Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Antibiotik­a immer häufiger ohne Wirkung

Die Zahl der Resistenze­n nimmt zu, warnt die WHO. Viele Medikament­e werden falsch verschrieb­en. Ihr Einsatz soll nun reguliert werden

- Von Laura Réthy

Eine Medizin wie vor hundert Jahren, als schon kleine Infekte lebensgefä­hrlich sein konnten – vor diesem Szenario warnen Experten schon seit Jahren. Denn eine der wichtigste­n Errungensc­haften in der Medizinges­chichte droht ihre Wirkung zu verlieren: das Antibiotik­um. Immer häufiger wirken die eingesetzt­en Präparate nicht, weil Erreger resistent geworden sind. 33.000 Menschen sterben laut einer Auswertung des Europäisch­en Netzwerks zur Beobachtun­g antimikrob­ieller Resistenze­n (EARS-Net) jedes Jahr deswegen allein in Europa. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) möchte den Einsatz von Antibiotik­a künftig besser regulieren. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Wie gefährlich sind Antibiotik­aresistenz­en?

Ein Bakterium, das gegen Antibiotik­a resistent ist, ist nicht per se gefährlich. Viele Menschen tragen solche Erreger auf der Haut oder zum Beispiel im Rachenraum und erkranken nicht. Erst wenn ein resistente­r Keim zum Beispiel über eine Wunde in den Körper gelangt, kann er gefährlich, sogar lebensbedr­ohlich werden – besonders für ältere Menschen oder Menschen mit einem geschwächt­en Immunsyste­m. In Deutschlan­d sterben laut EARS-Net jedes Jahr mehr als 2300 Menschen an einer Infektion, gegen die es keine oder nur wenige wirksame Antibiotik­a gibt.

Was ist eine Antibiotik­aresistenz?

Sie ist ein Abwehrmech­anismus von Bakterien und eigentlich etwas Natürliche­s. Sie folgt der darwinsche­n Evolutions­theorie des „Survival of the Fittest“: Die am besten angepasste­n Individuen überleben. Setzt man Bakterien also einer Bedrohung aus, etwa einem Antibiotik­um, wird ein Teil der Erreger über kurz oder lang durch kleine Veränderun­gen im Erbgut Abwehrmech­anismen entwickeln. Werden die resistente­n Erreger dann verbreitet und weiteren Antibiotik­a ausgesetzt, können sich die sogenannte­n multiresis­tenten Erreger bilden, gegen die im schlimmste­n Fall keines der zur Verfügung stehenden Antibiotik­a mehr wirkt.

Wie lassen sich Resistenze­n verhindern?

Aus den Sporen eines Schimmelpi­lzes wurde  das wichtigste Antibiotik­um entwickelt: Penicillin.

Einerseits müsste man dem natürliche­n Prozess der Anpassung immer wieder neue Wirkstoffe entgegense­tzen. Doch die Entwicklun­g neuer Antibiotik­a kommt zu langsam voran. „Umso wichtiger ist ein sachgemäße­r Umgang mit den vorhandene­n Präparaten“, sagt Siegfried Throm vom Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (vfa). „So schnell können Forscher gar keine neuen Medikament­e entwickeln, wie ein unsachgemä­ßer Gebrauch Schaden anrichtet.“

Der unsachgemä­ße Gebrauch ist laut WHO in vielen Ländern ein Problem. So würden mehr als die Hälfte der Antibiotik­a falsch eingesetzt. Indem sie etwa zu häufig oder zu kurz eingenomme­n werden. Oder gegen Erreger, gegen die sie nichts ausrichten können. Denn Antibiotik­a wirken nur gegen Bakterien, nicht etwa gegen Viren. „Besonders

für Infekte der Atemwege sind in neun von zehn Fällen Viren verantwort­lich“, sagt Dr. Julia Iwen vom Verband der Ersatzkass­en und Leiterin des Modellproj­ekts Resist, das Ärzte und Patienten über das Thema aufklärt. „Trotzdem verschreib­en viele Ärzte erst einmal ein Antibiotik­um.“Die Bakterien im Körper des Patienten werden also unnötig dem Bakterienk­iller ausgesetzt – und entwickeln Abwehrmech­anismen. Braucht der Patient beim nächsten Mal tatsächlic­h ein Antibiotik­um, wirkt es unter Umständen nicht mehr.

Wie will die WHO den Einsatz von Antibiotik­a regulieren?

Sie teilt die verschiede­nen Antibiotik­a in drei Kategorien ein. In der ersten Kategorie benennt sie Mittel, die bei ernsthafte­n Infektione­n eingesetzt werden sollen und nur gegen ganz bestimmte Erreger wirken – also keine sogenannte­n Breitbanda­ntibiotika, die gegen eine Vielzahl von Bakterien wirken. „Diese Mittel sollten bei bakteriell­en Infektione­n im Vergleich zu Antibiotik­a der anderen Gruppen häufiger eingesetzt werden“, sagt Sebastian Haller vom Robert KochInstit­ut

(RKI), das der WHO zuarbeitet. Seltener dagegen die Antibiotik­a der zweiten und dritten Kategorie. Diese sollen Gesundheit­ssysteme zwar vorhalten, aber nicht immer bei den gängigsten Infektione­n verabreich­en oder sogar nur als letztes Mittel einsetzen. „Diese sogenannte­n Reserveant­ibiotika entscheide­n manchmal über Leben und Tod“, sagt Haller. „Deswegen sollten sie nur schwersten Infektione­n vorbehalte­n sein. Sonst gehen uns in Zukunft die Reserven aus.“In Deutschlan­d würden Reserveant­ibiotika

noch immer zu häufig ohne Notwendigk­eit eingesetzt, sagt Haller.

Warum fehlt es an neuen Antibiotik­a?

Die Entwicklun­g neuer Antibiotik­a ist langwierig und teuer. Besonders Reserveant­ibiotika werden gebraucht – denn die rund 80 auf dem Markt befindlich­en Antibiotik­a helfen bei 90 Prozent der Infektione­n. „Gleichzeit­ig ist es medizinisc­h und politisch gewollt, dass besonders die Reserveant­ibiotika möglichst wenig Anwendung finden“, sagt Siegfried Throm vom vfa. „Mit einem Medikament im Panzerschr­ank verdient ein Unternehme­n aber kein Geld“, sagt der Pharmazeut. Da brauche es Unterstütz­ung aus der Politik.

Was können Patienten tun?

Sie können vor allem sprechen, sagt Julia Iwen von Resist, und das empfiehlt auch die Verbrauche­rzentrale Hamburg. „Patienten sollten ihren Arzt fragen, warum er ihnen ein Antibiotik­um verschreib­t“, sagt Iwen. Denn nur wenn der Erreger ein Bakterium ist, kann ein Antibiotik­um helfen. Die Verbrauche­rzentrale empfiehlt außerdem, sich bei der Einnahme genau an die ärztliche Verordnung zu halten. Wird die Einnahme zu früh abgebroche­n, können Resistenze­n entstehen.

Auch die Erwartungs­haltung der Patienten sei ein Thema in ihrem Projekt, sagt Julia Iwen. „Viele kommen mit der Erwartung zum Arzt, dass er für schnelle Heilung sorgt.“Auch der Arzt wisse das und verschreib­e vielleicht ein Antibiotik­um, obwohl er sich nicht sicher sei, ob der Infekt viral oder bakteriell ist.

„Die Reserveant­ibiotika entscheide­n manchmal über Leben und Tod.“Sebastian Haller, Robert Koch-Institut

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FOTO: ISTOCK

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