Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Keine Angst mehr vor dem Tod
Weimar. Er stammt aus Graz, lebt in Berlin und arbeitet inzwischen oft in Leipzig: Schauspieler Julian Weigend gehört zum Team von „In aller Freundschaft“und spielte 2022 in Beelitz erstmals die Titelrolle in Hugo von Hoffmannsthals „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Im Juli ist die Inszenierung sechsmal im Weimarhallenpark zu erleben. Auch darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Julian Weigend über „Jedermann“in Weimar, die Sachsenklinik und eine Nahtod-Erfahrung
Herr Weigend, die meisten kennen Sie aus dem Fernsehen: einst „Schimanski“, seit 2018 „In aller Freundschaft“. Was bedeutet Ihnen indes das Theater?
Im Theater geht mein Herz auf! Das tut es beim Drehen nur teilweise: etwa, wenn ich mit Götz George in „Schimanski“gespielt habe, mitunter auch bei der „Freundschaft“. Aber diese Unmittelbarkeit zum Publikum ist das Geile am Theater: direkt transportieren zu können, was du gerade erzählst. Es sendet und schlägt unmittelbar ein – oder eben auch nicht. Vor allem Klassiker sind mein Ding, auch moderne Klassiker wie die von Arthur Miller oder Eugene O‘Neill. Meine Essenz schreit nach dieser großen Sprache, auch in „Amadeus“von Peter Shaffer, worin ich 2006 in St. Gallen den Salieri spielen durfte. Das war die Rolle meines Lebens!
Nun also der Jedermann. Von Ihrer Heimatstadt Graz ist es schon noch ein Stück bis nach Salzburg. Hat ein österreichischer Schauspieler dennoch eine besondere Beziehung zu diesem Stück?
Natürlich wird „Jedermann“mit den Salzburger Festspielen in Verbindung gebracht und in Österreich allgemein sehr hoch gehangen. Aber ich habe das an anderen Spielstätten erlebt, wo es sehr spannend war. Ohnehin waren meine schönsten Theatererfahrungen als Zuschauer nicht notwendigerweise mit den größten Häusern verbunden.
Wie lange haben Sie überlegt, ob Sie den Jedermann spielen sollen, als Sie Nicolai Tegeler als Regisseur und Produzent zunächst für Beelitz 2022 anfragte?
Keine Sekunde lang! Er hatte mich anderthalb Jahre zuvor angesprochen und ich habe sofort gesagt: Dieses verrückte Abenteuer gehe ich ein. Falls ich genug Zeit habe – die ich dann leider doch nicht hatte. Ich hatte fast nur gedreht und konnte
mich nicht vorbereiten. Ich habe die Rolle in nur zwei Wochen gelernt und hatte dann noch zwei Wochen für die Proben. Das war eine knappe Nummer.
Worauf kommt bei diesem Text an?
Man muss sehr exakt sein in der Sprache, mit dieser Reimform. Das muss alles stimmen: und zwar so, dass der Partner das gut abnehmen kann. Wenn ich es falsch betone, wird es eine Katastrophe. Aber da hilft mir immer die Erinnerung an meine Schauspiellehrer in Graz: „Entmystifiziert die Sprache!“, haben sie gesagt. So entsteht Natürlichkeit. Für „In aller Freundschaft“muss ich medizinische Begriffe lernen wie Zuggurtungsosteosynthese oder Thrombendarteriektomie. Das ist auch spannend, aber etwas völlig anderes.
Neben gestandenen Kollegen wie Marie Zielcke oder Thomas Thieme gehören TV-Promis wie Tine Wittler oder Ralph Morgenstern zum Ensemble, Weimarer Bürger spielen die Tischgesellschaft. Hatten Sie nie Vorbehalte gegenüber einer solchen Konstellation?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine gehabt. Aber dadurch, dass ich Nicolai Tegeler so sehr vertraue, wusste ich: Das wird funktionieren. Und das hat es in Beelitz sogar blendend. Alle wurden
gut eingebettet und waren hellwach dabei.
„Jedermann“ist schon ein merkwürdiges Stück: ein Mysterienspiel, das bereits bei seiner Uraufführung 1911 in Berlin alles andere als modern wirkte…
Ich mochte es anfangs überhaupt nicht. Ich dachte: „Was ist das denn für eine verstaubte, bigotte Kiste!?“Als ich mich aber mit der Essenz mal auseinandergesetzt hatte, fand ich es enorm. Man kann es gut in die heutige Zeit transportieren, ohne die Sprache verändern zu müssen, was ich grundsätzlich ablehne. Das letzte Hemd hat keine Taschen: Darum geht’s doch letzten Endes dabei. Wir können auf Erden die größten Zampanos sein und alles horten, aber wenn der Tod anklopft und dich mitnehmen will, bleibt dir nichts als die Seele, die uns als Menschen ausmacht und auf die andere Seite geht.
Welches Verhältnis haben Sie selbst zum Tod?
Ein entspanntes, seit ich mal einen Herzstillstand hatte. Es hat mich ausgeknockt, nachdem ich mit einer verschleppten Erkältung laufen ging und mir eine Myokarditis zuzog (Herzmuskelentzündung – die Redaktion). Am Morgen des 1. September 2016 bin ich aufgewacht und hatte solche brutalen
Schmerzen, dass ich noch kurz dachte, „jetzt habe ich ein Problem“, bevor ich nichts mehr mitbekam. Dann habe ich mich selbst von der Zimmerdecke aus betrachtet.
Sie sahen sich von außen?
Ja, und das war ein krasses Erlebnis, dass sich intensiv eingebrannt hat! Ich sage das jetzt nur für mich persönlich: Ich wollte gar nicht mehr zurück, ich hatte keine Lust mehr, in diesen Körper zu gehen. Es fühlte sich an wie ein Nachhausekommen: ein absoluter Frieden auf der anderen Seite. Es ist mit Worten kaum zu beschreiben. Hätten Sie mich damals gefragt, wie das Universum funktioniert, hätte ich Ihnen alles erklären können. Das war jedenfalls mein Gefühl.
Wieso sind Sie trotzdem zurückgekommen?
Es war so, als ob mich jemand angetippt und damit gesagt hätte: Nein, es ist noch nicht so weit. Ich bin in diesen Körper zurückgekehrt und es kam mir kurz vor, als ob man jemanden, der fliegen könnte, in eine Holzkiste sperrt und sie zunagelt. Das war grauenvoll! Als ich aber die Stimme meiner Frau Maya Forster neben mir hörte, war ich auch wieder ganz froh, hier zu sein. Seitdem bin ich aber komplett angstfrei, was den Tod betrifft.
Erst nach dieser Nahtoderfahrung sind Sie sozusagen selbst Arzt geworden: Erklären Sie mir bitte mal Ihren Chirurgen Kai Hoffmann in der Sachsenklinik des MDR!
Er ist kantig, straight und nicht so weichgespült. Der war bei der Bundeswehr, hat einen Sohn verloren und ist ein sehr verschlossener Typ, der mit Gefühlen schwer umgehen kann, wenn er nicht gerade mit seinem Baby alleine ist.
Man möchte ihn manchmal schütteln. Der hat schon ein größeres Rad ab, oder?
Das ist wohl so. Aber so etwas erzählen zu dürfen, ist toll. Ich liebe sowieso mehr die antagonistischen Rollen. Auch am Theater habe ich nie Liebhaber gespielt: nicht Romeo, sondern Mercutio, nicht Christian, sondern Cyrano.
Ihr Kollege Thomas Rühmann hat über seinen Dr. Heilmann mal gesagt, mit dem würde er lieber kein Bier trinken gehen wollen.
Ich mit dem ehrlich gesagt auch nicht. Aber mit Kai schon. Mit ihm hätte ich einiges zu besprechen.
Das komplette Interview: otz.de „Jedermann“im Weimarhallenpark: 11. bis 13. und 18. bis 20. Juli, jeweils ab 20 Uhr. Karten bei der Tourist-Information Weimar. Mehr Infos auf: