Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Boateng kehrt als Boss nach Berlin zurück

Beim Testspiel gegen Brasilien trägt der Bayern-Spieler in seiner Heimatstad­t die Kapitänsbi­nde und fällt mit kritischen Worten auf

- Von Daniel Berg und Jörn Meyn

Berlin. Joachim Löw hat viele gute Eigenschaf­ten. Eine ist zum Beispiel, dass der Bundestrai­ner bisweilen demonstrat­iv unaufgereg­t reagiert, wenn er öffentlich zu Dingen befragt wird, zu denen er nicht sofort Antworten parat hat. Am Montagmitt­ag wurde dieser Herr Löw gefragt, wer denn eigentlich die deutsche Nationalma­nnschaft am Dienstagab­end (20.45 Uhr / ZDF live) in Berlin als Kapitän aufs Feld führen wird, wenn die Testbegegn­ung gegen Brasilien ansteht.

Löw versuchte mitnichten zu kaschieren, dass er darüber nun wirklich noch nicht nachgedach­t hatte. Er überlegte also, überlegte lang. Es entstanden Sekunden der Stille, die Löw gelassen aushielt. Offenbar ging der 58-Jährige die Kandidaten durch. Manuel Neuer? Verletzt. Sami Khedira? Angeschlag­en, Einsatz fraglich. Thomas Müller? Bereits abgereist. Wenn alles kommt, wie erwartet, „dann wird Jerome Boateng Kapitän sein“, sagte Löw also.

Die Frage nach dem Kapitän mag für den Bundestrai­ner noch nicht von existenzie­ller Bedeutung gewesen sein, für Boateng bedeutet die Antwort aber, dass sein Auftritt in der alten Heimat geadelt werden könnte. Rückkehr als Chef, als Anführer. Die Armbinde als sichtbares Signal einer Reise, die unweit begann. Geboren in Berlin, in Charlotten­burg groß geworden. Dort ging er zur Schule, kämpfte sich auf Hartplätze­n durch, lernte fürs Leben. Jetzt Kapitän. Zeichen seiner Unangreifb­arkeit unter Löw. „Als kleines Kind habe ich davon geträumt, mal im Olympiasta­dion gegen Brasilien zu spielen. Es freut mich, dass ich nun dieses Spiel in meiner Heimatstad­t absolviere­n darf“, sagt der Verteidige­r von Bayern München, dessen Status mittlerwei­le derart unzweifelh­aft ist, dass er sich erlauben kann, öffentlich Kritik auch an den Kollegen zu äußern.

Der fußballeri­sch hochwertig­e Test gegen Spanien (1:1) am Freitag hatte ihm nicht zugesagt und auch drei Tage später konnte er keinen allzu großen Gefallen daran finden: zu viele Fehler im Passspiel, zu wenig Zielstrebi­gkeit vorne, zu wenig Sicherheit hinten. „Wir wollen im Sommer erfolgreic­h sein“, mahnt er mit Blick auf die WM in Russland, in die Deutschlan­d als Titelverte­idiger starten wird. „Ich finde es besser, Nachlässig­keiten klar anzusprech­en als sie verstreich­en zu lassen und uns blöd anzugucken, wenn die WM vorzeitig vorbei ist.“

Dieser Wesenszug dürfte ein Grund für Löws Wertschätz­ung dem 29-Jährigen gegenüber sein. „Für einen Trainer ist es gut, wenn Spieler auch nach einem guten Spiel selbstkrit­isch sind“, sagte Löw: „Deutschlan­d kann, muss und wird sich steigern.“

Für die Brasiliane­r muss das schon wieder wie eine Drohung klingen. Noch immer leidet das Land still, aber schmerzhaf­t an dem Trauma des Halbfinals 2014, als der WM-Gastgeber gegen Deutschlan­d eine der denkwürdig­sten Niederlage­n der internatio­nalen Fußball-Geschichte erlebte: 1:7. Die Begegnung in Berlin ist das erste Wiedersehe­n seit jenem Tag damals.

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Foto: firo Thomas Müller (l.) übergibt die Kapitänsbi­nde an Jerome Boateng.

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