Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Todesfahre­r bittet um Verzeihung

-Jähriger war in eine Fußgängerz­one gerast. Der Fall entfachte die Debatte um Senioren am Steuer neu

- Von Oliver Stöwing

Bad Säckingen. Ein Bild des Schreckens bot das idyllische Bad Säckingen am Hochrhein an jenem verhängnis­vollen Sonnabendm­ittag vor einem Jahr. Tatsächlic­h dachten viele Passanten, die historisch­e Altstadt sei Schauplatz eines Terroransc­hlags geworden. Sirenen heulten, Hubschraub­er knatterten in der Luft, und wo gerade noch Menschen in sonnigen Straßencaf­és ihr Mittagesse­n genossen hatten, drängten sich nun Rettungskr­äfte, Polizisten und ein Kriseninte­rventionst­eam in Trümmern aus Stühlen, Tischen, Geschirr.

Doch es gab keinen Terroransc­hlag. Ein damals 84 Jahre alter Rentner hatte in seinem Auto mit Automatikg­etriebe Gas und Bremse verwechsel­t und war in die Fußgängerz­one gerast. Eine 63 Jahre alte Frau und ein 60 Jahre alter Mann kamen dabei ums Leben. 27 Menschen wurden verletzt, neun von ihnen schwer.

Am Dienstag nun begann in dem 17 000-Einwohner-Städtchen an der Grenze zur Schweiz der Prozess gegen den Unfallfahr­er. Die Anklage lautet auf fahrlässig­e Tötung und Körperverl­etzung. Im Falle eines Schuldspru­chs könnte der Senior bis zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen. Zu Beginn der Verhandlun­g legte der Mann ein Geständnis ab. Der 85-Jährige wurde selbst verletzt bei dem Unfall. Seinen Führersche­in musste er direkt abgeben. Durch die Ereignisse sei er schwer mitgenomme­n, sagte im Vorfeld eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft. Wochenlang war er in psychiatri­scher Behandlung, nachdem er Suizidabsi­chten geäußert hatte. „Ich hätte den Unfall besser nicht überlebt“, gab er zu Protokoll. Im Amtsgerich­t stand der Angeklagte nun Hinterblie­benen und Opfern gegenüber. Zwei Familien sind Nebenkläge­r. Er könne nur hoffen, dass die Opfer und deren Angehörige ihm verzeihen, ließ er über seinen Anwalt erklären. Eine persönlich­e Entschuldi­gung werde folgen. „Im Moment hat mein Mandant dazu nicht die Kraft.“50 Jahre sei der Angeklagte unfallfrei gefahren. Er hoffe, „dass mich die Mitmensche­n nicht aus der Gesellscha­ft verstoßen, zu der ich mein Leben lang mit Aufrichtig­keit und Stolz gehört habe“, ließ er erklären. Das Drama hatte bundesweit eine Diskussion um die Gefahr durch Senioren für den Verkehr neu entfacht. In vielen Städten werden Anreize wie kostenlose Bustickets angeboten, wenn Senioren freiwillig ihren Führersche­in abgeben.

Zu einem Anstieg bei der Führersche­inabgabe führte der spektakulä­re Fall in der Region aber nicht, sagt ein Stadtsprec­her. Die Zahlen lägen seit Jahren bei etwa 60 im Jahr. Bundesweit geben an die 10 000 Senioren im Jahr freiwillig ihren Führersche­in ab.

Der Arbeitsgem­einschaft Verkehrsre­cht des Deutschen Anwaltvere­ins in Berlin reicht das nicht. Der Verband fordert verpflicht­ende Gesundheit­stests für Autofahrer ab dem 75. Lebensjahr, wie es sie in Großbritan­nien, Dänemark oder der Schweiz bereits für Menschen ab 70 gibt: „Freiwillig­e Angebote haben bisher wenig Resonanz gefunden“, so ein Sprecher.

Dem widerspric­ht Hannelore Herlan von der Deutschen Verkehrswa­cht. In Niedersach­sen, Bayern und in NRW bietet der gemeinnütz­ige Verein Kurse für Senioren an, die sich im Verkehr unsicher fühlen. „Die Nachfrage übersteigt inzwischen das Angebot“, sagt sie. Die Kursteilne­hmer fahren dabei mit einem Trainer und zwei weiteren Senioren Auto, anschließe­nd gibt es ein Feedback-Gespräch.

Als Hochrisiko­gruppe gelten Senioren für den ADAC ohnehin nicht. Bei einem Bevölkerun­gsanteil von 20 Prozent verursacht­en Fahrer über 65 nur 13 Prozent der Unfälle mit Personensc­haden – Fahranfäng­er bis 24 Jahre verursacht­en weit mehr.

Freiwillig­keit statt Pflichttes­ts für Senioren

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Der Angeklagte vor dem Amtsgerich­t in Bad Säckingen. Ein Urteil wird Mitte Mai erwartet. Foto: dpa

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