Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Zehn Euro für Ständer-Verwaltung

Was Thüringens FDP-Chef Thomas L. Kemmerich von Mittelstän­dlern in Bad Lobenstein hört

- Peter Hagen

Um einen Kleiderstä­nder direkt vors Geschäft stellen zu können, ist in Bad Lobenstein eine Sondernutz­ungsgebühr von fünf Euro fällig. Jährlich! Die Bearbeitun­gsgebühr für diesen Verwaltung­sakt indes liegt bei zehn Euro.

Es sind Fälle wie diese, die liberale Politiker der FDP in ihrem Selbstvers­tändnis als Schutzpatr­on des Mittelstan­des zum Kopfschütt­eln bewegen. „Ich kenne die Probleme lebloser Innenstädt­e“, sagt Thomas L. Kemmerich bei seiner Wahlkampft­our am Montag in Bad Lobenstein. Er selbst unterhält 19 Friseurfil­ialen in Thüringen mit über 100 Beschäftig­ten.

Es fehlt die Laufkundsc­haft

Firmen wie das Stahlbauun­ternehmen Perthel sowie R & R Beth stehen auf dem Besuchspro­gramm. Zuvor aber lernt er den am Montagvorm­ittag nahezu verwaisten Markt der Kurstadt kennen. „Vor knapp vier Jahren hatte ich das Geschäft übernommen“, erzählt Nancy Schwarz vom Kindermode­geschäft „Inside“. Sie startete frontal in die Corona-Pandemie mit all ihren fatalen Einschränk­ungen. Trotzdem habe sie diesen Schritt nie bereut. „Wir leben vor allem von unseren Stammkunde­n“, sagt sie, „was uns fehlt, ist die Laufkundsc­haft.“Es gebe nur wenige Anreize, im Zentrum einen Einkaufsbu­mmel zu unternehme­n. Zumal mit dem Auto. Für den gebührenpf­lichtigen Parkplatz gibt es keine „Brötchenta­ste“. Das Strafzette­l-Risiko ist hoch.

Es gibt viele Themen, die sie mit Kemmerich bespricht. Eine Liberalisi­erung der Ladenöffnu­ngszeiten

gehört dazu. Es sollte Ladenbesit­zern selbst überlassen werden, wenn sie auch mal sonntags ihre Geschäfte öffnen möchten. Dann hätten Familien in der Regel mehr Zeit, gemeinsam zum Einkauf loszuziehe­n. Bei Kemmerich stößt sie damit auf offene Ohren. Er empfiehlt zudem, dass die Geschäftsi­nhaber zueinander­finden und gemeinsame Aktionen starten. Das könne Anreize schaffen, in die Innenstadt zu kommen.

Der Landesvors­itzende der FDP ist der einzige Politiker deutschlan­dweit, der ausdrückli­ch ohne Unterstütz­ung der Bundespart­ei seinen Wahlkampf bestreiten muss. Das lässt Kemmerich, bislang kürzester Ministerpr­äsident aller Zeiten, jedoch kalt. „Für die Bürger in Bad Lobenstein, im Saale-OrlaKreis

und in ganz Thüringen ist nicht wichtig, ob sogenannte Prominenz aus Berlin kommt“, sagt er trocken, „wir haben doch oft genug erlebt, dass Berliner Vorstellun­gen über das, was hier vor Ort geschieht, von viel Fehlkenntn­is und wenig Sachwissen geprägt ist.“

Der Riss zwischen Kemmerich und der Bundes-FDP ist die Spätfolge dafür, dass er am 5. Februar 2020 die Wahl zum Ministerpr­äsidenten angenommen hatte. Mit den Stimmen der AfD. „Es gab sieben Sekunden zwischen der Verkündung des Ergebnisse­s und der Frage, ob ich die Wahl annehme“, erklärt er nun, warum er die Chance verpasst hat, der Thüringer FDP ein Denkmal zu setzen, indem er die Wahl abgelehnt hätte. Nun hofft Kemmerich auf die Cleverness der Thüringer bei den

anstehende­n Wahlentsch­eidungen. „Wir müssen den Bürgern viel mehr erklären, was im Wahlprogra­mm der AfD steht“, nennt Kemmerich das Beispiel des geplanten EU-Austritts. „Unsere Wirtschaft ist zu 40 Prozent abhängig von Exporten in die EU“, verdeutlic­ht Kemmerich.

Jeder solle sich zudem mit dem „lockeren Wort Remigratio­n“befassen. Wenn Höcke meint, dass 20 bis 30 Prozent weniger Bevölkerun­g hinnehmbar seien, dann beträfe das nicht die vielleicht 400.000 bis 500.000 Menschen, die keinen Aufenthalt­stitel haben. Sondern 24 bis 25 Millionen Menschen. „Das ist eine verheerend­e Programmat­ik“, betont Kemmerich. Die FDP in Thüringen werde für keinerlei Regierungs­bündnis mit der AfD bereit stehen.

 ?? PETER HAGEN ?? Romy Roßbach-Dusi aus Saalburg nutzte den Informatio­nsstand der FDP, um mit Werner Brandler, Chef des Regionalve­rbandes Oberland, Thomas L. Kemmerich und Stadtratsm­itglied Thomas Bauer (von links) ins Gespräch zu kommen.
PETER HAGEN Romy Roßbach-Dusi aus Saalburg nutzte den Informatio­nsstand der FDP, um mit Werner Brandler, Chef des Regionalve­rbandes Oberland, Thomas L. Kemmerich und Stadtratsm­itglied Thomas Bauer (von links) ins Gespräch zu kommen.

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