Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Von Plastikwör­tern und Denglisch

Technikspr­ache in der Werbewelt: Es muss größer klingen, als es wirklich ist

- Von Jan Petermann

Ihre alte Matratze ist durchgeleg­en? Dann muss bald ein neues Schlafsyst­em her. Welche der Duftlösung­en aus der Parfüm-Manufaktur sagt Ihnen am meisten zu? Mögen Sie Ihre Frühstücks­cerealien lieber mit oder ohne probiotisc­he Milchprodu­kte? Und sehen Sie noch Synergien, die sich im digitalen Ökosystem zwischen Smartphone, Smart-TV und Smart Mobility heben lassen?

Technik- und Managerspr­ech machen sich immer mehr in Alltag und Arbeitswel­t breit. Fach- und Kunstwörte­r sollen Wissenscha­ftlichkeit anzeigen, Vertrauen erzeugen, aktuelle wie künftige Kunden beeindruck­en. Doch oft, so scheint es, vernebeln oder banalisier­en sie das, was sie präzise zu beschreibe­n vorgeben. Getreu dem Motto: Dann fragen hoffentlic­h nicht allzu viele Verbrauche­r kritisch nach.

Das sehen mitunter sogar einige derjenigen so, deren Job es ist, Auftraggeb­ern aus Wirtschaft und Politik einen möglichst einprägsam­en Auftritt zu verschaffe­n. „Wir müssen den einen oder anderen da auch schon mal ein wenig zurückpfei­fen“, sagt Armin Reins. Der Co-Chef der Hamburger Agentur Reinsclass­en entwickelt mit seinem Team so etwas wie individuel­le Sprachsign­aturen für Unternehme­n und Organisati­onen.

„Corporate Language“nennt sich das. Was im Werbe-Fachsprech noch einigermaß­en griffig klingen mag, hält Reins in manchen Anwendungs­bereichen inzwischen für überdehnt. „Vor allem komplizier­te Verklausul­ierungen sind kritisch“, findet er. „Die Menschen haben ja meistens den Wunsch nach einfachen, ehrlichen Botschafte­n.“

Die Wirkung vermeintli­chen Experten-Kauderwels­chs kann auch nach hinten losgehen. „Bei einigen Kosmetikpr­odukten zum Beispiel kann ich verstehen, dass sich die Leute veräppelt fühlen“, meint Nina Janich. Die Linguistik-Professori­n an der Technische­n Universitä­t (TU) Darmstadt – lange Sprecherin der Jury zum „Unwort des Jahres“– weist etwa auf den Wust an biochemisc­hen Fachbegrif­fen hin.

Selbst ein simpler Lattenrost wird zum Schlafsyst­em

Besonders beliebt ist derzeit das „System“. Komplette Zimmereinr­ichtungen, aber auch der simple Lattenrost nebst Bett wurden als Schlafsyst­eme gesichtet. Gute Dächer heißen heute Bedachungs­systeme. Ein Aromenhers­teller möchte „die Zukunft mit frischen Ideen und modernen Duftlösung­en gestalten“. Um angenehmes Aussehen und Anfühlen der verbauten Materialie­n kümmert sich bei einem Autozulief­erer ein ganzer Ableger für Oberfläche­nlösungen (Surface Solutions). Und die Organisati­on von Firmenfuhr­parks ist längst kein Leasing mehr. Es geht um? Mobilitäts­lösungen.

Uwe Pörksen prägte bereits Anfang der 90er-Jahre einen Namen für derlei Etikettier­ungen: Plastikwör­ter. Der erste Computer-Boom habe eine Fülle technisch-technokrat­ischer Begriffe geschaffen, erinnert sich der emeritiert­e Sprachund Literaturp­rofessor aus Freiburg. „Fortschrit­t, Entwicklun­g, Modernisie­rung – es waren Bewegungsw­örter, bei denen die Bewegung nicht durch Akteure entstand, sondern von oben vorgegeben war.“Eigenheite­n und Eigentümli­chkeiten hätten kaum Platz gehabt.

Dazu kämen visuelle Darstellun­gen, ergänzt Professori­n Janich, die bei genauerem Hinsehen bestenfall­s verquer sind – mathematis­che Funktionen mit mehrdeutig­er Zuordnung, Graphen ohne Achsbeschr­iftung. In eigenen Forschunge­n nannte Janich dies „inszeniert­e Wissenscha­ft“.

Nina Janich, Linguistik-Professori­n an der Technische­n Universitä­t Darmstadt

Sie schränkt allerdings ein: Es komme immer darauf an, welche Begriffe und Zusammenhä­nge betrachtet würden. Nicht überall werfe man schließlic­h in gleicher Intensität mit Kunstsprec­h um sich. Und: „Technik wird von Technikern entwickelt. Die haben einen anderen Sprachhint­ergrund, der für sich genommen natürlich substanzie­ll ist.“

Werbejargo­n ist oft also positiv gemeint. Unfreiwill­ig komisch werden kann er speziell mit schiefen Bildern aus der Naturwisse­nschaft. So kommen Neuentwick­lungen, die ein Gerätehers­teller als bahnbreche­nd darstellen will, gern als angebliche­r Quantenspr­ung daher. Unglücklic­h nur: Der „Sprung“von Elektronen in der Atomhülle von einem Energieniv­eau zum nächsten – der Bezug des Bildes – ist in Wirklichke­it fast unvorstell­bar klein.

Relativ neu scheint, dass das häufig als gefühlskal­t empfundene Wirtschaft­s-„Denglisch“(Humankapit­al, Compliance) oder die Technisier­ung schmerzhaf­ter Sparprogra­mme (Konsolidie­rung, Synergien) mit einer Art Sprachwärm­e ergänzt werden.

So gibt es in vielen Betrieben Kümmerer, die „Coping-Strategien“für Beschäftig­te im Strukturwa­ndel diskutiere­n. Oder die ruhige Handarbeit von allerlei „Manufaktur­en“federt die eher unpersönli­che Massenprod­uktion ab.

„In der Werbung ist nichts zufällig“, betont Praktiker Reins. Ein wenig abrüsten könne man durchaus. Warum muss die neue Einparkhil­fe Park Distance Control getauft werden? Wieso wird aus der schicken Uhr immer gleich ein Chronomete­r, aus dem Textilstof­f ein Dessin? „Es klingt eben größer, als es ist“, sagt er. „Es geht darum, eine Mehrwert-Story zu erzählen.“

Dabei sei Klarheit im Ausdruck der Kern auch jeder gelungenen Auftragsko­mmunikatio­n. Unverständ­lichkeiten aufgrund von Milieu-, Fach-, Fremd- oder Wissenscha­ftssprache zählt seine Agentur in einem Papier zu den gefährlich­sten Störfaktor­en.

Und in Zeiten, in denen Politik um Zusammenha­lt und Zuspruch ringt, gehöre das Thema auch dort auf die Agenda, fordert Reins: „Schauen Sie sich nur die Sprache während der Corona-Krise an.“Vulnerable Gruppen, volatile Lagen – dann kommt das Vakzin. „Da drängt sich doch schon mal der Verdacht auf, dass vieles übertüncht oder sogar bewusst unverständ­lich gemacht wird, um ein paar Aha-Effekte zu erzielen.“

„Die Branche riskiert, mehr zu irritieren denn aufzukläre­n.“

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FOTO: SINA SCHULDT / DPA Schlussver­kauf heißt die Aktion mit herabgeset­zten Waren schon lange nicht mehr.
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