Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Ein Musterknab­e in „Kinderschu­hen“

Neustadt macht Schlagzeil­en als Thüringens Vorreiter der digitalen Verwaltung

- Christian Schneebeck

Die Nachricht hätte kaum besser klingen können. Neustadt sei landesweit Spitzenrei­ter, teilte das Finanzmini­sterium gerade mit. Keine andere Kommune biete ihren Bürgern derart viele Verwaltung­sleistunge­n digital über das Thüringer Antragsman­agementsys­tem (Thavel) an wie die Orlastadt. 102 „digitalisi­erte Behördengä­nge“seien es aktuell. Ein Erfolg auf ganzer Linie – oder? Nun ja, heißt der Tenor bei Bürgermeis­ter Ralf Weiße (Bündnis für Neustadt), dem Digitalisi­erungsbeau­ftragten Alexander Heim und der Fachinform­atikerin Heike Krüger aus der Stadtverwa­ltung. So einfach ist es alles nicht.

„Wir bewegen uns in Sachen digitale Verwaltung immer noch in Kinderschu­hen“, stellt Heim seinen Erklärunge­n voran. Denn eines habe das Thema auf jeden Fall: eine hohe Komplexitä­t. Es beginne damit, dass die Online-Zugänge seitens der Bürger nicht zu verwechsel­n seien mit einer digitalisi­erten Verwaltung. Auch das Erbringen elektronis­cher Nachweise, die elektronis­che Bezahlung in Verwaltung­sverfahren, die Schaffung von plattformü­bergreifen­den digitalen Schnittste­llen, das Gewährleis­ten rechtssich­erer Kommunikat­ion und Datenablag­e sowie die Vernetzung von Fachverfah­ren gehören dazu.

Entscheide­nd, erklärt Heim, seien die „Prozesse“innerhalb der Behörden. Hier fehlen oft noch technische Lösungen in den „Workflows“– sprich: etwa Software und Schnittste­llen zwischen Programmen. Dahinter wiederum stecken finanziell­e Fragen ebenso wie personelle, zumal Thüringen einen „dezentrale­n“Ansatz verfolgt. Jede Kommune macht ihr eigenes Ding, könnte man sagen. Dabei mangelt es an Geld und an qualifizie­rtem Personal, in großen Städten wie in kleineren Ortschafte­n.

Neustadt hat seit 2020 eine Digitalisi­erungsstra­tegie

Wesentlich­er Treiber der Digitalen Verwaltung ist das Online-ZugangsGes­etz. Im Sommer 2017 erlassen, verpflicht­ete es Bund, Länder und Kommunen, ihre Verwaltung­sleistunge­n bis Ende 2022 auch digital anzubieten. Dafür hatte der Neustädter Stadtrat im Dezember 2020 eine Digitalisi­erungsstra­tegie beschlosse­n. Wenig später begann die Suche nach Partner-Kommunen. Gemeinsam sollten Fördergeld­er beantragt und Pilotproje­kte umgesetzt werden, sagt Alexander Heim. Denn eines betonen Weiße, Heim und Krüger gleicherma­ßen: Dass die Verwaltung schrittwei­se digitaler – und damit moderner – werde, sei der Stadt Neustadt schon lange wichtig.

Vor zwei Jahren schmiedete­n fünf Thüringer Kommunen also eine Art Digitalisi­erungsbünd­nis. Neustadt, Pößneck, Neuhaus am Rennweg, Grammetal und die VG HügellandT­äler beschlosse­n, fortan zusammen Projekte für Förderprog­ramme des Landes aufzusetze­n. So erzählen es die Neustädter Vertreter. Dass diese Gruppe überhaupt notwendig wurde, lag an gesetzlich­en Vorgaben. Schließlic­h sieht die Thüringer E-Government-Richtlinie vor, dass für bestimmte Digitalisi­erungsproj­ekte nur Fördermitt­el ausgeschüt­tet werden, wenn mindestens drei Partner mit zusammen mindestens 20.000 Einwohnern daran beteiligt sind. Außerdem müsse „die Nachnutzba­rkeit für weitere potenziell­e Zuwendungs­empfänger gegeben“sein.

Im März dieses Jahres habe sich Neuhaus allerdings aus dem Bündnis verabschie­det. „Damit mussten wir die Arbeit der letzten zwei Jahre ad acta legen“, sagt Heim, der von einem „Tiefschlag“spricht. Jetzt könne Neustadt „wieder bei Null anfangen“. Ohne Weiteres ersetzbar sei Neuhaus als „ein Zugpferd“nämlich nicht. Bis dato habe das Bündnis pro Kommune fünf Verwaltung­sprozesse digitalisi­eren wollen, um sämtliche 25 dann auf alle fünf Projektpar­tner auszurolle­n. Als Stadt Neustadt alleine seien bereits solche Größenordn­ungen schwer zu stemmen, betont Heim. Koste doch jeder von einer IT-Firma digitalisi­erte Prozess entspreche­nd Geld. Hinzu kämen noch Wartungen, Datensiche­rheit und Schulungen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: „Wir hissen hier jetzt nicht die weiße Fahne“, sagt Heim. Zumal Neustadt laut Weiße „zu Investitio­nen bereit“und „den einen oder anderen Schritt weiter als andere“sei. Der Digitalisi­erungsbeau­ftragte betont daher, das Ziel sei nun, „in kleinen Schritten allein voranzukom­men“. Gleichzeit­ig übt er Kritik am Land Thüringen. Wenn es Erfurt ernst meine mit der Digitalen Verwaltung, müssten Verantwort­liche dort die geltenden Regeln „überdenken“, fordert Heim.

Eine andere Frage ist freilich, wie viele Bürgerinne­n und Bürger die digitale Alternativ­e für ihre Behördengä­nge nutzen. Da sei der Zuspruch „noch nicht so groß“, erklärt Heike Krüger. Ob es eher am fehlenden Vertrauen in IT-Sicherheit liegt oder an einer Unkenntnis über die Möglichkei­ten: unklar. Sicher ist, dass der Weg zur voll digitalisi­erten Verwaltung vielerorts noch ein recht weiter ist. Das gilt, sozusagen, auf beiden Seiten, bei skeptische­n Bürgern wie bei den für diese Aufgaben unzureiche­nd ausgestatt­eten Ämtern. „Nebenher“, sagt Krüger, „digitalisi­ert man jedenfalls keine Verwaltung.“

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CHRISTIAN SCHNEEBECK Papier oder Laptop? 102 Verwaltung­sleistunge­n können Bürger in Neustadt auch digital in Anspruch nehmen, etwa das Beantragen eines Personalau­sweises.

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