Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Zehn Euro für Ständer-Verwaltung
Was Thüringens FDP-Chef Thomas L. Kemmerich von Mittelständlern in Bad Lobenstein hört
Um einen Kleiderständer direkt vors Geschäft stellen zu können, ist in Bad Lobenstein eine Sondernutzungsgebühr von fünf Euro fällig. Jährlich! Die Bearbeitungsgebühr für diesen Verwaltungsakt indes liegt bei zehn Euro.
Es sind Fälle wie diese, die liberale Politiker der FDP in ihrem Selbstverständnis als Schutzpatron des Mittelstandes zum Kopfschütteln bewegen. „Ich kenne die Probleme lebloser Innenstädte“, sagt Thomas L. Kemmerich bei seiner Wahlkampftour am Montag in Bad Lobenstein. Er selbst unterhält 19 Friseurfilialen in Thüringen mit über 100 Beschäftigten.
Es fehlt die Laufkundschaft
Firmen wie das Stahlbauunternehmen Perthel sowie R & R Beth stehen auf dem Besuchsprogramm. Zuvor aber lernt er den am Montagvormittag nahezu verwaisten Markt der Kurstadt kennen. „Vor knapp vier Jahren hatte ich das Geschäft übernommen“, erzählt Nancy Schwarz vom Kindermodegeschäft „Inside“. Sie startete frontal in die Corona-Pandemie mit all ihren fatalen Einschränkungen. Trotzdem habe sie diesen Schritt nie bereut. „Wir leben vor allem von unseren Stammkunden“, sagt sie, „was uns fehlt, ist die Laufkundschaft.“Es gebe nur wenige Anreize, im Zentrum einen Einkaufsbummel zu unternehmen. Zumal mit dem Auto. Für den gebührenpflichtigen Parkplatz gibt es keine „Brötchentaste“. Das Strafzettel-Risiko ist hoch.
Es gibt viele Themen, die sie mit Kemmerich bespricht. Eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten
gehört dazu. Es sollte Ladenbesitzern selbst überlassen werden, wenn sie auch mal sonntags ihre Geschäfte öffnen möchten. Dann hätten Familien in der Regel mehr Zeit, gemeinsam zum Einkauf loszuziehen. Bei Kemmerich stößt sie damit auf offene Ohren. Er empfiehlt zudem, dass die Geschäftsinhaber zueinanderfinden und gemeinsame Aktionen starten. Das könne Anreize schaffen, in die Innenstadt zu kommen.
Der Landesvorsitzende der FDP ist der einzige Politiker deutschlandweit, der ausdrücklich ohne Unterstützung der Bundespartei seinen Wahlkampf bestreiten muss. Das lässt Kemmerich, bislang kürzester Ministerpräsident aller Zeiten, jedoch kalt. „Für die Bürger in Bad Lobenstein, im Saale-OrlaKreis
und in ganz Thüringen ist nicht wichtig, ob sogenannte Prominenz aus Berlin kommt“, sagt er trocken, „wir haben doch oft genug erlebt, dass Berliner Vorstellungen über das, was hier vor Ort geschieht, von viel Fehlkenntnis und wenig Sachwissen geprägt ist.“
Der Riss zwischen Kemmerich und der Bundes-FDP ist die Spätfolge dafür, dass er am 5. Februar 2020 die Wahl zum Ministerpräsidenten angenommen hatte. Mit den Stimmen der AfD. „Es gab sieben Sekunden zwischen der Verkündung des Ergebnisses und der Frage, ob ich die Wahl annehme“, erklärt er nun, warum er die Chance verpasst hat, der Thüringer FDP ein Denkmal zu setzen, indem er die Wahl abgelehnt hätte. Nun hofft Kemmerich auf die Cleverness der Thüringer bei den
anstehenden Wahlentscheidungen. „Wir müssen den Bürgern viel mehr erklären, was im Wahlprogramm der AfD steht“, nennt Kemmerich das Beispiel des geplanten EU-Austritts. „Unsere Wirtschaft ist zu 40 Prozent abhängig von Exporten in die EU“, verdeutlicht Kemmerich.
Jeder solle sich zudem mit dem „lockeren Wort Remigration“befassen. Wenn Höcke meint, dass 20 bis 30 Prozent weniger Bevölkerung hinnehmbar seien, dann beträfe das nicht die vielleicht 400.000 bis 500.000 Menschen, die keinen Aufenthaltstitel haben. Sondern 24 bis 25 Millionen Menschen. „Das ist eine verheerende Programmatik“, betont Kemmerich. Die FDP in Thüringen werde für keinerlei Regierungsbündnis mit der AfD bereit stehen.