Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Nur Normalität
Menschen, die trans sind, haben immer noch mit Vorbehalten zu kämpfen. Ein junger Mann aus Gera erzählt
„Man sieht mir meine Transgeschlechtlichkeit nicht an. Ich entspreche dem gesellschaftlichen Bild eines Mannes. Nur wenn ich meinen Personalausweis vorzeigen muss, fällt auf, dass etwas anders ist“, erzählt Luis Schäfer. Wenn man ihm ansehen würde, dass ihm von Geburt an ein anderes Geschlecht zugewiesen wurde, dann, sagt er, „hätte ich in Gera manchmal schon ein mulmiges Gefühl“.
Trotzdem geht er, seitdem er sich vor fünf Jahren geoutet hat, relativ offen damit um. Von seinen Kollegen wissen es nur wenige, aber die, die es wissen, haben es gut aufgenommen. Natürlich war es anfangs ein Schock für die Familie, vor allem für seine Mutter, als er zu seinem Anderssein stand und begann, diverse Ärzte für eine Behandlung aufzusuchen.
Ein langer Prozess
Mit 14 Jahren hatte er bereits gemerkt, dass etwas nicht stimmt, hatte sich belesen und erkannt, dass er transgeschlechtlich ist, dass ihm also anhand der äußeren Geschlechtsteile ein Geschlecht zugewiesen wurde, das aber nicht seinem tatsächlichen Geschlecht entsprach. Trotzdem wartete er noch einige Jahre ab, um sich absolut sicher zu sein.
„Sich dazu zu bekennen, dass man trans ist und eine Geschlechtsneben
angleichung anstrebt, ist durch institutionelle und gesellschaftliche Hürden ein langer Prozess, der mit viel Leid verbunden ist und eine Herausforderung für die mentale Gesundheit “, weiß Luis Schäfer heute. Er suchte damals Rat bei einem
Kumpel, mit dem er offen über seine Probleme reden konnte. Heute gibt es Organisationen, die Betroffenen helfen und beraten – allein schon zu so grundlegenden Themen wie: „Wie sage ich es meiner Familie?“. „Das nimmt sehr viele Unsicherheiten.
Aber Beratungsangebote gab es in Thüringen damals noch keine“, bedauert Luis Schäfer. Erst mit der Eröffnung der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle im Jahr 2018 änderte sich das. Theresa Ertel arbeitet in dieser Koordinierungsstelle, welche
dem Queeren Zentrum Erfurt und dem Jugendzentrum QuWeer in Weimar ein Projekt des Vereins QueerWeg Verein für Thüringen, ist – einem Verein, der sich für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und andere queere Menschen einsetzt. Der Verein betreibt Beratungsstellen, informiert aber auch Schulen, Institutionen und Betriebe und bietet Fortbildungen für Fachpersonal an.
„Es gibt Schätzungen, dass bundesweit etwa 10 bis 15 Prozent aller Menschen zu einer der genannten betroffenen Gruppen gehören. Das sind richtig viele“, stellt sie schlicht fest. „Und obwohl es eine so große Gruppe ist, gibt es in ganz Thüringen nur ein Beratungsangebot vor Ort – in Erfurt. Für Gera und erst Recht für ländliche Gebiete gibt es nur telefonische Beratungsangebote.“
Um so wichtiger sei es, dass das Bewusstsein für dieses Thema wächst und dass sich Schulen, Institutionen und Betriebe aktiv darum bemühen, aufzuklären oder wenigstens entsprechende Angebote bereithalten. „Es geht um Akzeptanz, um die Akzeptanz von Normalität. Es mag sein, dass diese Normalität für viele anders ist, aber es ist eine Normalität“, gibt Theresa Ertel zu bedenken.
Wie weit Betroffene von dieser Normalität noch weg sind, wird deutlich, wenn Luis Schäfer von seinem Versuch erzählt, in Gera Blut spenden zu gehen. „Bis vor drei Jahren durften Personen, die trans sind, gar kein Blut spenden gehen. Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert“, holt Luis Schäfer aus. „Aber die Mitarbeiter des Blutspendedienstes waren mit mir komplett überfordert. Ich musste denen alles erklären über die Auswirkungen meiner Hormontherapie. Letztlich haben sie sogar ihre Chefin angerufen. Sie waren wirklich bemüht, aber dass sie so gar nicht wussten, wer oder was ich bin und wie man in so einem Fall richtig reagiert – das ist schade und zeigt, was das Problem ist: mangelnde Aufklärung bei Fachpersonal, aber auch in unserer Gesellschaft.“
Größter Wunsch: Normalität
Nach seinen Wünschen für die Zukunft gefragt, muss Luis Schäfer nicht lange nachdenken. „Ich möchte eines Tages wach werden und an irgendeiner Schule outet sich ein junger Mensch als trans – und es passiert gar nichts, weil es als normal angesehen wird. Ich möchte in jedes Land dieser Welt reisen können, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Und ich möchte nicht mehr so viel über dieses Thema reden müssen, weil akzeptiert wird, dass es eine Normalität ist.“