Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Tierschutz
Aber nicht nur kulturgeschichtlich spielt die Brieftaube seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland eine wichtige Rolle. Auch Wissenschaftler interessieren sich für die Tiere, die bereits in der Antike für Botenflüge eingesetzt wurden. Denn die alles entscheidende Frage ist bis heute nicht beantwortet: Wie findet die Brieftaube ihren Weg nach Hause? Woher wusste G. I. Joe, wohin er fliegen musste?
Diese Frage treibt auch Professor Hans-Peter Lipp seit Jahrzehnten um: „Jeder hat seine eigene Meinung zu dem Thema. Aber das Rätsel ist bis heute nicht gelöst.“Lipp leitete bis Mitte der 90er-Jahre den militärischen Brieftaubendienst der Schweiz. Später suchte er an der Universität Zürich nach einer Lösung des Rätsels und wurde dabei Anhänger einer Theorie, die bis heute nur wenige Unterstützer hat.
Wie die Brieftaube sich während ihres Fluges orientiert, wie also ihr Kompass funktioniert, ist recht gut erforscht. Sonnenstand, die Stärke des Erdmagnetfeldes aber auch topografische Tierschützer kritisieren das Brieftaubenwesen seit Langem. Ein Kritikpunkt ist die unzureichende Vorbereitung der Tiere auf Wettflüge. Es gebe keine Verpflichtung für Trainingsflüge, sagt der Deutsche Tierschutzbund. Das sei korrekt, bestätigt Horst Menzel vom Verband
Strukturen wie Flüsse, Berge oder Städte helfen den Vögeln, ihre Richtung zu halten. Sie mögen Autobahnen, sie meiden geschlossene Waldgebiete. Taubenzüchter Horst Menzel sagt: „Tauben sind Opportunisten. Sie orientieren sich eben an dem, was sie finden können: der Deutschen Brieftaubenzüchter. Jedoch würden sich so gut wie alle Züchter im Verband daran halten. „Schwarze Schafe gibt es trotzdem“, sagt Menzel. „Wir haben den Tierschutzbund deswegen gebeten, uns etwaige Verstöße zu melden.“Das geschehe jedoch kaum.
Sonne, Sterne, Landschaft.“Woher die Taube beim Start aber weiß, wo sie sich selbst im Verhältnis zu ihrem Zuhause befindet, und wie sie entsprechend die Richtung zu ihrem Ziel bestimmt, das ist bis heute ungeklärt. Diesen sogenannten Kartensinn hat sie selbst dann, wenn sie unter Narkose an einen ihr unbekannten Ort verfrachtet worden ist.
Zwei Haupttheorien zum sogenannten Heimfindevermögen gibt es: Die eine geht davon aus, dass Tauben ihre Position anhand geomagnetischer Informationen bestimmen. „Damit kann sie aber nur ihre Position auf der Nord-Süd-Achse bestimmen“, sagt Lipp. Bei der Festlegung der Ost-West-Position hätte die Taube aber Probleme.
Die zweite Theorie sieht einen Zusammenhang mit dem Geruchssinn der Tiere. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Brieftauben große Schwierigkeiten mit der Orientierung haben, wenn man diesen Sinn ausschaltet. „Die Grundidee ist, dass es in der Atmosphäre Konzentrationen von Geruchsstoffen gibt, die die Tauben wahrnehmen. Die vergleichen sie mit dem Geruchsmuster von Zuhause und bestimmen so ihre Heimkehrrichtung“, erklärt Lipp. Doch auch hier ist er skeptisch. Denn diese Geruchsmuster würden sich ständig verändern.
Er selbst findet eine dritte Theorie reizvoll, die der ukrainische Physiker Valerii Kanevskyi aufgestellt hat. Der habe gesagt, das sei alles ganz einfach: Die Taube wird per Geburt auf einen Gravitationspunkt gepolt. „Tauben könnten also ein System besitzen, mit dem sie sich die Richtung der Schwerkraft an ihrem Geburtsort in den ersten Lebenswochen einprägen“, sagt Lipp. Mithilfe dieses Systems könnten die Tauben dann aus jeder Position die Richtung und die Distanz nach Hause bestimmen.
Wie sich seine 80 Tauben orientieren, weiß auch Horst Menzel nicht. Aber diese Fähigkeit, den heimischen Schlag scheinbar mühelos wiederzufinden, Menzel und Lipp kennen die Argumente der Tierschützer seit einigen Jahrzehnten. „Es wird sehr viel Lärm darum gemacht, dass so viele Tauben verloren gehen“, sagt Lipp. Dabei hätten Untersuchungen gezeigt, dass die Gründe für ein Fernbleiben der Vögel Angriffe durch Greifvögel seien, oder „die Tauben lassen sich woanders nieder, zum Beispiel um einen Schlafplatz zu suchen“, sagt der Biologe. „Die Taube ist nicht auf Gedeih und Verderb an ihren Schlag gebunden.“Nach fünf bis sieben Tagen schwinde ihre Heimkehrmotivation.
Horst Menzel sagt, er und sein Verband hätten schon viele Gespräche mit Tierschützern geführt und in den letzten Jahren einiges verändert: Die Reisen zu den Distanzflügen fänden in speziellen Wagen statt, klimatisiert und mit ausreichend Platz für jede Taube.
Die Witterungsbedingungen würden vorher von einem meteorologischen Dienst genau geprüft. Dennoch sei es schwierig junge Menschen noch für das Brieftaubenwesen zu begeistern. „Wir sind überaltert. Unser Image ist altbacken“, sagt der Züchter. Dabei könne von altbacken überhaupt keine Rede sein, findet Menzel. Es sei die Beschäftigung mit einem faszinierenden Tier.