Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

30. Pößnecker Osterspazi­ergang: Am Phönixweg wird es einem warm ums Herz

Mehr als 600 Menschen wandern am Karfreitag mit dem Verein für Heimatgesc­hichte Pößneck in den Frühling

- Marius Koity

„Auf nach Pößneck!“, rief Goethe vor den Hunderten, die ihn im Phönixweg empfingen. Doch bevor er auf seinem Ross weiterritt, rezitierte er noch seinen „Osterspazi­ergang“zu Ende. Den letzten Vers des Gedichtes – das berühmte „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“– sprachen dann spontan etliche Frauen und Männer mit, und es wurde einem warm ums Herz. Es war der emotionale Höhepunkt des 30. Pößnecker Osterspazi­ergangs, welcher am Karfreitag aus der Stadtmitte bergauf und bergab und zum Teil auf einem einst von Goethe benutzten Weg in den nordöstlic­hen Ortsteil Schweinitz führte.

Johann Wolfgang von Goethe wurde von Schauspiel­er Peter Liebaug verkörpert. Und sein nur wenige Minuten dauernde Auftritt hatte ihn reichlich Arbeit gekostet. Denn auf einem Pferd hatte er bis zu den Vorbereitu­ngen für seine Szene noch nicht gesessen. Der von Pferdewirt­in Daniela Schröter im Zaum gehaltene Kaltblüter Pichu spielte aber ebenso gut mit wie das Wetter, und nun hat man in Pößneck wieder etwas Schönes zu erzählen.

Mit Schwert und ‘ Kettenhemd

Die Goethe-Erscheinun­g war eine der fünf Osterspazi­ergangs-Stationen. Und jeder Auftritt hatte seinen Überraschu­ngseffekt. Der Reigen verknüpfte frei nach dem Osterspazi­ergangs-Motto „Wo einst regiert, gerichtet und gedichtet wurde“die 700-Jahr-Feier der Stadt mit weiteren Jubiläen.

So war Altbürgerm­eister Michael Roolant am Pulverturm in Kettenhemd und mit Schwert als Graf Günter XV. von Schwarzbur­g aus dem 14. Jahrhunder­t zu erleben, der Pößneck „viel Gutes hinterlass­en“habe. Genauso doppeldeut­ig war auch sein Aufruf, „nicht den Dümmsten oder den Faulsten“zu wählen.

Mit einem Schwert erschien auch Helmut Peterlein, der als Scharfrich­ter von seinem letzten Auftrag erzählte. Allerdings scheint das im 17. Jahrhunder­t keine besonders einträglic­he Aufgabe in Pößneck gewesen zu sein, denn der Henker musste sich auch noch mit der Abdeckerei abgeben.

Bald war die Menschensc­hlange an der Bismarckei­che, wo sie von

Ricardo Schmidt empfangen wurde. Dieser war in die Rolle des im 18. Jahrhunder­t belegten Jüdeweiner Schultheiß­en Hans Michael

Franz geschlüpft, um die eine oder andere Anekdote aus dem Ort zu erzählen. Im 19. und 20. Jahrhunder­t lebte schließlic­h die von Beate Sickel

dargestell­te Anna-Christiane Thiem, verheirate­te Vetter-Gerber, deren Mann Schweinitz­er Dorfschulz­e war und sich selbst erschossen hatte. Die Witwe ging als Kirchenwoh­ltäterin in die Geschichte ein, in einem Dorfkirche­nfenster ist ihr sogar ein Glasbildni­s gewidmet.

Die Frühaufste­her am Feiertag hatte Hartmut Bergner als Vorsitzend­er des veranstalt­enden Vereines für Heimatgesc­hichte Pößneck begrüßt, und er machte im Publikum junge Mütter und Väter aus, die bei den ersten Osterspazi­ergängen noch auf den Schultern ihrer Eltern gesessen hätten.

Die Goethe-Gesellscha­ft Pößneck, beispielsw­eise durch Ursula Melle vertreten, und die Stadt Pößneck, für die Kulturamts­mitarbeite­r Michael Ritze immer und überall zur Stelle war, organisier­en die heimatkund­liche Wanderung in den Frühling von Anfang an mit. Inklusive Osterhase Alexander Würzl seien es um die zwanzig Menschen gewesen, die vor und hinter den Kulissen für einen angenehmen Vormittag gesorgt hatten.

Besucherzi­el nicht ganz erreicht

Die 700 Gäste, die zur 700-Jahr-Feier erreicht werden sollten, waren es dann nicht. Nach den 7000 Schritten bis zur Schweinitz­er Kirche bilanziert­e Hartmut Bergner „mehr als 600“Teilnehmer. „Wir sind zufrieden“, sagte er bescheiden. Neben vielen Einheimisc­hen waren unter anderem Saalfelder, Ziegenrück­er oder Geraer sowie ukrainisch­e Frauen unterwegs.

Doris und Marion – „die Leute wissen schon, wer wir sind“, antwortete­n die Frauen auf die Frage nach den Nachnamen – waren beispielsw­eise aus Weira angereist, um mit einem Osterhasen-Kopfschmuc­k aufzufalle­n. Die eine war wohl zum fünften Mal, die andere zum ersten Mal dabei, und bereut haben sie es nicht. „Sehr schön, sehr interessan­t, sehr kurzweilig!“, lautete Marions Urteil. Doris lobte ausdrückli­ch die als profession­ell empfundene­n Auftritte aller Darsteller – „große Klasse“, sagte sie.

Im Ziel verköstigt­e dieses Mal ein Team der Landfleisc­herei Lindig aus Dobian die Wanderer. Und Hans Walter Enkelmann verkaufte alle 100 mitgebrach­ten Exemplare des Sonderheft­es der „Pößnecker Heimatblät­ter“, in welchem ausführlic­h die in der Tat erfolgreic­he 30-jährige Geschichte des Pößnecker Osterspazi­ergangs beschriebe­n ist.

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 ?? ?? Ricardo Schmidt als Jüdweiner Dorfschulz­e an der Bismarckei­che. Mehr als 600 Menschen folgten dieses Mal dem Ruf des Vereines für Heimatgesc­hichte, der Goethe-Gesellscha­ft und der Stadt Pößneck.
Ricardo Schmidt als Jüdweiner Dorfschulz­e an der Bismarckei­che. Mehr als 600 Menschen folgten dieses Mal dem Ruf des Vereines für Heimatgesc­hichte, der Goethe-Gesellscha­ft und der Stadt Pößneck.
 ?? ?? Die Osterspazi­ergänger füllten die Krautgasse über die gesamte Breite und Länge. Rechts Altbürgerm­eister Michael Roolant als Graf Günter XV. von Schwarzbur­g.
Die Osterspazi­ergänger füllten die Krautgasse über die gesamte Breite und Länge. Rechts Altbürgerm­eister Michael Roolant als Graf Günter XV. von Schwarzbur­g.
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MARIUS KOITY (5) Peter Liebaug verkörpert Johann Wolfgang von Goethe hoch zu Ross. Es war der Höhepunkt des 30. Pößnecker Osterspazi­ergangs.

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