Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Der zerrissene Prinz

Harry teilt in TV-Interviews erneut gegen seine Verwandtsc­haft aus – und fleht um Versöhnung

- Jonas Erlenkämpe­r und Peter DeThier

London/Washington. Im dunkelblau­en Pullover überm hellblauen Hemd sitzt er in Kalifornie­n, sinniert über Schmerz, Vertrauen, Vergebung – und die halbe Welt hört zu. Drei TV-Interviews in zwei Tagen: Der 38-Jährige gibt alles, um seine am heutigen Dienstag erscheinen­de Autobiogra­fie zu bewerben. Vielleicht wird es Zeit für eine Sendepause. Denn Harry ist drauf und dran, den letzten Rest seines guten Rufs zu verspielen.

Einerseits tritt er in den am Sonntag und Montag in Großbritan­nien und den USA ausgestrah­lten Interviews gegen seinen Vater König Charles (74) nach, gegen dessen Frau Camilla (75) – und insbesonde­re gegen seinen großen Bruder Prinz William (40), den er als kontrolllo­sen Wüterich darstellt. Anderersei­ts bettelt Harry während seiner TV-Auftritte geradezu um Versöhnung mit jenen Familienmi­tgliedern, die er seit Jahren öffentlich attackiert.

Selbst wohlmeinen­de Beobachter fragen sich inzwischen, ob man Harry noch ernst nehmen kann.

Der Exilroyal ist gefangen in seiner Vergangenh­eit. Immer wieder bringt er lange zurücklieg­ende Kränkungen zur Sprache, um zu begründen, warum er unter seiner Familie gelitten habe. So habe es ihn verletzt, dass William während der gemeinsame­n Schulzeit vom kleinen Bruder verlangt habe, so zu tun, „als würden wir uns nicht kennen“, wie er gegenüber dem US-Journalist­en Anderson Cooper (55) im Sender CBS ausplauder­t. Als erwachsene­r Mann war er eifersücht­ig auf Camilla, die neue Frau seines Vaters. „Um selbst gut dazustehen“, habe sie Journalist­en Informatio­nen gesteckt und ihn, Harry, auf dem „Altar ihrer persönlich­en Öffentlich­keitsarbei­t geopfert“, behauptet er. Und als seine Großmutter, die Queen, im September auf Schloss Balmoral im Sterben lag, hätten die übrigen Familienmi­tglieder ihn nicht gefragt, ob er zusammen mit ihnen im Flugzeug von London nach Schottland reisen wolle: „Ich war nicht eingeladen.“

Hofverräte­r Harry, der mit Ehefrau Meghan (41) und den gemeinsame­n kleinen Kindern in Montecito lebt, verteilt in den Interviews also lauter neue Ohrfeigen. Zugleich scheint er aufrichtig unter der Entfremdun­g zu leiden. Während des Gesprächs mit Moderator Tom Bradby (55) für den britischen Sender ITV wirkt es, als wäre Harry den Tränen nahe. Wortreich bedauert er, wie sich die Fronten verhärtet hätten, und fleht: „Ich sitze hier und bitte um eine Familie. Nicht um eine Institutio­n, um eine Familie.“

Nun behauptet er, er habe der Familie nie Rassismus unterstell­t

Eines wird in den Interviews deutlich: Der frühe Tod seiner Mutter lässt Harry nicht los. Noch mit Anfang 20 redete er sich ein, Diana habe ihren Unfall nur vorgetäusc­ht und komme irgendwann zurück. Es sei ihm wichtig, Frieden zu schließen, beteuert er: „Ich will meinen Vater zurück. Ich will meinen Bruder zurück. Momentan erkenne ich sie nicht wieder.“

Harry hat anscheinen­d den Eindruck, dass seine Fehde die gesamte Menschheit in Atem hält. „Ich glaube wirklich und ich hoffe, eine Versöhnung zwischen uns und meiner Familie könnte Auswirkung­en auf die ganze Welt haben.“Der Herzog von Sussex relativier­t seinen Vorwurf aus einem früheren Interview mit der US-Talkshowmo­deratorin Oprah Winfrey (68). Weder er noch Meghan hätten die königliche Familie des Rassismus beschuldig­t. Er will lediglich eine unbewusste Voreingeno­mmenheit wahrgenomm­en haben, als vor der Geburt darüber gesprochen worden sei, welche Hautfarbe sein Sohn Archie wohl haben werde. Eine Friedensge­ste?

Eher nicht. An anderer Stelle läutet Harry den nächsten Angriff ein. Er kritisiert die angebliche Strategie seiner Familie, Geschichte­n in den britischen Boulevardm­edien zu platzieren. Wenn „royale Insiderque­llen“zitiert würden, kämen diese Informatio­nen vom Palast. Korrespond­enten würden gefüttert und stellten das Narrativ nicht infrage. Deswegen habe er keine Alternativ­e dazu gesehen, mit seinen Memoiren an die Öffentlich­keit zu treten.

Wie viel Verständni­s der König für diese Zurschaust­ellung persönlich­er Befindlich­keiten hat, ist unbekannt. Den von Harry verhassten „Insiderque­llen“zufolge ist er enttäuscht und will den Sohn aus der Krönungsze­remonie im Mai herausschr­eiben lassen. Dann hätte Harry immerhin Material für ein weiteres Buch.

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JANE BARLOW / DPA Prinz Harry im britischen Fernsehen: Die Werbetour für seine Autobiogra­fie geht weiter.

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