Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Keine Angst mehr vor dem Tod

- Michael Helbing www.jedermann-theater.de.

Weimar. Er stammt aus Graz, lebt in Berlin und arbeitet inzwischen oft in Leipzig: Schauspiel­er Julian Weigend gehört zum Team von „In aller Freundscha­ft“und spielte 2022 in Beelitz erstmals die Titelrolle in Hugo von Hoffmannst­hals „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Im Juli ist die Inszenieru­ng sechsmal im Weimarhall­enpark zu erleben. Auch darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Julian Weigend über „Jedermann“in Weimar, die Sachsenkli­nik und eine Nahtod-Erfahrung

Herr Weigend, die meisten kennen Sie aus dem Fernsehen: einst „Schimanski“, seit 2018 „In aller Freundscha­ft“. Was bedeutet Ihnen indes das Theater?

Im Theater geht mein Herz auf! Das tut es beim Drehen nur teilweise: etwa, wenn ich mit Götz George in „Schimanski“gespielt habe, mitunter auch bei der „Freundscha­ft“. Aber diese Unmittelba­rkeit zum Publikum ist das Geile am Theater: direkt transporti­eren zu können, was du gerade erzählst. Es sendet und schlägt unmittelba­r ein – oder eben auch nicht. Vor allem Klassiker sind mein Ding, auch moderne Klassiker wie die von Arthur Miller oder Eugene O‘Neill. Meine Essenz schreit nach dieser großen Sprache, auch in „Amadeus“von Peter Shaffer, worin ich 2006 in St. Gallen den Salieri spielen durfte. Das war die Rolle meines Lebens!

Nun also der Jedermann. Von Ihrer Heimatstad­t Graz ist es schon noch ein Stück bis nach Salzburg. Hat ein österreich­ischer Schauspiel­er dennoch eine besondere Beziehung zu diesem Stück?

Natürlich wird „Jedermann“mit den Salzburger Festspiele­n in Verbindung gebracht und in Österreich allgemein sehr hoch gehangen. Aber ich habe das an anderen Spielstätt­en erlebt, wo es sehr spannend war. Ohnehin waren meine schönsten Theatererf­ahrungen als Zuschauer nicht notwendige­rweise mit den größten Häusern verbunden.

Wie lange haben Sie überlegt, ob Sie den Jedermann spielen sollen, als Sie Nicolai Tegeler als Regisseur und Produzent zunächst für Beelitz 2022 anfragte?

Keine Sekunde lang! Er hatte mich anderthalb Jahre zuvor angesproch­en und ich habe sofort gesagt: Dieses verrückte Abenteuer gehe ich ein. Falls ich genug Zeit habe – die ich dann leider doch nicht hatte. Ich hatte fast nur gedreht und konnte

mich nicht vorbereite­n. Ich habe die Rolle in nur zwei Wochen gelernt und hatte dann noch zwei Wochen für die Proben. Das war eine knappe Nummer.

Worauf kommt bei diesem Text an?

Man muss sehr exakt sein in der Sprache, mit dieser Reimform. Das muss alles stimmen: und zwar so, dass der Partner das gut abnehmen kann. Wenn ich es falsch betone, wird es eine Katastroph­e. Aber da hilft mir immer die Erinnerung an meine Schauspiel­lehrer in Graz: „Entmystifi­ziert die Sprache!“, haben sie gesagt. So entsteht Natürlichk­eit. Für „In aller Freundscha­ft“muss ich medizinisc­he Begriffe lernen wie Zuggurtung­sosteosynt­hese oder Thrombenda­rteriektom­ie. Das ist auch spannend, aber etwas völlig anderes.

Neben gestandene­n Kollegen wie Marie Zielcke oder Thomas Thieme gehören TV-Promis wie Tine Wittler oder Ralph Morgenster­n zum Ensemble, Weimarer Bürger spielen die Tischgesel­lschaft. Hatten Sie nie Vorbehalte gegenüber einer solchen Konstellat­ion?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine gehabt. Aber dadurch, dass ich Nicolai Tegeler so sehr vertraue, wusste ich: Das wird funktionie­ren. Und das hat es in Beelitz sogar blendend. Alle wurden

gut eingebette­t und waren hellwach dabei.

„Jedermann“ist schon ein merkwürdig­es Stück: ein Mysteriens­piel, das bereits bei seiner Uraufführu­ng 1911 in Berlin alles andere als modern wirkte…

Ich mochte es anfangs überhaupt nicht. Ich dachte: „Was ist das denn für eine verstaubte, bigotte Kiste!?“Als ich mich aber mit der Essenz mal auseinande­rgesetzt hatte, fand ich es enorm. Man kann es gut in die heutige Zeit transporti­eren, ohne die Sprache verändern zu müssen, was ich grundsätzl­ich ablehne. Das letzte Hemd hat keine Taschen: Darum geht’s doch letzten Endes dabei. Wir können auf Erden die größten Zampanos sein und alles horten, aber wenn der Tod anklopft und dich mitnehmen will, bleibt dir nichts als die Seele, die uns als Menschen ausmacht und auf die andere Seite geht.

Welches Verhältnis haben Sie selbst zum Tod?

Ein entspannte­s, seit ich mal einen Herzstills­tand hatte. Es hat mich ausgeknock­t, nachdem ich mit einer verschlepp­ten Erkältung laufen ging und mir eine Myokarditi­s zuzog (Herzmuskel­entzündung – die Redaktion). Am Morgen des 1. September 2016 bin ich aufgewacht und hatte solche brutalen

Schmerzen, dass ich noch kurz dachte, „jetzt habe ich ein Problem“, bevor ich nichts mehr mitbekam. Dann habe ich mich selbst von der Zimmerdeck­e aus betrachtet.

Sie sahen sich von außen?

Ja, und das war ein krasses Erlebnis, dass sich intensiv eingebrann­t hat! Ich sage das jetzt nur für mich persönlich: Ich wollte gar nicht mehr zurück, ich hatte keine Lust mehr, in diesen Körper zu gehen. Es fühlte sich an wie ein Nachhausek­ommen: ein absoluter Frieden auf der anderen Seite. Es ist mit Worten kaum zu beschreibe­n. Hätten Sie mich damals gefragt, wie das Universum funktionie­rt, hätte ich Ihnen alles erklären können. Das war jedenfalls mein Gefühl.

Wieso sind Sie trotzdem zurückgeko­mmen?

Es war so, als ob mich jemand angetippt und damit gesagt hätte: Nein, es ist noch nicht so weit. Ich bin in diesen Körper zurückgeke­hrt und es kam mir kurz vor, als ob man jemanden, der fliegen könnte, in eine Holzkiste sperrt und sie zunagelt. Das war grauenvoll! Als ich aber die Stimme meiner Frau Maya Forster neben mir hörte, war ich auch wieder ganz froh, hier zu sein. Seitdem bin ich aber komplett angstfrei, was den Tod betrifft.

Erst nach dieser Nahtoderfa­hrung sind Sie sozusagen selbst Arzt geworden: Erklären Sie mir bitte mal Ihren Chirurgen Kai Hoffmann in der Sachsenkli­nik des MDR!

Er ist kantig, straight und nicht so weichgespü­lt. Der war bei der Bundeswehr, hat einen Sohn verloren und ist ein sehr verschloss­ener Typ, der mit Gefühlen schwer umgehen kann, wenn er nicht gerade mit seinem Baby alleine ist.

Man möchte ihn manchmal schütteln. Der hat schon ein größeres Rad ab, oder?

Das ist wohl so. Aber so etwas erzählen zu dürfen, ist toll. Ich liebe sowieso mehr die antagonist­ischen Rollen. Auch am Theater habe ich nie Liebhaber gespielt: nicht Romeo, sondern Mercutio, nicht Christian, sondern Cyrano.

Ihr Kollege Thomas Rühmann hat über seinen Dr. Heilmann mal gesagt, mit dem würde er lieber kein Bier trinken gehen wollen.

Ich mit dem ehrlich gesagt auch nicht. Aber mit Kai schon. Mit ihm hätte ich einiges zu besprechen.

Das komplette Interview: otz.de „Jedermann“im Weimarhall­enpark: 11. bis 13. und 18. bis 20. Juli, jeweils ab 20 Uhr. Karten bei der Tourist-Informatio­n Weimar. Mehr Infos auf:

 ?? MAIK SCHUCK ?? Schauspiel­er Julian Weigend zu Besuch im Weimarhall­enpark, in dem er im Juli Theater spielen wird.
MAIK SCHUCK Schauspiel­er Julian Weigend zu Besuch im Weimarhall­enpark, in dem er im Juli Theater spielen wird.

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