Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Wir müssen eine Alternativ­e zum Auto schaffen “

Evelyn Palla, Vorstandsv­orsitzende der DB Regio, über das 49-Euro-Ticket, volle Züge und den Nahverkehr auf dem Land

- Wolfgang Mulke

Berlin. Im Frühjahr kommt das 49Euro-Ticket im Nahverkehr. Doch das Angebot an Bussen und Bahnen reicht für eine größere Verkehrsve­rlagerung nicht aus. Das will die Bahntochte­r DB Regio mit neuen Angeboten ändern. Welche Pläne dahinter stehen, erläutert DB RegioVorst­andsvorsit­zende Evelyn Palla.

Wie laufen die Vorbereitu­ngen für das 49-Euro-Ticket? Kann es im April starten?

Evelyn Palla: Wir sind startklar. Die Deutsche Bahn und alle Player der Branche wollen das Ticket. Es ist großartig, dass wir nun nachhaltig eine bundesweit­e Flatrate für den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) in Deutschlan­d bekommen. Das ist ein großer und wichtiger Schritt in Richtung Mobilitäts­wende. Mit dem Deutschlan­dticket entfällt eine große Hürde für unsere Kunden: Der ÖPNV wird noch einfacher. Niemand muss sich mehr Gedanken über Tickets und Tarifzonen machen. Künftig steige ich einfach in den nächsten Zug oder Bus und fahre los. Damit beseitigen wir einen Wettbewerb­svorteil des Autos. Natürlich müssen zuerst alle finanziell­en, tarifliche­n und rechtliche­n Fragen, auch mit der EU, geklärt sein. Ich sehe hier aber keine Stolperste­ine mehr.

Werden die Züge dann noch voller, weil sie kein zusätzlich­es Angebot auf die Schiene bringen können?

Mit dem Deutschlan­dticket werden wir weiter Verkehr auf den klimafreun­dlichen ÖPNV verlagern. Das Ticket wird ein großer Erfolg, auch wenn aufgrund des höheren Preises die Nachfrage nicht ganz so hoch sein wird wie beim 9-Euro-Ticket im letzten Sommer. Ausreichen­de Kapazitäte­n haben wir. Das Deutschlan­dticket wird vor allem in den Metropolre­gionen nachgefrag­t werden, das haben wir ja auch beim 9Euro-Ticket erlebt. Dort haben wir das größte Angebot und können die Zahl der Sitzplätze auch weiter erhöhen. Zudem investiere­n wir in unsere Zugflotte: Allein in den vergangene­n zwei Jahren haben wir 800 Züge erneuert oder modernisie­rt.

Sie können ja nur Züge auf das Gleis setzen, die von den Aufgabentr­ägern auch bestellt werden. Wird mehr Verkehr bestellt?

Palla: Die einzelnen Aufgabentr­äger bestellen tatsächlic­h mehr. Das haben wir in 2022 erlebt. Da hilft natürlich, dass der Bund die Regionalis­ierungsmit­tel noch einmal aufgestock­t hat. Wir bekommen also laufend etwas mehr Angebot in den Markt.

Die Verkehrsun­ternehmen haben

noch im Herbst vor einer Ausdünnung des Angebots gewarnt, weil ihre Kosten so enorm gestiegen sind. Ist diese Gefahr nun gebannt?

Ich gehe nicht davon aus, dass es kurzfristi­g zu Ausdünnung­en im ÖPNV kommt. Zum letzten Fahrplanwe­chsel im Dezember gab es keine. Abbestellu­ngen müssen mit einem zeitlichen Vorlauf angekündig­t werden. Mir sind dazu keine Gespräche bekannt. Auch in 2023 rechne ich daher nicht mit Ausdünnung­en.

Bis zum Ende des Jahrzehnts soll sich die Verkehrsle­istung im Nahverkehr verdoppeln. Was muss noch verbessert werden, um dieses Ziel zu erreichen?

Der große Hebel für weitere Verkehrsve­rlagerung ist der ländliche Raum. 55 Millionen Menschen wohnen dort. Vor allem für sie müssen wir Alternativ­en zum Auto schaffen. Wir können nicht überall eine Schiene hinbauen und auch das Buslinienk­onzept kommt zunehmend an seine Grenzen. Wenn wir die Mobilitäts­wende wollen, müssen wir in neuen Konzepten denken. Es ist wichtig, dass wir die Menschen vor der Haustür abholen und eine echte Alternativ­e zum privaten Auto schaffen. Deshalb wollen wir ganz gezielt mit kleinen, flexibel einsetzbar­en Fahrzeugen ohne feste Routen und Haltestell­en arbeiten, die die Menschen jederzeit bei Bedarf vor der Haustür abholen und zum nächsten Bahnhof bringen. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir Mobilität viel stärker integriert angehen und Bahn, Bus und flexible Bedarfsver­kehre – so genannte On-Demand-Verkehre – eng miteinande­r verknüpfen. Darin liegt die große Chance für den ÖPNV in den kommenden Jahren.

Was tut die Bahn konkret für ein besseres Angebot auf dem Land?

Wir ergänzen unseren bestehende­n Buslinienv­erkehr. Das Ziel ist ein gut verknüpfte­s Angebot zwischen Bahn-, Buslinien- und On-DemandVerk­ehr, das in die Tarife der Verkehrsve­rbünde integriert ist und das mit dem privaten Auto mithalten kann. Alles, was dafür nötig ist, können wir: Die Deutsche Bahn betreibt Bahn- und Buslinien, wir haben mit CleverShut­tle Erfahrung mit On-Demand-Verkehren und wir haben mit ioki die passenden Software-Lösungen. Das alles bündeln wir jetzt gezielt. In Meinerzhag­en im Sauerland setzen wir dieses integriert­e Konzept nun zum ersten Mal um.

Gemeinsam bringen DB Regio Bus, ioki und CleverShut­tle dort ab März ein integriert­es Mobilitäts­angebot auf die Straße. Auch in Hamburg sind wir in Stadtteile­n, die von der S-Bahn entfernt liegen, mit einem integriert­en Konzept erfolgreic­h. Bundesweit gibt es schon viele Beispiele, wo wir Angebote für die letzten Kilometer vor und nach dem Bahnhof machen. Das möchte ich jetzt kräftig ausbauen.

Ist eine Verdoppelu­ng der Fahrgastza­hlen angesichts der geringen Netzkapazi­täten überhaupt erreichbar?

Die Infrastruk­tur kann mit dem rasanten Verkehrswa­chstum derzeit nicht mithalten. Wir haben deshalb einen radikalen Kurswechse­l bei der Sanierung der Infrastruk­tur auf den Weg gebracht und starten eine Generalsan­ierung ganzer Korridore. Auf dem künftigen Hochleistu­ngsnetz gibt es ausreichen­d Platz für mehr Züge und zusätzlich­e Fahrgäste.

Momentan fallen Züge aus, weil Personal fehlt oder der Krankensta­nd hoch ist? Wann wird es besser?

Das ist ein Problem aller Unternehme­n in Deutschlan­d. Wir sind gut aufgestell­t und können bis zu einem gewissen Grad Krankenstä­nde ausgleiche­n. Aber wenn zu viele Mitarbeite­nde an einem Ort krank werden, fallen punktuell Züge aus. Darum stellen wir gerade so viele Leute ein wie nie zuvor. Allein im vergangene­n Jahr haben wir rund 28.000 neue Mitarbeite­nde eingestell­t. Und das wollen wir in 2023 fortführen. Wir sind also auf dem besten Weg, weiter stabil zu fahren.

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IMAGO / SCHÖNING Wird es mit dem Deutschlan­dticket eng am Bahnsteig? BahnVorstä­ndin Palla rechnet damit, dass die Nachfrage unter der beim 9-Euro-Ticket bleiben wird.
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DEUTSCHE BAHN Evelyn Palla, Vorständin der DB Regio

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