Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Bulgariens schlafende Schöne
Bühne frei für eine der ältesten Städte des Kontinents: Plowdiw wird 2019 Kulturhauptstadt Europas. Hier trifft man Lokalpatrioten, Musiker und Künstler an jeder Straßenecke
Wenn im Frühling die Bäume grünen, wird sich wieder dichtes Blattwerk vor die maroden Betonkästen legen und die Tristesse verdecken, die im Winter herrscht. Plowdiw, im Süden Bulgariens, unterscheidet sich an seinen Rändern wenig von anderen sozialistischen Einheitsstädten: Wohnsilos, Paradestraßen, Monumentalplastik. Im Inneren erweist es sich als eine der ältesten Städte Europas, älter als Athen und Rom. Einst gehörte Plowdiw zum Thrakerreich, 2019 wird es neben dem italienischen Matera Kulturhauptstadt Europas sein.
Dafür hat sich Kapana, das alte Handwerkerviertel im Herzen der Stadt, ganz besonders in Schale geworfen: Die grauen Fassaden schminkt Graffitikünstler Stern mit salonfähiger Street Art, freundlich fauchenden Krokodilen und anderen neckischen Monstern. Eine warme Herbstsonne blinzelt durch dürre Äste, taucht die bröckelnden Wände nachsichtig in sanftes Licht.
Mittendrin sitzt Temenuzhka mit ihren Freunden vor ihrem Laden. „Ich hoffe, dass die Kulturhauptstadt uns viele Kunden bringt“, sagt sie und blickt auf den Zierrat in ihrem Schaufenster. Aus gerollten und geleimten Prospektstreifen gestaltet sie Katzen, Schmuck und Lampenschirme, ökologisch nachhaltigen Nippes. Bis vor wenigen Jahren war das historische Quartier Kapana aufgegeben, dann möbelte die Kommune es auf, als Bindeglied zwischen Altstadt und zentraler Einkaufszone. In den Erdgeschossen hat sich seither eine bunte Vielfalt an Kleingewerbe angesiedelt.
Unter Glasböden erstreckt sich das Plowdiw der alten Römer
Einen kleinen Spaziergang weiter Richtung Innenstadt steht Kristofer Kem in einer der längsten Fußgängerzonen Europas. Schwarzes Sakko, rote Schleife, wilde Mähne. Er spielt ein selbst arrangiertes Capriccio auf seiner Geige, dahinter steht in großen, bunten Buchstaben das Motto der künftigen Kulturhauptstadt Europas: „Plovdiv together 2019“. Die bezaubernd schräge Melodie mischt sich mit dem Rauschen einer 50 Meter langen Wasserkaskade, die extra für das große Ereignis angelegt wurde. Dabei steht Kristofer auf historischem Grund.
Unter der lebhaften Fußgängerzone mit ihren Seifengeschäften, Schuhsalons und erstaunlich wenigen Ablegern großer Ladenketten verbirgt sich das 180 Meter lange römische Stadion aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. In vielen Geschäften ist es durch Glasböden hindurch sichtbar. Wo sich das Minarett der osmanischen Dschumaja-Moschee in die Höhe streckt, klettert man in die freigelegten unterirdischen Ränge. Die Reste römischer Monumentalbauten sowie christliche, jüdische und muslimische Gotteshäuser erzählen die Geschichte der uralten, auf drei Hügeln erbauten Messestadt, die heute mit etwa 330.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Bulgariens ist.
Über allem thront die „schlafende Schönheit“, wie der Volksmund die museale Altstadt nennt. Vorbei an pittoresken Hotels, deren Empfangshallen plüschigen Salons gleichen, gelangt man zu den bunten Trutzvillen der Händlerfamilien, deren bekannteste das BalabanovHaus ist. Hinter dicken Mauern wispern Brunnen, führen idyllische Gärten zu prunkvollen Anwesen.
Von hier ist es nur ein Steinwurf zum römischen Theater. Mit seinen einst 7000 Sitzen und der Aussicht auf den Gebirgszug der Rhodopen dient es als Kulisse für Festivals. Doch für die erfolgreiche Bewerbung Plowdiws als Kulturhauptstadt waren nicht allein die historischen Stätten entscheidend: Die Präsentationsmappe verzeichnete viele aktuelle, auch soziale Projekte. Große Hoffnung hatte man sich nicht gemacht, im Rennen gegen die Hauptstadt Sofia. Umso größer war die Euphorie.
Unter dem Motto „Plovdiv together 2019“geht es ins Festjahr. Viele der großen Pläne sind zum jetzigen Zeitpunkt noch Träume – wie die Sanierung des Kinos Kosmos, eines modernistischen Filmpalasts von Anfang der 1960er-Jahre. „Dort sahen viele ihren ersten ausländischen Film “, erzählt Svetlana Kuyumdzhieva. Sie ist die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt. Noch gleicht der Saal, den eine elegant geschwungene Treppe mit dem Foyer verbindet, einer abrissreifen Betonruine. Bis zum Beginn des Festjahres sollte hier eigentlich ein Kulturzentrum mit Bibliothek und Mehrzweckhalle entstehen.