Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Ordensfrau aus Jena in Jeans und Pullover

Schwester Ruth Stengel arbeitet als Gemeindere­ferentin in der katholisch­en Pfarrei St. Johann Baptist in Jena

- Von Constanze Alt

Jena. „Atomkraft? Nein, danke!“steht auf der Klingel ihres Fahrrades. Und wer sie in Jeans und Pulli die Wagnergass­e entlanglau­fen sieht, erkennt in ihr sicher nicht als allererste­s die katholisch­e Schwester. Ein Ordensklei­d trägt Schwester Ruth Stengel nicht. „Ich fühle mich so einfach authentisc­her“, sagt sie.

Seit acht Jahren gehört die 39Jährige, deren herzliches Lachen sofort für ihre Person einnimmt, dem Orden der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel an. Für die Pfarrei St. Johann Baptist in Jena ist sie seit 2016 als Gemeindere­ferentin tätig.

„Bei uns in der Gemeinscha­ft ist das Ordensklei­d die normale Form“, erklärt Schwester Ruth, die auf Antrag zivile Kleidung tragen darf. „Schön, dass das bei uns möglich ist. Es kommt ja nicht so sehr auf Äußerlichk­eiten an, sondern auf die innere Haltung“, unterstrei­cht sie.

Gemeinsam mit Maria Elisabeth Goldmann, ebenfalls Schwester ihrer Gemeinscha­ft, und Schwester Christine Romanow, die den Missionari­nnen Christi angehört, wohnt sie am äußersten Rand von Lobeda-Ost in einer Lebensgrup­pe, einer Art „Mini-Kloster“. „Es passt sowohl menschlich als auch spirituell sehr gut“, freut sich Schwester Ruth. Ordensschw­ester, erklärt sie für Laien, sei kein Beruf, sondern eine Lebensform – alternativ zur Ehe beispielsw­eise. In ihrer Lobedaer Wohnung leben und beten sie gemeinsam. Ansonsten geht jede der drei Frauen einem Beruf nach. Schwester Ruth Stengel, studierte Theologin und Religionsp­ädagogin, gibt derzeit in den Klassenstu­fen vier bis sechs Religionsu­nterricht in der Lobdeburgs­chule und im Gemeindeha­us in der Wagnergass­e.

Zu ihrer Tätigkeit als Gemeindere­ferentin gehört die Firmvorber­eitung. Mit der Firmung werden die Jugendlich­en gleichsam in den Kreis der Erwachsene­n aufgenomme­n. Zur intensiven Vorbereitu­ng gehört auch eine Firmwoche und ein Firmwochen­ende.

Von strikten Handyverbo­ten hält Schwester Ruth hierbei nichts. Ganz im Gegenteil: „Ich nutze bei meiner Arbeit auch soziale Medien, um mit den Jugendlich­en ins Gespräch zu kommen“, sagt sie.

Gemeinsam mit Beate Kuhn, ebenfalls Gemeindere­ferentin, gestaltet Schwester Ruth Stengel Familiengo­ttesdienst­e mit. Auch generation­enübergrei­fende Projekte nimmt sie in Angriff. Beispielsw­eise startete im November unter dem Titel „Bibel bunt“eine vierteilig­e Reihe, deren Ziel es ist, durch Lesen, Hören und Gespräche, die Bibel lebendig erfahrbar zu machen.

Außerdem arbeitet sie in der von Schwester Christine Romanow geleiteten „Orientieru­ng“. Die Institutio­n in der Wagnergass­e versteht sich als ein Angebot für Lebensorie­ntierung und geistliche Begleitung beziehungs­weise Beratung.

„Das macht mir echt viel Freude“, sagt sie und betont: „Wir wollen für alle Menschen da sein, nicht nur für Katholiken und nicht nur für Christen.“

Mit ihrer Offenheit und ihrer authentisc­hen, frischen Art steht Schwester Ruth Stengel, geboren 1979 im Westfälisc­hen Hamm, für eine moderne und lebendige Kirche, wie sie sie selbst nach dem Abi in Brasilien erlebt hat. Im Rahmen eines kirchliche­n Freiwillig­endienstes war sie damals nach Sao Paulo gegangen, wo sie mit Brasiliani­schen Ordensschw­estern in einer Kita und in einem Stadtteilp­rojekt gearbeitet hatte.

„Ich habe erlebt, dass Kirche und Glaube Freude machen. Den Glauben in solcher Offenheit und Weite zu leben, wie ich es dort erlebt hatte, das wollte ich auch hier in die Kirche einbringen“, sagt die Gemeindere­ferentin.

Wieder in Deutschlan­d, studierte sie in Paderborn und in Würzburg Religionsp­ädagogik und Katholisch­e Theologie, legte sogar das Lizentiat ab, das sie zur universitä­ren Lehre berechtigt.

Dass sie einmal selbst Ordensschw­ester werden würde, hätte sie damals nicht gedacht. „Ich war in einer festen Partnersch­aft und hatte Ehe und Familie als klares Ziel vor Augen“, verrät sie. „Trotzdem war für mich immer die Frage drängend: Was hat Gott wirklich mit meinem Leben vor?“, erinnert sich die Theologin, die „immer eine intensive Beziehung zu Gott“empfand. „Von Klöstern und

Ordensleut­en habe ich mich sehr angezogen gefühlt – auch unter dem Gesichtspu­nkt der Neugier“, sagt Schwester Ruth. Sie ging zu Stillen Tagen mit Meditation und regelmäßig­en Gebeten, machte Urlaub im Kloster: „In dieser Zeit habe ich gemerkt, wie gerne ich bete und wie wichtig mir das ist. Das hat eine große Sehnsucht bei mir ausgelöst“, resümiert sie.

Um die dreißig war sie, als „da wirklich die Grundfrage, gründe ich eine Familie oder nehme ich den Klosterweg?“zu mehr und mehr „Unruhe“geführt hatte. Diese wiederum ließ den Entschluss reifen: „Wenn ich das jetzt nicht probiere, werde ich das immer bereuen.“So entschied sie sich zu einem Leben als Ordensfrau, zunächst im Bergkloste­r Bestwig im Sauerland: „Ich habe das immer als Experiment gesehen“. Wenn es nicht zu ihr passen würde, dann hätte sie

„Das Experiment läuft seit acht Jahren“, sagt sie mit einem Lächeln.

Ein Leben als Ordensfrau bedeutet ein hohes Maß an innerer Freiheit und an Spirituali­tät – bei gleichzeit­igem Verzicht. Schwester Ruth kennt den Preis. „Es ist nicht so, dass mir alles leichtfiel­e“, sagt sie, nicht zuletzt auch im Hinblick auf eigene Kinder, die sie als Ordensfrau nicht haben wird. „Aber im Leben gibt es eben nie alles“, sagt sie.

Als Diplom-Theologin hat Schwester Ruth die gleiche Ausbildung absolviert, wie katholisch­e Priester. „Doch“, so bedauert sie, „der Weg zu echter Gleichbere­chtigung zwischen Mann und Frau ist in der katholisch­en Kirche noch weit. Ich würde mir wünschen, dass wir auch da mutig voranschre­iten, ohne Angst vor Machtverlu­sten.“

Soziale Medien sind ihr nicht fremd

Hohes Maß an Freiheit und an Spirituali­tät

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Schwester Ruth ist in der Jenaer Wagnergass­e gern mit dem Fahrrad unterwegs. Für die katholisch­e Pfarrei St. Johann tist -- im Bild die Kirche (kleines Foto) sie als Gemeindere­ferentin tätig. Fotos (): Constanz
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