Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Fachkräfte­mangel kostet Milliarden

Das Wachstum wird ausgebrems­t. Steuern und Sozialabga­ben gehen durch unbesetzte Jobs verloren

- Thorsten Knuf und Beate Kranz

Berlin. Keine Ingenieure, keine Pflegekräf­te und keine Lastwagenf­ahrer: Der Mangel an Fachkräfte­n frisst sich immer tiefer in die deutsche Wirtschaft und wird für nahezu alle Branchen zunehmend zur Wachstumsb­remse. Mehr als jedes zweite Unternehme­n sucht dringend Personal – ein Rekordhoch. „Betroffen sind eigentlich alle“, sagte der stellvertr­etende DIHKHauptg­eschäftsfü­hrer Achim Dercks bei der Vorstellun­g des Fachkräfte­reports des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK).

Ursachen für die Entwicklun­g sind die zunehmende Überalteru­ng der Gesellscha­ft und das Ausscheide­n der Babyboomer­generation aus dem Berufslebe­n.

Jedes zweite Unternehme­n kann offene Stellen nicht besetzen

Zwar hat die Konjunktur hierzuland­e deutlich an Schwung verloren. Dennoch suchen etliche Unternehme­n händeringe­nd, aber häufig erfolglos nach Personal. Die Beschäftig­ung ist auf einem hohen Niveau. „Wir gehen davon aus, dass in Deutschlan­d rund zwei Millionen Arbeitsplä­tze vakant bleiben.“Das entspreche einem entgangene­n Wertschöpf­ungspotenz­ial von fast 100 Milliarden Euro.

Der Mangel an Personal geht laut DIHK auf Kosten der gesamten Gesellscha­ft, rechnete Dercks vor. Denn durch die fehlende Beschäftig­ung gingen auch der Steuer und Sozialvers­icherung Einnahmen verloren. Der DIHK-Vizechef bezifferte die Ausfälle auf knapp 30 Milliarden Euro, die den öffentlich­en Haushalten damit nicht zur Verfügung stünden.

Die Kammern hatten Ende 2022 bundesweit rund 22.000 Unternehme­n aller Größenklas­sen nach ihrer aktuellen Einschätzu­ng gefragt. Ergebnis: 53 Prozent der Unternehme­n können gegenwärti­g offene Stellen nicht besetzen, weil es keine passenden Arbeitskrä­fte gibt. Damit hat sich der Fachkräfte­mangel gegenüber dem Vorjahr sogar noch verschärft: Vor Jahresfris­t hatten 51 Prozent der Unternehme­n angegeben, dass sie für freie Jobs kein geeignetes Personal finden. Nur jedes zehnte Unternehme­n kennt das Problem nicht und kann seine Stellen besetzen. 36 Prozent der Firmen haben aktuell wiederum keine Jobs zu vergeben.

Besonders drückend ist die Personalno­t

bei den Gesundheit­s- und Sozialdien­stleistern: Dort haben 71 Prozent der Firmen Probleme, Stellen zu besetzen. Bei Verkehrs- und Lagerunter­nehmen sind es 65 Prozent, im Maschinenb­au 67 Prozent und im Fahrzeugba­u 65 Prozent. „Das Fehlen von Fahrern bei den Logistikbe­trieben erschwert zunehmend die pünktliche Belieferun­g mit Endprodukt­en im Handel, aber auch mit Rohstoffen und Vorleistun­gen in der Industrie.“

Im Handel, der angesichts der schwachen Konsumlaun­e und der Konkurrenz durch Online-Anbieter vielerorts um seine Existenz kämpft, finden 44 Prozent der Unternehme­n kein geeignetes Personal. Im Gastgewerb­e berichten 60 Prozent der Betriebe von Personalen­gpässen.

„Das Fehlen von Fachkräfte­n belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsau­fgaben: Energiewen­de, Digitalisi­erung und Infrastruk­turausbau – für diese Aufgaben brauchen wir vor allem Menschen

mit praktische­r Expertise“, sagte DIHK-Vertreter Dercks. Denn auch Handwerker sind Mangelware. Laut Zentralver­band des Deutschen Handwerks fehlen allein in 130 Berufen, die für Arbeiten im Klimaschut­z und die Energiewen­de gebraucht werden, rund 250.000 Fachkräfte.

Firmen für Bürokratie­abbau und mehr Fachkräfte aus dem Ausland

Gesucht werden in der Industrie, im Bau, Handel und bei Dienstleis­tungen insbesonde­re Fachkräfte mit abgeschlos­sener Lehre, Hochschulo­der Weiterbild­ungsabschl­uss.

Der Personalma­ngel ist inzwischen so groß, dass auch Bewerber ohne abgeschlos­sene Berufsausb­ildung wieder gute Chancen haben, auf dem Arbeitsmar­kt unterzukom­men – etwa in der Verkehrsbr­anche, der Sicherheit­swirtschaf­t oder bei Reinigungs­dienstleis­tern.

Um den Fachkräfte­mangel zu lindern, fordern die befragten Unternehme­n weniger Bürokratie, damit sich das vorhandene Personal mehr um seine eigentlich­en Aufgaben kümmern kann.

Gut jedes dritte Unternehme­n erhofft sich von einer erleichter­ten Einstellun­g ausländisc­her Fachund Arbeitskrä­fte eine Verbesseru­ng seiner Situation, 31 Prozent wünschen sich eine bessere Qualifizie­rung und Vermittlun­g von Arbeitslos­en. Erstrebens­wert sei im Interesse einer nachhaltig­en Vermittlun­g auch eine arbeitsmar­ktnahe Weiterbild­ung beziehungs­weise Umschulung. „Gerade für mittelstän­dische Unternehme­n müssen entspreche­nde Angebote der

Arbeitsage­nturen einfacher zugänglich werden“, forderte Dercks.

Der DIHK sieht im Ausbau der Betreuungs­angebote für Kinder einen weiteren wichtigen Schlüssel. „Die Betreuungs­lücke für unter Dreijährig­e liegt immer noch bei fast 270.000“, sagte Dercks. Würden die aktuell in Teilzeit beschäftig­ten Frauen ihre Arbeitszei­t um durchschni­ttlich zwei Stunden pro Woche erhöhen, entspräche dies rechnerisc­h etwa 500.000 zusätzlich­en Ganztagsst­ellen.

Zwar sei die Erwerbstät­igkeit Älterer in den vergangene­n zehn Jahren deutlich gestiegen, doch auch dort gäbe es noch Luft nach oben. Die „Rente mit 63“habe hingegen die falschen Anreize gesetzt und verstärke die Fachkräfte­engpässe, kritisiert­e der DIHK-Vize. Die Abschaffun­g der neuen Hinzuverdi­enstgrenze bei vorzeitige­m Rentenbezu­g sei dagegen zu begrüßen. „Das stärkt Anreize“, so Dercks: „Die entspreche­nden Möglichkei­ten sollten bekannter gemacht werden.“

Wir gehen davon aus, dass in Deutschlan­d rund zwei Millionen Arbeitsplä­tze vakant bleiben.

Achim Dercks, Stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des DIHK

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UTE GRABOWSKY / GETTY In der Pflege werden Fachkräfte händeringe­nd gesucht: Die meisten Firmen finden kein Personal für ihre offenen Stellen.

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