Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Petry verteidigt rechte Aufmärsche

Die frühere AfD-Chefin Frauke Petry über die Krawalle von Chemnitz, Björn Höcke und ihre neue Blaue Partei

- Von Martin Debes ■ Eine ausführlic­here Fassung finden Sie unter: www.otz.de

Erfurt. Die frühere AfD-Bundesvors­itzende Frauke Petry hat die Aufmärsche in Chemnitz verteidigt. „Das Fatale bei der Diskussion über Chemnitz ist, dass Ursache und Wirkung verwechsel­t werden. Es gab ja eine Mordtat davor“, sagte sie. Keiner könne zwar gutheißen, wenn Menschen, „Ausländer oder nicht“, verfolgt oder angegriffe­n würden. „Aber es gibt auch das legitime Bedürfnis, eine so brutale Tat in einer Versammlun­g zu thematisie­ren“, so die Abgeordnet­e, die inzwischen der Blauen Partei angehört.

Erfurt. Frauke Petry (43) führte für mehrere Jahre die AfD. Nachdem sie 2015 den Machtkampf gegen ihren Co-Vorsitzend­en Bernd Lucke gewonnen hatte, war sie die klare Nummer 1. Doch ab 2016 entglitt ihr die Mehrheit in der Partei, nach der Bundestags­wahl trat sie zurück – und aus der AfD aus.

Stattdesse­n ist sie nun das Gesicht der Blauen Partei, die nur wenige Hundert Mitglieder bundesweit hat – und neben Petry einige frühere AfD-Abgeordnet­e im sächsische­n Landtag, im Bundestag und im EU-Parlament. Nun will sich die Partei auch in Thüringen gründen.

Frau Petry, in Chemnitz werden sogenannte Trauermärs­che veranstalt­et. Aus Sicht vieler Beobachter mischen sich hier Rechtsextr­eme und Bürgerlich­e zu einer Masse, die gefährlich ist. Was sagen Sie?

Ich sage: Chemnitz zeigt deutlich, in welcher verfahrene­n Lage wir unsere Gesellscha­ft manövriert haben. Wer da demonstrie­rt, ist schwierig auseinande­rzunehmen.

Es gibt Bilder, Videos, sie zeigen Neonazis, Hitlergrüß­e, Hooligans. Es gibt Berichte von Attacken, Hetzjagden . . .

. . . und es gibt Berichte, dass es die so nicht gab. Das Fatale bei der Diskussion über Chemnitz ist, dass Ursache und Wirkung verwechsel­t werden. Es gab ja eine Mordtat davor.

Das rechtferti­gt also einen wütigen Mob?

Nein. Keiner kann gutheißen, wenn Menschen, Ausländer oder nicht, verfolgt oder angegriffe­n werden. Aber es gibt auch das legitime Bedürfnis, eine so brutale Tat in einer Versammlun­g zu thematisie­ren. Was fehlt, ist die Dialogbere­itschaft. Keiner spricht mehr mit dem anderen.

Welchen Dialog wollen Sie denn mit Neonazis führen? Wenn wir in der Gesellscha­ft nicht mehr bereit sind, mit allen Gruppen einen Dialog zu führen, dann steht meiner Meinung die Demokratie wirklich auf dem Spiel. Was wir brauchen, ist ein runder Tisch, an den müssen alle Gruppen ran, die eine Stimme haben wollen, auch von ganz links und ganz rechts. Wir müssen diese furchtbare Polarisier­ung in der Gesellscha­ft aufbrechen.

Und das sagt ausgerechn­et die vormalige AfD-Bundeschef­in Petry, die viel für diese Polarisier­ung getan hat? Haben Sie nicht aus einer rechtskons­ervativen Partei eine radikale Bewegung geformt?

Es stimmt, dass wir polarisier­t haben, aber es waren sachliche Provokatio­nen. Dabei ging es darum, als neue politische Kraft Aufmerksam­keit zu erlangen. Das haben wir beim Euro getan, und in der Folge auch beim Thema Migration. Auch ich habe mich an dieser sachlichen Provokatio­n beteiligt, aber als Vorstufe für eine vernünftig­e Diskussion und einen nachfolgen­den Kompromiss.

Das hat ja prima geklappt.

Wie man an der Entwicklun­g unserer ehemaligen Partei sieht, hat es letztlich nicht geklappt – aber auch deshalb, weil mit uns gar nicht geredet wurde. Wir wurden als politische Stimme von Beginn an ausgegrenz­t und persönlich stigmatisi­ert, obwohl einige Parteien viele unserer damaligen Positionen übernommen haben, vor allem in der Migrations­politik. Also frage ich zurück: Hat die AfD die Spaltung herbeigefü­hrt? Oder symbolisie­rt sie nicht eher eine Spaltung, die schon länger existiert?

Oder befördert sie die Spaltung?

Zugegeben, ist dies eine mögliche Folge von Provokatio­nen. Die AfD war dabei aber beileibe nicht allein. Aber die Frage steht doch: Zu welchem Zweck. Ich habe immer gesagt: Weil wir etwas gestalten, verändern wollen. Deshalb habe ich schon vor dem Bundestags­wahljahr 2017 versucht, von dem reinen Provokatio­nskurs auf einen konstrukti­ven Kurs umzuschwen­ken. Das heißt, ich wollte Lösungen anbieten, um in absehbarer Zeit mitregiere­n zu können. Dass das die Mehrheit anders sah, hat dann im Ergebnis zu meinem Austritt geführt. Sie haben einmal gesagt, der Austritt habe sich nach der Bundestags­wahl wie der Ausstieg aus einer Sekte angefühlt. Der frühere AfD-Vize Henkel hat sogar formuliert: Wir haben ein Monster geschaffen. Einverstan­den?

Monster wäre nicht meine Wortwahl, zu der Bezeichnun­g Sekte stehe ich. Dieser Sektenchar­akter hat sich seit meinem Austritt noch verstärkt. Die AfD verbarrika­diert sich und macht sich mit jeder noch so extremisti­schen Aussage gemein. Sie meinen Björn Höcke?

Ja, vor allem ihn, wobei er die Provokatio­nen inzwischen seinen Gefolgsleu­ten überlässt. Er führt inzwischen die Partei von hinten. Jörg Meuthen und Alexander Gauland brauchen ihn, um an der Macht zu bleiben. Sie sind Vorsitzend­e von Höckes Gnaden.

Das waren Sie als Vorsitzend­e doch auch.

Das ist falsch. Ich habe immer gegen ihn gekämpft, auch schon vor dem Abgang von Bernd Lucke im Sommer 2015. Später, nach seiner Rede in Dresden, habe ich seinen Parteiauss­chluss vorangetri­eben.

Das Verfahren ist eingestell­t worden. Dabei wurde in dem Ausschluss­antrag des Bundesvors­tandes Höcke sogar Nähe zu nationalso­zialistisc­hem Gedankengu­t unterstell­t. Ist er ein Neonazi?

Er gibt sich nationalis­tisch und sozialisti­sch und stellt alles, was er propagiert, unter ein monoethnis­ches Vorzeichen. Er verbreitet den Mythos eines blutsdeuts­chen Volkes. Diese gefährlich­e Ideologie führt direkt in die Unfreiheit. Insofern gibt es Parallelen zum Nationalso­zialismus.

Und weil Sie damit nichts mehr zu tun haben wollen, haben Sie eine neue Partei gegründet? Und eine Bewegung gleich noch dazu?

Die Bewegung Blaue Wende, oder das Bürgerforu­m, wie ich lieber dazu sage, ist die Basis. Die Partei brauchen wir, um bei Wahlen antreten zu können.

Und wer soll die wählen?

Die bürgerlich­en Wähler, denen die CDU zu links, die AfD zu rechts und die FDP zu undefinier­bar ist. Die meisten Wähler stimmen ja für die AfD aus Protest, sie sind noch beweglich. Noch. Je weniger die politische Mitte mit ihnen redet, desto mehr werden sie in die Arme der AfD getrieben. Wir als Blaue Partei verorten uns rechts in der Mitte, in der Lücke zwischen AfD und Union, als Angebot an konservati­ve Wähler, für die das Erbe von Strauß und Erhard noch etwas zählt.

Und diese Lücke ist groß genug?

Umfragen sehen für uns ein Potenzial in Sachsen von zehn Prozent, nach dem Ministerpr­äsidenten bin ich die zweitbekan­nteste Politikeri­n. Das reicht, um bei der sächsische­n Landtagswa­hl im nächsten Jahr Erfolg zu haben – und bei der Wahl in Thüringen auch. Wir sind dabei, hier einen Landesverb­and zu gründen, mit Jens Krautwurst an der Spitze.

Der noch kürzlich für die CDU zur Landratswa­hl in Nordthürin­gen antrat . . .

. . . und vor etwas längerer Zeit dem Präsidium der Thüringer Union angehörte. Er ist ein ausgezeich­neter Mann, den wir für unsere Partei und unser Bürgerforu­m gewinnen konnten.

Im Programm der Blauen Wende steht: Gegen die Islamisier­ung, für den Nationalst­aat, Rückkehr zu einer stabilen Währung, Kontrollen an deutschen Außengrenz­en, ausländisc­he Straftäter ausnahmslo­s abschieben. Was ist daran nicht AfD?

Sie lassen einiges weg. Wir sind langfristi­g gegen den Mindestloh­n, wir wollen Hartz IV so reformiere­n, dass alle, die arbeiten können, es auch tun und sich Arbeit in Deutschlan­d wieder lohnt.

Okay, dann sind sie eine neoliberal­e AfD.

Das stimmt nicht. Wir sind die einzige Partei, die Marktliber­alität und echten Konservati­smus miteinande­r verbindet. Gute Sozialpoli­tik hängt unmittelba­r mit guter Steuer- und Wirtschaft­spolitik zusammen. Deswegen treten wir für ein Grundeinko­mmen ein, wenn auch nicht als Ersatz für Arbeit. Und: Wir haben einen Gestaltung­sanspruch, wir sind keine Widerstand­sbewegung à la Höcke. Wir wollen regieren.

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Frauke Petry ist das Gesicht der Blauen Partei. Fotos (): Sascha Fromm

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