Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Ein Musterknabe in „Kinderschuhen“
Neustadt macht Schlagzeilen als Thüringens Vorreiter der digitalen Verwaltung
Die Nachricht hätte kaum besser klingen können. Neustadt sei landesweit Spitzenreiter, teilte das Finanzministerium gerade mit. Keine andere Kommune biete ihren Bürgern derart viele Verwaltungsleistungen digital über das Thüringer Antragsmanagementsystem (Thavel) an wie die Orlastadt. 102 „digitalisierte Behördengänge“seien es aktuell. Ein Erfolg auf ganzer Linie – oder? Nun ja, heißt der Tenor bei Bürgermeister Ralf Weiße (Bündnis für Neustadt), dem Digitalisierungsbeauftragten Alexander Heim und der Fachinformatikerin Heike Krüger aus der Stadtverwaltung. So einfach ist es alles nicht.
„Wir bewegen uns in Sachen digitale Verwaltung immer noch in Kinderschuhen“, stellt Heim seinen Erklärungen voran. Denn eines habe das Thema auf jeden Fall: eine hohe Komplexität. Es beginne damit, dass die Online-Zugänge seitens der Bürger nicht zu verwechseln seien mit einer digitalisierten Verwaltung. Auch das Erbringen elektronischer Nachweise, die elektronische Bezahlung in Verwaltungsverfahren, die Schaffung von plattformübergreifenden digitalen Schnittstellen, das Gewährleisten rechtssicherer Kommunikation und Datenablage sowie die Vernetzung von Fachverfahren gehören dazu.
Entscheidend, erklärt Heim, seien die „Prozesse“innerhalb der Behörden. Hier fehlen oft noch technische Lösungen in den „Workflows“– sprich: etwa Software und Schnittstellen zwischen Programmen. Dahinter wiederum stecken finanzielle Fragen ebenso wie personelle, zumal Thüringen einen „dezentralen“Ansatz verfolgt. Jede Kommune macht ihr eigenes Ding, könnte man sagen. Dabei mangelt es an Geld und an qualifiziertem Personal, in großen Städten wie in kleineren Ortschaften.
Neustadt hat seit 2020 eine Digitalisierungsstrategie
Wesentlicher Treiber der Digitalen Verwaltung ist das Online-ZugangsGesetz. Im Sommer 2017 erlassen, verpflichtete es Bund, Länder und Kommunen, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch digital anzubieten. Dafür hatte der Neustädter Stadtrat im Dezember 2020 eine Digitalisierungsstrategie beschlossen. Wenig später begann die Suche nach Partner-Kommunen. Gemeinsam sollten Fördergelder beantragt und Pilotprojekte umgesetzt werden, sagt Alexander Heim. Denn eines betonen Weiße, Heim und Krüger gleichermaßen: Dass die Verwaltung schrittweise digitaler – und damit moderner – werde, sei der Stadt Neustadt schon lange wichtig.
Vor zwei Jahren schmiedeten fünf Thüringer Kommunen also eine Art Digitalisierungsbündnis. Neustadt, Pößneck, Neuhaus am Rennweg, Grammetal und die VG HügellandTäler beschlossen, fortan zusammen Projekte für Förderprogramme des Landes aufzusetzen. So erzählen es die Neustädter Vertreter. Dass diese Gruppe überhaupt notwendig wurde, lag an gesetzlichen Vorgaben. Schließlich sieht die Thüringer E-Government-Richtlinie vor, dass für bestimmte Digitalisierungsprojekte nur Fördermittel ausgeschüttet werden, wenn mindestens drei Partner mit zusammen mindestens 20.000 Einwohnern daran beteiligt sind. Außerdem müsse „die Nachnutzbarkeit für weitere potenzielle Zuwendungsempfänger gegeben“sein.
Im März dieses Jahres habe sich Neuhaus allerdings aus dem Bündnis verabschiedet. „Damit mussten wir die Arbeit der letzten zwei Jahre ad acta legen“, sagt Heim, der von einem „Tiefschlag“spricht. Jetzt könne Neustadt „wieder bei Null anfangen“. Ohne Weiteres ersetzbar sei Neuhaus als „ein Zugpferd“nämlich nicht. Bis dato habe das Bündnis pro Kommune fünf Verwaltungsprozesse digitalisieren wollen, um sämtliche 25 dann auf alle fünf Projektpartner auszurollen. Als Stadt Neustadt alleine seien bereits solche Größenordnungen schwer zu stemmen, betont Heim. Koste doch jeder von einer IT-Firma digitalisierte Prozess entsprechend Geld. Hinzu kämen noch Wartungen, Datensicherheit und Schulungen.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: „Wir hissen hier jetzt nicht die weiße Fahne“, sagt Heim. Zumal Neustadt laut Weiße „zu Investitionen bereit“und „den einen oder anderen Schritt weiter als andere“sei. Der Digitalisierungsbeauftragte betont daher, das Ziel sei nun, „in kleinen Schritten allein voranzukommen“. Gleichzeitig übt er Kritik am Land Thüringen. Wenn es Erfurt ernst meine mit der Digitalen Verwaltung, müssten Verantwortliche dort die geltenden Regeln „überdenken“, fordert Heim.
Eine andere Frage ist freilich, wie viele Bürgerinnen und Bürger die digitale Alternative für ihre Behördengänge nutzen. Da sei der Zuspruch „noch nicht so groß“, erklärt Heike Krüger. Ob es eher am fehlenden Vertrauen in IT-Sicherheit liegt oder an einer Unkenntnis über die Möglichkeiten: unklar. Sicher ist, dass der Weg zur voll digitalisierten Verwaltung vielerorts noch ein recht weiter ist. Das gilt, sozusagen, auf beiden Seiten, bei skeptischen Bürgern wie bei den für diese Aufgaben unzureichend ausgestatteten Ämtern. „Nebenher“, sagt Krüger, „digitalisiert man jedenfalls keine Verwaltung.“