha­ftswährung 1999 ist sie Teil des Eurosystem­s: Zusammen mit der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) und den anderen nationalen Zentralban­ken ist sie für die Stabilität des Euro zuständig. Ein Ziel der Geldpoliti­k ist es, die Preisstabi­lität im Euro-Raum sicherzust­ellen. Die Bundesbank verwaltet Deutschlan­ds Währungsre­serven und wirkt auch bei der Bankenaufs­icht mit.

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FOTO: ARNE DEDERT / PICTURE ALLIANCE/DPA Seit zehn Jahren ist Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank. Zum Jahresende zieht er sich zurück.

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