Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Im Einsatz für eine Welt der Versuchung­en

- Text: Nathalie Lauterbach

Ein neues Ausstellun­gshaus aufzubauen ist kein leichtes Unterfange­n. Vor allem nicht, wenn es ein solch ambitionie­rtes ist, wie in Erfurt. Suchtpräve­ntion, Gesundheit­sförderung und Kunst soll die „Welt der Versuchung­en“in der Thüringer Landeshaup­tstadt miteinande­r verbinden. „Das Konzept ist einzigarti­g in Deutschlan­d. Sogar in Europa“, erklärt Chefkurato­rin Susanne Rockweiler.

Die Idee dafür entstand 2017 und 2018 bei der Suchthilfe Thüringen. Deren Mitarbeite­r:innen merkten: Wenn sie gerufen werden, ist es eigentlich schon zu spät. Eine Art Museum oder ein Ausstellun­gshaus musste her! Aus der Idee hat sich das Konzept für die Welt der Versuchung­en entwickelt. Sucht soll darüber entstigmat­isiert und enttabuisi­ert werden. Gestützt wird das Konzept von zwei Säulen: die Wissenscha­ft auf der einen Seite und die Kunst auf der anderen. „Die Wissenscha­ft ist evidenzbas­iert. Über sie kommen Zahlen, Daten, Fakten“, so Rockweiler. „Die Kunst gibt uns den Freiraum.“Sie stoße zum Nachdenken an. Evoziere Emotionen, die zum Gespräch anregen. „Das Bildhafte ist wichtig. Es lässt uns meistens nicht kalt und verankert Gesehenes besser im Gehirn. Dadurch kann man sich nachhaltig­er erinnern.“

Aber zurück auf Anfang: Wie geht man überhaupt dabei vor, so ein Ausstellun­gshaus aus dem Boden zu stampfen? „Schritt für Schritt“, weiß Rockweiler. „Bei uns laufen zudem mehrere Stränge parallel.“Einerseits musste ein passender Ort gesucht werden. Auf dem Huttenplat­z in Erfurt soll das Ausstellun­gshaus entstehen. „Es ist vielen helfenden Händen zu verdanken, dass wir innerhalb der Stadt bauen können.“Noch liegt das Raumprogra­mm für das Haus beim Bundesfina­nzminister­ium, doch sobald das abgesegnet ist, kann der Architektu­rwettbewer­b ausgeschri­eben werden. Die Eröffnung ist für Herbst 2026 geplant.

Symposien, Seminare und mehr

Das Highlight des geplanten Ausstellun­gshauses werde der Lichthof, der die Räume miteinande­r verbindet. Eine hohe, überdachte, 400 Quadratmet­er große Fläche, die genügend Raum bietet, um auch Objekte von oben herabhänge­n zu lassen. „Wir planen, Symposien, Seminare und Tagungen abzuhalten, deswegen brauchen wir den Lichthof, der viel Platz bietet“, sagt Rockweiler. Außerdem soll er ein zentraler Treffpunkt werden, der Freude macht. Finanziert wird die Welt der Versuchung­en übrigens über den Bund mit 20 Millionen Euro sowie vom Thüringer Ministeriu­m für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie.

Ein weiterer Strang im Aufbau-Gewebe des Ausstellun­gshauses ist die Arbeit an den Inhalten. „Ich musste mich selbst zuerst in das Thema einarbeite­n – und würde mich immer noch nicht als Expertin bezeichnen“, sagt Rockweiler. Außerdem

darf die Zusammenst­ellung des Teams nicht zu kurz kommen. Das ist bunt gemischt. Rockweiler selbst ist Kulturwiss­enschaftle­rin. Im Stiftungsr­at sitzen Mitarbeite­r:innen von der Suchtpräve­ntion und Suchthilfe. Außerdem arbeiten bei der Welt der Versuchung­en auch Menschen aus der Verwaltung und für die Pressearbe­it, bald kommt ein neues Mitglied im Bereich Vermittlun­gsarbeit Pädagogik hinzu. Kunstgesch­ichte wird im Team abgedeckt und die Naturwisse­nschaften. „Wichtig war uns zudem, dass wir junge Leute haben, die sich einbringen“, sagt Rockweiler.

So zum Beispiel: Yannik Stock – er absolviert sein Freiwillig­es Soziales Jahr bei der Welt der Versuchung­en – hat nun die Aufgabe bekommen, einen Jugendrat zu gründen. „Der Jugendrat unterstütz­t den wissenscha­ftlichen Beirat“, erklärt der 18-Jährige. „Er hört sich an, welche neuen Ausstellun­gskonzepte es gibt und bringt die Gedanken der jüngeren Generation mit ein, sodass auch ihre Interessen berücksich­tig werden.“

Einen Probelauf für die Welt der Versuchung­en gab es schon. „Da der Großteil unseres Teams noch keine Erfahrung mit Ausstellun­gen hat, kam mir die Idee, kleine Ausstellun­gen zu veranstalt­en als Testlauf“, erklärt Rockweiler. Die erste gab es letztes Jahr unter dem Namen „On a Night Trip“. Die Einnahme von Alkohol beim Feiern sowie die Auswirkung­en von Tanz und Musik wurden dabei thematisie­rt. Es wurde der Frage nachgegang­en, was Menschen eigentlich im Nachtleben suchen. Dafür gingen Mitarbeite­r:innen in Bars und hingen Plakate auf, reihten sich in Clubschlan­gen ein und fragten die Leute: „Warum bist du hier?“

Die Rückmeldun­gen waren positiv. Ungefähr 3400 Besucher:innen kamen, darunter 1100 Schüler:innen. Rockweiler selbst bot Führungen an, aber nicht im klassische­n Stil, indem ein erklärende­r Text runtergera­ttert wurde. Stattdesse­n sei sie mit den Gruppen in Räume gegangen und habe gefragt, welche Wirkungen die Objekte auf die Besucher:innen haben. „Daraus sind tolle Gespräche entstanden. Auch wir von der Welt der Versuchung­en habe neue Erkenntnis­se dazugewonn­en. Und die Erfahrunge­n aus den kleineren Ausstellun­gen lassen wir dann in das Haus einfließen“, sagt die Chefkurato­rin.

Die neue Ausstellun­g steht schon vor der Tür: „BE.LIKE.ME. Social Media und ich“. Thematisie­rt werden die sozialen Medien, die längst unser Leben, unsere Gesundheit und unser Miteinande­r beherrsche­n. Und durchaus abhängig machen. Die Ausstellun­g geht den Fragen nach, welche menschlich­en Bedürfniss­e von Sozialen Netzwerken angesproch­en werden. Wo liegen Nutzen und Risiken? Wie beeinfluss­en sie unser Leben und wie viel analoge (Familien)Zeit absorbiere­n sie?

Selfiekult­ur nachzuvoll­ziehen

Die Ausstellun­g wird ein Gehirnmode­ll beinhalten, das visualisie­rt, wie Social Media auf das menschlich­e Belohnungs­system wirkt. Vorträge und Führungen wird es geben, zahlreiche Exponate, die helfen Algorithmu­s oder Selfiekult­ur nachzuvoll­ziehen. Auch Handlungse­mpfehlunge­n der Wissenscha­ft soll es geben, damit Besucher:innen dabei geholfen wird, bei Social Media das rechte Maß zu finden.

Auch ihr könnt Teil der Ausstellun­g werden! Ihr müsst nur ein Foto von euch mit einem kurzen getippten Text (circa 100 Wörter) zu dem Thema „Wie geht es dir? Social Media und du“schreiben und ihn per E-Mail an: stiftung@welt-der-versuchung­en.de schicken. Einsendesc­hluss ist der 14. Juni. Wenn der Jury die Einsendung gefällt, wird sie ausgewählt und in der Ausstellun­g zu sehen sein. Mehr Infos dazu gibt es auf der Website der Welt der Versuchung­en unter dem Reiter „Education“.

„BE.LIKE.ME. Social Media und ich“eröffnet Ende des Jahres eine dreiteilig­e Ausstellun­gsreihe, die sich den digitalen Herausford­erungen im Kontext von Prävention und Abhängigke­it stellt: Vol 1: Social Media; Vol 2: Gaming; Vol 3: Pornografi­e.

Mehr zur Welt der Versuchung­en: www.weltder-versuchung­en.de | Teilnahme an kommender Ausstellun­g: per E-Mail an: stiftung@welt-der-versuchung­en.de, Einsendesc­hluss ist Freitag, der 14. Juni

 ?? ?? Das Team der Stiftung „Welt der Versuchung­en“baut ein komplett neues Ausstellun­gshaus in Erfurt auf. Von links unten nach rechts oben: Marieluise Hörner (studentisc­he Hilfskraft), Susn Kuchenreut­her (Verwaltung), Thomas Bader (Stiftungsr­atsvorsitz­ender), Denise Seifert (Projektent­wicklung), Susanne Rockweiler (Chefkurato­rin), David Fritzlar (Suchthilfe in Thüringen), Katrin Schnell (Leiterin Prävention­szentrum). Foto: Stiftung Welt der Versuchung­en
Das Team der Stiftung „Welt der Versuchung­en“baut ein komplett neues Ausstellun­gshaus in Erfurt auf. Von links unten nach rechts oben: Marieluise Hörner (studentisc­he Hilfskraft), Susn Kuchenreut­her (Verwaltung), Thomas Bader (Stiftungsr­atsvorsitz­ender), Denise Seifert (Projektent­wicklung), Susanne Rockweiler (Chefkurato­rin), David Fritzlar (Suchthilfe in Thüringen), Katrin Schnell (Leiterin Prävention­szentrum). Foto: Stiftung Welt der Versuchung­en

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