Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Von Plastikwörtern und Denglisch
Techniksprache in der Werbewelt: Es muss größer klingen, als es wirklich ist
Ihre alte Matratze ist durchgelegen? Dann muss bald ein neues Schlafsystem her. Welche der Duftlösungen aus der Parfüm-Manufaktur sagt Ihnen am meisten zu? Mögen Sie Ihre Frühstückscerealien lieber mit oder ohne probiotische Milchprodukte? Und sehen Sie noch Synergien, die sich im digitalen Ökosystem zwischen Smartphone, Smart-TV und Smart Mobility heben lassen?
Technik- und Managersprech machen sich immer mehr in Alltag und Arbeitswelt breit. Fach- und Kunstwörter sollen Wissenschaftlichkeit anzeigen, Vertrauen erzeugen, aktuelle wie künftige Kunden beeindrucken. Doch oft, so scheint es, vernebeln oder banalisieren sie das, was sie präzise zu beschreiben vorgeben. Getreu dem Motto: Dann fragen hoffentlich nicht allzu viele Verbraucher kritisch nach.
Das sehen mitunter sogar einige derjenigen so, deren Job es ist, Auftraggebern aus Wirtschaft und Politik einen möglichst einprägsamen Auftritt zu verschaffen. „Wir müssen den einen oder anderen da auch schon mal ein wenig zurückpfeifen“, sagt Armin Reins. Der Co-Chef der Hamburger Agentur Reinsclassen entwickelt mit seinem Team so etwas wie individuelle Sprachsignaturen für Unternehmen und Organisationen.
„Corporate Language“nennt sich das. Was im Werbe-Fachsprech noch einigermaßen griffig klingen mag, hält Reins in manchen Anwendungsbereichen inzwischen für überdehnt. „Vor allem komplizierte Verklausulierungen sind kritisch“, findet er. „Die Menschen haben ja meistens den Wunsch nach einfachen, ehrlichen Botschaften.“
Die Wirkung vermeintlichen Experten-Kauderwelschs kann auch nach hinten losgehen. „Bei einigen Kosmetikprodukten zum Beispiel kann ich verstehen, dass sich die Leute veräppelt fühlen“, meint Nina Janich. Die Linguistik-Professorin an der Technischen Universität (TU) Darmstadt – lange Sprecherin der Jury zum „Unwort des Jahres“– weist etwa auf den Wust an biochemischen Fachbegriffen hin.
Selbst ein simpler Lattenrost wird zum Schlafsystem
Besonders beliebt ist derzeit das „System“. Komplette Zimmereinrichtungen, aber auch der simple Lattenrost nebst Bett wurden als Schlafsysteme gesichtet. Gute Dächer heißen heute Bedachungssysteme. Ein Aromenhersteller möchte „die Zukunft mit frischen Ideen und modernen Duftlösungen gestalten“. Um angenehmes Aussehen und Anfühlen der verbauten Materialien kümmert sich bei einem Autozulieferer ein ganzer Ableger für Oberflächenlösungen (Surface Solutions). Und die Organisation von Firmenfuhrparks ist längst kein Leasing mehr. Es geht um? Mobilitätslösungen.
Uwe Pörksen prägte bereits Anfang der 90er-Jahre einen Namen für derlei Etikettierungen: Plastikwörter. Der erste Computer-Boom habe eine Fülle technisch-technokratischer Begriffe geschaffen, erinnert sich der emeritierte Sprachund Literaturprofessor aus Freiburg. „Fortschritt, Entwicklung, Modernisierung – es waren Bewegungswörter, bei denen die Bewegung nicht durch Akteure entstand, sondern von oben vorgegeben war.“Eigenheiten und Eigentümlichkeiten hätten kaum Platz gehabt.
Dazu kämen visuelle Darstellungen, ergänzt Professorin Janich, die bei genauerem Hinsehen bestenfalls verquer sind – mathematische Funktionen mit mehrdeutiger Zuordnung, Graphen ohne Achsbeschriftung. In eigenen Forschungen nannte Janich dies „inszenierte Wissenschaft“.
Nina Janich, Linguistik-Professorin an der Technischen Universität Darmstadt
Sie schränkt allerdings ein: Es komme immer darauf an, welche Begriffe und Zusammenhänge betrachtet würden. Nicht überall werfe man schließlich in gleicher Intensität mit Kunstsprech um sich. Und: „Technik wird von Technikern entwickelt. Die haben einen anderen Sprachhintergrund, der für sich genommen natürlich substanziell ist.“
Werbejargon ist oft also positiv gemeint. Unfreiwillig komisch werden kann er speziell mit schiefen Bildern aus der Naturwissenschaft. So kommen Neuentwicklungen, die ein Gerätehersteller als bahnbrechend darstellen will, gern als angeblicher Quantensprung daher. Unglücklich nur: Der „Sprung“von Elektronen in der Atomhülle von einem Energieniveau zum nächsten – der Bezug des Bildes – ist in Wirklichkeit fast unvorstellbar klein.
Relativ neu scheint, dass das häufig als gefühlskalt empfundene Wirtschafts-„Denglisch“(Humankapital, Compliance) oder die Technisierung schmerzhafter Sparprogramme (Konsolidierung, Synergien) mit einer Art Sprachwärme ergänzt werden.
So gibt es in vielen Betrieben Kümmerer, die „Coping-Strategien“für Beschäftigte im Strukturwandel diskutieren. Oder die ruhige Handarbeit von allerlei „Manufakturen“federt die eher unpersönliche Massenproduktion ab.
„In der Werbung ist nichts zufällig“, betont Praktiker Reins. Ein wenig abrüsten könne man durchaus. Warum muss die neue Einparkhilfe Park Distance Control getauft werden? Wieso wird aus der schicken Uhr immer gleich ein Chronometer, aus dem Textilstoff ein Dessin? „Es klingt eben größer, als es ist“, sagt er. „Es geht darum, eine Mehrwert-Story zu erzählen.“
Dabei sei Klarheit im Ausdruck der Kern auch jeder gelungenen Auftragskommunikation. Unverständlichkeiten aufgrund von Milieu-, Fach-, Fremd- oder Wissenschaftssprache zählt seine Agentur in einem Papier zu den gefährlichsten Störfaktoren.
Und in Zeiten, in denen Politik um Zusammenhalt und Zuspruch ringt, gehöre das Thema auch dort auf die Agenda, fordert Reins: „Schauen Sie sich nur die Sprache während der Corona-Krise an.“Vulnerable Gruppen, volatile Lagen – dann kommt das Vakzin. „Da drängt sich doch schon mal der Verdacht auf, dass vieles übertüncht oder sogar bewusst unverständlich gemacht wird, um ein paar Aha-Effekte zu erzielen.“
„Die Branche riskiert, mehr zu irritieren denn aufzuklären.“