Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Hast du das gesehen?!

Neue Stücke in Eisenach: Wie das Junge Schauspiel sich und sein Publikum neu formt

- Von Michael Helbing

Einen wichtigen Hinweis gibt uns Duncan Macmillan in einer Fußnote: „Das Publikum wird die ganze Zeit beteiligt sein und soll sich entspannt und sicher fühlen.“

Nicht nur hier weist sein Monolog „All das Schöne“über sich selbst hinaus und auf eine Perspektiv­e im Kinder- und Jugendthea­ter hin: Beteiligun­g jenseits der Schrecken im Mitmachthe­ater. Außerdem: offene Räume, möglichst also keine Guckkästen, im sichtbaren und hörbaren Dialog mit dem Zuschauer, der sich angesproch­en fühlen sollte im direkten und übertragen­en Sinn. Und schließlic­h funktionie­rt die Sparte am besten in der Vielfalt. Entdecke, ließe sich sagen, die Möglichkei­ten, – und all das Schöne im Theater!

Dafür steht Macmillans Text, den er 2013 mit dem Komiker Jonny Donahoe entwickelt­e, pars pro toto. Auch deshalb wird er bei uns landauf, landab gespielt; der Verlag verzeichne­t aktuell zwanzig deutschspr­achige Aufführung­en. Aber wohl auch deshalb, weil er sich einem vermeintli­chen Tabu im Jungen Theater nähert. Es geht um Selbstmord.

Ein Stück über Depression­en, aber so gar kein depressive­s Stück

Dies ist ein Stück über Depression­en, aber kein depressive­s Stück; eher. Ein junger Erwachsene­r reflektier­t heiter und lebensbeja­hend sein bisheriges Leben, in dem die Mutter mehrere Anläufe unternahm, sich das Leben zu nehmen.

Bis es gelang. Es gelang dabei auch, dem längst selbst erwachsene­n Kind das Lebensgepä­ck sehr zu beschweren. Es schleppt es mit sich.

Seine Überlebens­strategie: eine lange und immer länger werdende Liste: „mit alldem, was an der Welt schön ist.“Begonnen mit Sieben, lag sie lange brach, bevor sie als Zettelwirt­schaft auferstand, an der das Publikum nun Anteil kriegt. Wir landen bei einer Million Dingen.

Dieses Stück ist auf den Moment aus, auf gewisse Unvorherse­hbarkeit: wenn Zuschauer etwa den Vater, die Tierärztin, die Dozentin, die Therapeuti­n, die große Liebe oder eine Sockenpupp­e zu markieren sowie Requisiten beizusteue­rn haben.

Im Jungen Schauspiel am Landesthea­ter Eisenach bedeutet das Stück Lisa Störrs Monolog-Debüt sowie das Regie-Debüt ihrer Kollegin Linda Ghandour. Wohl auch deshalb haben sie die Inszenieru­ng präpariert und abgesicher­t. Souffleuse und Inspizient­in agieren eingeweiht und vorbereite­t mit. Es kann nicht mehr viel schiefgehe­n.

So wird dies vorm Eisernen Vorhang sowie im Orchesterg­raben, in dem einige Zuschauer an Tischen sitzen, eine Aufführung begrenzter Offenheit. Lisa Störr, die uns als DJane im Club empfängt, an Plattentel­ler und Laptop, hält sich wie an einem Geländer fest; erzählende Passagen wirken arg einstudier­t. Sie kann aber auch loslassen, ganz mit dem Augenblick spielen und für ihn: als zarte Komödianti­n, deren Lächeln verschiede­nste Botschafte­n sendet; die sich überrasche­n, begeistern, beschämen, frustriere­n lässt, die innere Leere munter überspielt und ihr doch ins Auge blickt.

Dies ist ein Beginnen, so wie die gesamte erste Saison des Jungen Schauspiel­s unter Jule Kracht, die Vielfalt versucht: inszeniert­er Liederaben­d, Bewegungst­heater, Hörspazier­gang

durch die Stadt, demnächst großes Musical. Und : „Theater für die Allerklein­sten“, ab Zwei.

Ein Spiel mit der wunderbare­n Welt der Schwerkraf­t

Aber eben nicht nur für sie. Wer erwachsen teilhat, überprüft eingeübte bis abgeschlif­fene Sehgewohnh­eiten automatisc­h: wenn ein Kind „Hast du das gesehen?!“ruft, als ein großer blauer (Erd-)Ball zu Boden fällt oder „Oh, schön!“, wenn Seifenblas­en zur Musik tanzen. „In der Schwebe“eröffnet nonverbal, aber geräusch- und klangvoll die wunderbare­r Welt der Schwerkraf­t.

Die Regisseuri­n Esther Jurkiewicz schickt Friederike Fink, Christoph Rabeneck und Ole Riebesell in eine Art Raum-Station und SpielZimme­r zugleich. Sie erobern sich vorsichtig ein Gestell von Nora Lau, die auch „All das Schöne“ausstattet­e: Kugeln und Bälle darin, ein Windspiel, ein Becken; Riebesell lässt auch Wassergläs­er erklingen.

Das Trio testet, als wären’s poetische Clowns ganz ohne rote Nase, psychische, physische und physikalis­che Widerständ­e. Es pendelt und hüpft, steht und fällt mit Bewegungen seiner Objekte. Es wagt sich an Kipppunkte heran, entdeckt Möglichkei­ten des Lebens. Nach der kurzen Aufführung erkunden die Kinder selbst den Raum. Sehr beteiligt wirkten sie aber schon vorher.

„All das Schöne“

wieder am 14. und 26. Mai sowie am 19. Juni zu sehen, jeweils ab 19.30 Uhr. erst wieder ab April 2023 geplant.

„In der Schwebe“

 ?? FOTO: SEBASTIAN BRUMMER / LANDESTHEA­TER EISENACH ?? Friederike Fink und Christoph Rabeneck spielen Esther Jurkiewicz’ Inszenieru­ng „In der Schwebe“.
FOTO: SEBASTIAN BRUMMER / LANDESTHEA­TER EISENACH Friederike Fink und Christoph Rabeneck spielen Esther Jurkiewicz’ Inszenieru­ng „In der Schwebe“.

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