Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Lenin und die Schonbezüge
Erste Mittagsführung im Sommerpalais 2023 widmet sich einem Werk von Rainer Schade
Es ist schon ein Krux mit der Kunst. Zwar kann man sie auch bei alleiniger Betrachtung schätzen, die wirkliche Bedeutung wird zumeist aber erst mit Querverweisen auf andere Werke des Künstlers, seiner Vorgänger und Vorbilder oder zeitgenössischer Bestrebungen klar. Doch wer hat schon Zeit oder Lust, ein kunsthistorisches Studium zu absolvieren, um eine Ausstellung zu besuchen?
In diese Kerbe schlagen schon seit einiger Zeit die Mittags- oder Impulsführungen im Sommerpalais von Greiz, die sich einiger Beliebtheit erfreuen und inzwischen sogar Stammgäste immer wieder anlocken. Die Idee: Anhand eines Werkes, das derzeit ausgestellt wird, und kleinen Details darauf wird bei einer kurzen, nicht einmal halbstündigen Führung, auch das Große und Ganze in den Blick genommen, der Künstler mit seinem Bild vorgestellt und damit eine zeitliche und kritische Einordnung gegeben.
Am Dienstag bei der ersten Mittagsführung des Jahres hatte sich der Sommerpalais-Direktor Ulf Häder eine Karikatur von Rainer Schade ausgesucht, die je nach Laune des Künstlers einmal ohne Titel bleibt, einmal „Der Poet“heißt. Ohne Titel gefalle ihm sogar besser, sagte Häder, da damit die Bedeutungsebenen zahlreicher wären, sich nicht allein auf den Dichter als Typus beschränkten.
Eines ist für den Sommerpalais-Chef aber zweifellos: Dass das Blatt auf ein anderes zurückgreift, es aber wesentlich verändert, um damit dem Vorbild eine andere Interpretation zu geben. Denn Rainer Schade beziehe sich deutlich auf das Gemälde „Lenin im Smolny“, gemalt von Isaak Brodsky um 1930.
Gerade die Unterschiede zwischen beiden Bildern – das lebensgroße Original in Öl, die Variation als Bleistiftzeichnungen – machten die moderne Kritik Schades deutlich. Auf der einen Seite Lenin, der – auch propagandistisch überhörte – Revolutionär, der kaum Zeit hat, die Schonbezüge von den Möbeln zu nehmen, weil er die Oktoberrevolution 1917 planen musste. Auf der anderen Seite die vollständig von
Schonbezügen verhüllte Person, die nicht erkennbar ist und kaum sehen kann, was sie schreibt. „Ein großes Gleichnis“für den Stillstand der Zeit sei das für ihn, sagt Häder. Eine Kritik Schades an der eingemotteten Zeit, die wiederum nur durch die kunsthistorischen Bezüge sichtbar werde.
Anspielen auf das Verborgene im Menschen
Zumal es noch ein weiteres Vorbild zu scheinen gibt, das vielleicht unbewusst mitschwang, wie der Direktor sagt: René Magrittes „Die Liebenden“, das zwei verhüllte Menschen bei einem Kuss zeigt. Wie Magritte spiele Schade bei seiner Karikatur auch auf das Verborgene im Menschen an, das sich zwar ab und zu Bahn breche, aber oft auch vor einem selbst versteckt sei. Eine Karikatur
Schades von 2020, dass die Liebenden küssend zeigt, diesmal aber mit Corona-Maske statt Verhüllung, scheint zu untermauern, dass Schade Magritte kannte und aufgriff. Gleiches gilt wohl für „Der Poet“/das titellose Bild der aktuellen Ausstellung.
„Es ist also ein einfach wirkendes Blatt, das sich mit gesellschaftlichen Phänomenen und mit der Zeit des Künstlers auseinandersetzt und dabei traditionelle Darstellungen zur Hilfe nimmt“, resümierte Häder. Diese könne man aber nur mit Rückgriff auf die Kunsthistorie verständlich machen.
Die nächste Mittagsführung gibt es dann am Dienstag in zwei Wochen, 24. Januar, wieder ab 12.30 Uhr. Mit dem Eintritt von drei Euro können dann auch die Ausstellungen im Haus besichtigt werden.