Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Kramp-Karrenbauer führt die CDU
Historischer Parteitag verläuft dramatisch: Friedrich Merz unterliegt Annegret Kramp-Karrenbauer in der Stichwahl mit zu Stimmen
Der Wechsel an der Spitze der CDU ist vollzogen. Annegret Kramp-Karrenbauer () wurde gestern von den Delegierten beim Parteitag in Hamburg denkbar knapp zur neuen Bundesvorsitzenden gewählt.
Gera/Hamburg. Auf die ehemalige Ministerpräsidentin des Saarlands entfielen im zweiten Wahlgang knapp 52 Prozent der Stimmen. Für ihren Konkurrenten Friedrich Merz (63) votierten 48 Prozent – ein Unterschied von nur 35 Stimmen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schaffte es nicht in die Stichwahl. Der 38-Jährige landete erzielte im ersten Wahlgang mit 16 Prozent einen Achtungserfolg. Kanzlerin Angela Merkel (64) war nach 18 Jahren an der Partespitze nicht mehr angetreten.
Die Thüringer Delegierten haben die Wahl von Kramp-Karrenbauer überwiegend begrüßt.
Manfred Grund, Landesgruppenchef der Thüringer CDU-Abgeordneten im Bundestag, nennt das Ergebnis „für die Gesamt-CDU akzeptabel“. Der Eichsfelder Grund formuliert im Gespräch mit dieser Zeitung direkt einen Auftrag an die neue Bundesvorsitzende für den heutigen Samstag: „Ich hoffe, dass sie einen jungen Ostdeutschen als Generalsekretär vorschlägt.“ Wen er dabei im Kopf hat, das lässt er offen. Möglicherweise denkt er an den Ostbeauftragten der Bundesregierung, den Thüringer Christian Hirte.
Mario Voigt, Landtagsabgeordneter aus Ostthüringen , hat Kramp-Karrenbauer gewählt und freut sich: „Sie ist eine kluge, volksnahe und erfahrene Vorsitzende, die mit Mut und neuen Akzenten die CDU zu neuer Stärke führen wird.“
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Antje Tillmann hat die Wahl euphorisch aufgenommen. Kramp-Karrenbauer habe mit ihrer Rede die Partei mitgerissen. Tillmann lobt Merz und Spahn für die Ankündigung, an entscheidender Stelle in der CDU mitzuarbeiten. „Denn Partei bleibt Teamarbeit.“
CDU-Landeschef Mike Mohring nennt den Parteitag ein „Fest der Demokratie“. KrampKarrenbauer traut er eigene Akzente zu. „Sie hat eine klare Sprache gefunden. Sie kann Landes- und Bundespolitik.“Mohring wurde von den Delegierten erstmals in das Unionspräsidium gewählt. Zuvor gehörte er dem größeren Bundesvorstand an, in den erneut Dagmar Schipanski gewählt wurde.
Christian Hirte, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, will nicht verraten, wen er gewählt hat und sagt: „Dass es so knapp war, zeigt die Breite einer Volkspartei.“Kramp-Karrenbauer werde eigene Akzente setzen. Der Vizevorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Michael Heym, sagt, er habe zweimal Merz gewählt.
„Es ist ein großartiges Ergebnis“, freut sich die Ex-Landtagsabgeordnete Marion Walsmann, die 2019 für das Europaparlament kandidiert. Walsmann hat Kramp-Karrenbauer gewählt. Die habe deutlich gemacht, sie stehe nicht für ein Weiter so, sondern habe ihren eigenen Stil. Thüringens SPDChef Wolfgang Tiefensee sieht in der Wahl Kramp-Karrenbauers ein „positives Signal“.
Hamburg. Die CDU ohne Merkel, das war fast zwei Jahrzehnte unvorstellbar. Viele in der Welt und Europa schauten am Freitag auf Hamburg. Nach einem dramatischen Parteitag kam es zum Fotofinish. Die 1000 Delegierten entschieden sich in einer Stichwahl mit 517:482 Stimmen für Annegret Kramp-Karrenbauer und gegen Friedrich Merz. So lief die Zeitenwende in der CDU ab.
10.38 Uhr: Bevor Merkel zur Eröffnung ein Wort sagen kann, springen die meisten der 1000 Delegierten (nur einer fehlte) auf, applaudieren ihrer 18-JahreChefin. „Danke, Chefin“-Schilder gehen in die Luft. Merkel wehrt die Begeisterungsstürme lächelnd ab: „Wir haben heute viel vor.“Die in Hamburg geborene, in der DDR aufgewachsene Pfarrerstochter preist den Gottesdienst am Morgen im Michel, der Kraft für „diesen ganz besonderen Parteitag“der CDU gegeben habe.
13.51 Uhr: Endlich kommt Tagesordnungspunkt 16. Die Wahl der CDU-Spitze. Annegret Kramp-Karrenbauer, im schwarz-weiß gemusterten Blazer, legt mit belegter Stimme los. Sie sei 1981 in die CDU eingetreten, als manche Angst vor dem Ende der Welt nach einem Atomschlag verbreitet hätten. Die CDU habe sie fasziniert, weil sie „nicht den Schwarzmalern hintergelaufen ist“. Ihre Augen suchen immer wieder mal das Manuskript. AKK hebt das Christliche hervor: „Das C ist der Leitstern.“Doch noch strahlt die Saarländerin nicht, der gewaltige Druck ist ihr anzumerken. Im Lauf der Rede wird sie sicherer, persönlicher. Wie Merkel habe sie 18 Jahre CDU und Land gedient – nur eben an Die neue CDU-Chefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, über die unterlegenen Friedrich Merz und Jens Spahn
der Saar als Ministerin und Landesfürstin. „Ich stehe hier, wie ich bin und wie mich das Leben geformt hat.“Als dreifache Mutter wisse sie, wie schwierig Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen seien. Sie mahnt, die CDU dürfe nicht in Lager zerfallen. Die Partei müsse mutig sein, die Komfortzone verlassen, nicht ängstlich nach rechts und links schauen. In Europa sei die CDU unter den konservativen Parteien „das letzte Einhorn“. Eine Attacke reitet sie gegen Merz: Bei Führung komme es auf „innere Stärke“und „weniger auf äußere Lautstärke“an. Aber sie ist auch versöhnlich: „Keiner der drei Kandidaten wird der Untergang für diese Partei sein.“AKK endet selbstbewusst, frei nach Julius Cäsar: „Wir können das, wir wollen das, wir werden das.“Sie hätte auch dreimal Ich sagen können.
14.15 Uhr:Friedrich Merz ist dran. AKK hat die Latte hochgelegt. Zu hoch? Seine konservativen Anhänger erwarten ein Feuerwerk. Merz hat Probleme, die Lunte zu zünden. In den ersten zwölf Minuten merkt man dem Sauerländer an, dass er zehn Jahre raus aus der Politik war. Er redet abgehackt. Wo ist der coole Merz aus den acht Regionalkonferenzen geblieben? Er klebt am Manuskript. Erst als er den Aufstieg der AfD anspricht, kommt Merz in Fahrt. Merkels CDU hatte er ja vorgeworfen, den AfD-Durchmarsch in Bundestag und alle 16 Landtage „achselzuckend“in Kauf genommen zu haben. Das regte viele in der Partei auf. Niemand bestreite den guten Willen, sagt Merz nun, die an die AfD verlorenen Wähler zurückzuholen. „Aber es gelingt uns nicht.“Dass die AfD sich breitgemacht habe, sei für ihn unerträglich. SPD, Grüne und SPD blieben die Hauptgegner. Trotz Koalition „unterscheidet uns unverändert vieles von dieser SPD“. Da muss sogar Merkel ihrem alten Rivalen applaudieren, der sich mit Wolfgang Schäuble gegen sie verschworen hat. Klassenkampf mit der Wirtschaft, einen Staat, der über alles und jeden seine schützende Hand halte? „Das wollen wir nicht“, sagt Einkommensmillionär Merz. Balsam streicht er bei Flüchtlingen und Migration auf die geschundene wertkonservative Seele der Partei. Der Nationalstaat sei nicht überholt, er vermittele Identität und Heimatgefühl. Deutschland sei weltoffen, tolerant und hilfsbereit: „Aber es gibt auch Grenzen unserer Möglichkeiten.“Da hört sich Merz wie Altbundespräsident Joachim Gauck an. Aber Merz und Merkel, würde das gehen? Sie hatte ihn 2002 als Fraktionschef in die Wüste geschickt.
14.50 Uhr: Jens Spahn ist die größte Überraschung. In Umfragen weit abgeschlagen, tritt er sympathisch und klug auf. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, ein bequemer Parteivorsitzender zu sein“, kündigt der Gesundheitsminister an. „Ich bin, wie ich bin. Ich werde auch in Zukunft manche Debatte anstoßen, wo dann morgen der Nachbar Sie anspricht: Was ist denn das nun wieder?“ 15.39 Uhr: Der erste Wahlgang beginnt, die Spannung in der Halle ist zu greifen. Die Delegierten bauen ihre mobilen Wahlkabinen aus Pappe auf, damit niemand spicken kann.
16.11 Uhr: Der Kieler Regierungschef Daniel Günther verkündet das Ergebnis. AKK liegt mit 45 Prozent vorne (450 Stimmen), Merz kommt auf 39,2 Prozent (392), Spahn auf 15,7 Prozent (157). Stichwahl AKK gegen Merz!
16.56 Uhr: Günther liest vom alles entscheidenden Zettel vor. Merz, 482 Stimmen. Die AKKFans springen auf, „Annegret“-Sprechchöre. Sie holt 517 Stimmen und genug Leute aus dem Spahn-Lager.
16.58 Uhr: Kramp-Karrenbauer ist überwältigt, wischt sich Tränen der Freude und Rührung aus den Augen. Sie hat es geschafft, nimmt die Wahl natürlich an. Sofort eilt sie zu Merz, umarmt ihn, ebenso Spahn. Dann herzt Merkel sie. AKK bietet den Verlierern Merz und Spahn an, im Team mit ihr an der neuen CDU zu bauen. Sie ist momentan nur eine 50-ProzentVorsitzende. Wichtigste Aufgabe für AKK bis zur Europawahl im Mai: die Spaltung der CDU schnell überwinden. „Ich würde mich sehr freuen, wenn sowohl Jens Spahn als auch Friedrich Merz gemeinsam an dieser Aufgabe mitarbeiten. Das ist das, was die Mitglieder erwarten, und für beide ist ein Platz in dieser Partei.“
17.05 Uhr: Merz zeigt Größe in der Niederlage. „Liebe Annegret, herzlichen Glückwunsch zu deiner Wahl.“Er wünsche ihr Erfolg und Gottes Segen auf dem Weg, „den du jetzt vor dir hast“. Er selbst wolle mithelfen bei der Erneuerung der CDU. Merz ruft dann zwar die Delegierten auf, Spahn erneut ins CDU-Präsidium zu wählen. Auffällig aber ist, dass Merz selbst keine Kandidatur für einen Posten als Partei-Vize oder im Präsidium ankündigt. In der CDU rechnen viele damit, dass Merz sich absehbar wieder verstärkt um seine Wirtschaftskontakte kümmert.
„Für beide ist ein Platz in dieser Partei. “
17.11 Uhr: Spahn nimmt das Angebot der neuen Chefin AKK sofort an. „Wir sind ja so ein bisschen wie eine Rockband gemeinsam durch Deutschland getourt“, sagt er über die Roadshow bei den Regionalkonferenzen. „Es hat echt Spaß gemacht.“
20.51 Uhr: Wolfgang Schäuble, der große Verlierer von Hamburg, versucht, seinen Angriff auf Merkel zu kaschieren. Sein Mann Merz hat es nicht geschafft. Er habe AKK gratuliert: „Ich bin ein guter Demokrat!“