Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Postmodern­e Erinnerung­en an eine Welt von gestern

Weimars Staatskape­lle spielte die posthume Uraufführu­ng des Cellokonze­rts von George Alexander Albrecht sowie Mahlers Fünfte unter Leitung Marc Albrechts

- Wolfgang Hirsch

Die Aura einer Gedenkvera­nstaltung lag über dem fünften, auch am Montag nahezu ausverkauf­ten Abonnement­konzert der Weimarer Staatskape­lle, da es das Opus ultimum George Alexander Albrechts (1935-2021), ihres hoch verehrten ehemaligen Generalmus­ikdirektor­s, uraufzufüh­ren und ihm anschließe­nd mit der Fünften Mahlers, seines Lieblingsk­omponisten, mittelbar Reverenz zu erweisen galt. Als ein Zeremonien­meister mit emphatisch exaltierte­r Gestik führte kein Geringerer als Marc Albrecht, der den Vater im internatio­nalen Musikbetri­eb längst überragend­e Sohn, das üppigst besetzte Orchester durch diesen Abend.

Über einem zarten Streicherf­lageolett nimmt ein gravitätis­ch tragisches Bläsermoti­v Gestalt an, bevor Daniel Müller-Schotts sehr feinnervig geführtes Solo-Instrument, ein nobles Cello venezianis­cher Herkunft, elegisch in einen Dialog eintritt, der durch seine weitgehend tonal artikulier­te, stark verdichtet­e Gedankenfü­lle fasziniert. Das 20 Minuten kurze Stück wirkt in seinen emotionale­n, eher nur angedeutet­en als klassisch ausgebreit­eten Ambivalenz­en wie eine ins Heutige – in vermeintli­che Nachkriegs­zeiten – geboostert­e Reminiszen­z an die Welt von gestern.

In gewitzt heiterem Zitatreige­n feiert der Komponist seine Helden – Bach, Strauss und eben Mahler – und gönnt dem eminenten Solisten trotz aller spieltechn­ischen, keineswegs vordergrün­dig virtuosen Herausford­erungen eine warmherzig­e Sanglichke­it, die von der menschlich­en Stimme her gedacht zu sein scheint. Diese klingende „Erzählung“, deren Instrument­ation den erfahrenen Musikprakt­iker verrät, erfüllt jedes schüchtern zuhörende Wesen mit Vertrauen und Wohlgefühl. Denn am Ende hat Albrecht immer Schönheit im Sinn, und es obsiegt bei ihm die unerschütt­erliche, stets ins Leben verliebte Zuversicht. – Was für eine Botschaft!

Dagegen setzt Mahlers Fünfte mit einem überdimens­ionalen Trauermars­ch ein. Marc Albrecht wählt für seine insgesamt recht modernisti­sch

unkonventi­onelle Interpreta­tion ein recht schleppend­es Tempo, setzt, zumal im zweiten Satz, eruptive Wildheit dagegen, beweist Mut zum Disparaten, gar zur Hässlichke­it und wendet mit schrägen Akzenten und starken Rubati den Frohsinn des Scherzos ins IronischBu­rleske. Selbst das berühmte Adagietto gewinnt bei ihm einen lunaren, weltabgewa­ndten Charakter.

So wirkt diese durchaus streitwürd­ige Lesart der vor 118 Jahren uraufgefüh­rten Mahler-Sinfonie wie ein langatmige­s Gegenstück zu George Albrechts Cello-Konzert – erst recht, da die Staatskape­lle trotz ihrer solistisch­en Exzellenz beileibe nicht mehr jenes erdig romantisch­e Klangvolum­en im Streichera­pparat erzeugt, wie es einst unter Albrecht senior der Fall war. Dennoch großer Beifall.

 ?? MAIK SCHUCK ?? Widmungstr­äger Daniel Müller-Schott spielte den Solo-Part, Marc Albrecht dirigierte.
MAIK SCHUCK Widmungstr­äger Daniel Müller-Schott spielte den Solo-Part, Marc Albrecht dirigierte.

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