Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Hast du das gesehen?!
Neue Stücke in Eisenach: Wie das Junge Schauspiel sich und sein Publikum neu formt
Einen wichtigen Hinweis gibt uns Duncan Macmillan in einer Fußnote: „Das Publikum wird die ganze Zeit beteiligt sein und soll sich entspannt und sicher fühlen.“
Nicht nur hier weist sein Monolog „All das Schöne“über sich selbst hinaus und auf eine Perspektive im Kinder- und Jugendtheater hin: Beteiligung jenseits der Schrecken im Mitmachtheater. Außerdem: offene Räume, möglichst also keine Guckkästen, im sichtbaren und hörbaren Dialog mit dem Zuschauer, der sich angesprochen fühlen sollte im direkten und übertragenen Sinn. Und schließlich funktioniert die Sparte am besten in der Vielfalt. Entdecke, ließe sich sagen, die Möglichkeiten, – und all das Schöne im Theater!
Dafür steht Macmillans Text, den er 2013 mit dem Komiker Jonny Donahoe entwickelte, pars pro toto. Auch deshalb wird er bei uns landauf, landab gespielt; der Verlag verzeichnet aktuell zwanzig deutschsprachige Aufführungen. Aber wohl auch deshalb, weil er sich einem vermeintlichen Tabu im Jungen Theater nähert. Es geht um Selbstmord.
Ein Stück über Depressionen, aber so gar kein depressives Stück
Dies ist ein Stück über Depressionen, aber kein depressives Stück; eher. Ein junger Erwachsener reflektiert heiter und lebensbejahend sein bisheriges Leben, in dem die Mutter mehrere Anläufe unternahm, sich das Leben zu nehmen.
Bis es gelang. Es gelang dabei auch, dem längst selbst erwachsenen Kind das Lebensgepäck sehr zu beschweren. Es schleppt es mit sich.
Seine Überlebensstrategie: eine lange und immer länger werdende Liste: „mit alldem, was an der Welt schön ist.“Begonnen mit Sieben, lag sie lange brach, bevor sie als Zettelwirtschaft auferstand, an der das Publikum nun Anteil kriegt. Wir landen bei einer Million Dingen.
Dieses Stück ist auf den Moment aus, auf gewisse Unvorhersehbarkeit: wenn Zuschauer etwa den Vater, die Tierärztin, die Dozentin, die Therapeutin, die große Liebe oder eine Sockenpuppe zu markieren sowie Requisiten beizusteuern haben.
Im Jungen Schauspiel am Landestheater Eisenach bedeutet das Stück Lisa Störrs Monolog-Debüt sowie das Regie-Debüt ihrer Kollegin Linda Ghandour. Wohl auch deshalb haben sie die Inszenierung präpariert und abgesichert. Souffleuse und Inspizientin agieren eingeweiht und vorbereitet mit. Es kann nicht mehr viel schiefgehen.
So wird dies vorm Eisernen Vorhang sowie im Orchestergraben, in dem einige Zuschauer an Tischen sitzen, eine Aufführung begrenzter Offenheit. Lisa Störr, die uns als DJane im Club empfängt, an Plattenteller und Laptop, hält sich wie an einem Geländer fest; erzählende Passagen wirken arg einstudiert. Sie kann aber auch loslassen, ganz mit dem Augenblick spielen und für ihn: als zarte Komödiantin, deren Lächeln verschiedenste Botschaften sendet; die sich überraschen, begeistern, beschämen, frustrieren lässt, die innere Leere munter überspielt und ihr doch ins Auge blickt.
Dies ist ein Beginnen, so wie die gesamte erste Saison des Jungen Schauspiels unter Jule Kracht, die Vielfalt versucht: inszenierter Liederabend, Bewegungstheater, Hörspaziergang
durch die Stadt, demnächst großes Musical. Und : „Theater für die Allerkleinsten“, ab Zwei.
Ein Spiel mit der wunderbaren Welt der Schwerkraft
Aber eben nicht nur für sie. Wer erwachsen teilhat, überprüft eingeübte bis abgeschliffene Sehgewohnheiten automatisch: wenn ein Kind „Hast du das gesehen?!“ruft, als ein großer blauer (Erd-)Ball zu Boden fällt oder „Oh, schön!“, wenn Seifenblasen zur Musik tanzen. „In der Schwebe“eröffnet nonverbal, aber geräusch- und klangvoll die wunderbarer Welt der Schwerkraft.
Die Regisseurin Esther Jurkiewicz schickt Friederike Fink, Christoph Rabeneck und Ole Riebesell in eine Art Raum-Station und SpielZimmer zugleich. Sie erobern sich vorsichtig ein Gestell von Nora Lau, die auch „All das Schöne“ausstattete: Kugeln und Bälle darin, ein Windspiel, ein Becken; Riebesell lässt auch Wassergläser erklingen.
Das Trio testet, als wären’s poetische Clowns ganz ohne rote Nase, psychische, physische und physikalische Widerstände. Es pendelt und hüpft, steht und fällt mit Bewegungen seiner Objekte. Es wagt sich an Kipppunkte heran, entdeckt Möglichkeiten des Lebens. Nach der kurzen Aufführung erkunden die Kinder selbst den Raum. Sehr beteiligt wirkten sie aber schon vorher.
„All das Schöne“
wieder am 14. und 26. Mai sowie am 19. Juni zu sehen, jeweils ab 19.30 Uhr. erst wieder ab April 2023 geplant.
„In der Schwebe“